Aktenzeichen 9 ZB 19.33606
Leitsatz
1. Ist der Kläger der Auffassung, die vom Gericht herangezogenen Erkenntnisquellen seien zu alt und würden dem Vorbringen nicht gerecht, so ist es erforderlich, dass das Zulassungsvorbringen zumindest einen Hinweis auf andere Quellen enthält, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und daher einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Fragen, ob zurückkehrende junge Männer alles daran setzen, Sierra Leone alsbald wieder zu verlassen, und ob eine Abschiebung angedroht werden darf, wenn nicht gewährleistet ist, dass diese nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verläuft, würden sich in einem Berufungsverfahren nicht stellen, weil Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nur in Gefahren begründet liegen, die im Zielstaat der Abschiebung drohen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein unzulässiger Ausforschungsbeweis liegt in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht. Art. 103 Abs. 1 GG statuiert keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 30 K 17.40639 2019-07-08 VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2019 – 9 ZB 19.33175 – juris Rn. 2). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
a) Soweit der Kläger die Frage aufwirft „ob zur Beantwortung der Frage, ob ein Anspruch des Antragstellers auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 V AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bestehe, Lageberichte des Auswärtigen Amtes zu Sierra-Leone oder entsprechende Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes an andere Verwaltungsgerichte heranzuziehen sind oder ob weitere Erkenntnisquellen zur Klärung dieser Frage herangezogen werden müssen, die beispielsweise auch durch die Einholung von Gutachten untermauert werden müssten“, fehlt es jedenfalls an der ausreichenden Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Im Zulassungsvorbringen wird zwar ausdrücklich auf Erkenntnisquellen hingewiesen, auf die das Verwaltungsgericht seine Auffassung gestützt habe, dass der Kläger als junger, gesunder und voll erwerbsfähiger Mann sein Existenzminimum in Sierra Leone werde sichern können. Es wird aber nicht substantiiert dargelegt, warum diese Erkenntnisquellen dem Sachverhalt des Klägers nicht gerecht würden. Allein das Vorbringen, die im angegangenen Urteil zugrunde gelegten Erkenntnismittel seien zum Teil mehr als neun Jahre alt, genügt nicht dem Darlegungsgebot (vgl. BayVGH, B.v. 31.10.2018 – 9 ZB 18.32733 – juris Rn. 12). Vielmehr wäre es erforderlich, dass das Zulassungsvorbringen zumindest einen überprüfbaren Hinweis auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- oder Erkenntnisquellen (z. B. Auskünfte, Stellungnahmen, Gutachten, Presseberichte) enthält, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2019 – 9 ZB 19.33175 – juris Rn. 4 m.w.N.).
b) Hinsichtlich der aufgeworfenen Frage, „ob die Rückkehrer tatsächlich in Sierra Leone verbleiben oder bei einer (zwangsweisen) Rückkehr nicht vielmehr versuchen, alsbald das Land wieder zu verlassen, und nachfolgend die rechtliche Frage, ob die vorherrschende Rechtsprechung, dass davon auszugehen ist, dass Rückkehrer eine nicht der EMRK und damit § 60 Abs. 5 AufenthG wiedersprechende Situation vorfinden, noch haltbar ist, wenn die Erfahrung zeigt, dass die rückkehrenden jungen Männer alles daran setzen, Sierra Leone zu verlassen, also den vom Verwaltungsgericht bzw. von der Antragsgegnerin in Aussicht gestellten Weg gerade nicht gehen oder ob nicht vielmehr die Rechtsprechung die tatsächlichen Verhältnisse akzeptieren muss, wonach Rückkehrer in der Regel eben nicht den von der Rechtsprechung zugedachten Weg gehen, sondern vielmehr versuchen, das Land alsbald wieder zu verlassen und deshalb diese Rückkehrer nicht mehr darauf verweisen darf, dass es eine Möglichkeit gibt, in Sierra Leone zu überleben, dies auch vor dem Hintergrund, dass durch die vorherrschende Rechtsprechung eben ein anderes Land – welches bleibt oftmals dem Zufall überlassen oder der Willkür der Schlepper- und Schleuserbanden – mit Flüchtlingen belastet wird, welches ohnehin bereits stark durch Fluchtbewegungen belastet ist und dass damit der Druck, dem die dortige Bevölkerung ausgesetzt ist, an die sierra-leonischen Flüchtlinge weitergegeben wird und dort eine der EMRK widersprechende Behandlung droht“, sowie der weiteren Frage, „ob eine Abschiebung überhaupt angedroht werden darf, wenn insbesondere im Freistaat Bayern nicht gewährleistet ist, dass eine Abschiebung nicht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verläuft“ fehlt es bereits an ihrer Entscheidungserheblichkeit. Die Fragen würden sich in einem Berufungsverfahren nicht stellen. Nach dem Asylrecht zu prüfende Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG können nur in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen (sog. „zielstaatsbezogene“ Abschiebungshindernisse, vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 35; U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – juris Rn. 10 f.). Dieser Prüfungsmaßstab wird von den gestellten Fragen nicht angesprochen.
2. Der geltend gemachte Zulassungsgrund einer Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) wegen der Ablehnung eines vor dem Verwaltungsgericht am 4. Juli 2019 unbedingt gestellten Beweisantrags liegt nicht vor.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung den Beweisantrag gestellt, „eine Stellungnahme beim Auswärtigen Amt einzuholen, ob der Zeitungsartikel existiert und echt ist, ob der Vater Mitglied des ‚Islamic Councel of Sierra Leone‘ (ICSL) und/oder ‚Sierra Leone Council of Imams‘ (SLCI) ist und welche Position er dort bekleidet und ob sie Erkenntnisse darüber haben, dass er für extreme Ansichten bekannt ist“. Das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung des Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung damit begründet, dass es sich um einen aus formellen Gründen abzulehnenden Ausforschungsantrag handele, ob bestimmte Aspekte, wie die Existenz des Zeitungsartikels oder die Mitgliedschaft des Vaters in den benannten Kreisen existieren. Zur Begründung seines Zulassungsantrags hat der Kläger auf die Vorlage einer Kopie eines Zeitungsartikels verwiesen, wonach der Vater des Klägers für dessen Ergreifung ein hohes Kopfgeld ausgelobt habe. Ob der Zeitungsartikel echt sei, habe das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung nicht überprüfen können. Es habe die Echtheit zu diesem Zeitpunkt auch nicht angezweifelt, sondern erst in seinen Entscheidungsgründen dazu ausgeführt.
Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen ausführlich dargelegt, warum es sich bei der vorgelegten Kopie nicht um die Kopie eines echten Zeitungsartikels handeln kann. Unter anderem hat es darauf hingewiesen, dass sich Daten aus den Jahren 2019 in Artikeln aus einer Zeitung aus dem Jahr 2011, die noch dazu die Angabe „Monday 17th March 2011“ enthält, obwohl der 17. März 2011 ein Donnerstag war, nicht erklären lassen. Bei dieser Sachlage, die das Verwaltungsgericht anhand der bereits mit Schriftsatz vom 4. Juni 2019 vorgelegten Kopie feststellen konnte, und auf die es in der mündlichen Verhandlung auch nicht hinweisen musste (vgl. BVerwG, B.v. 30.3.2016 – 5 B 11.16 – juris Rn. 20 m.w.N.; BayVGH, B.v. 26.3.2019 – 9 ZB 19.30143 – juris Rn. 8), ist die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei dem Beweisantrag um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis handelt, nicht zu beanstanden. Ein als unzulässig ablehnbarer Ausforschungsbeweis liegt in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (vgl. BVerwG, B.v. 17.9.2014 a.a.O. Rn. 10). Die schlichte Behauptung der unter Beweis gestellten Tatsache genügt insofern nicht (BayVGH, B.v. 22.7.2019 – 8 ZB 19.31614 – juris Rn. 14). Der mit dem Zulassungsvorbringen noch angesprochenen gleichlautenden Beweisanregung des Klägers zu folgen, hatte das Verwaltungsgericht somit ebenso wenig Veranlassung. Eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht statuiert Art. 103 Abs. 1 GG ohnehin nicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 16.7.2019 – 9 ZB 19.32517 – juris Rn. 10).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).