Aktenzeichen M 22 K 16.31206
AufenthG § 60 Abs. 1
VwGO § 67 Abs. 4 S. 4, S. 7
RL 2011/95/EU §§ 3a-3e, § 28 Abs. 1a, Abs. 2
RDGEG § 3, § 5
ZPO § 708 f.
Leitsatz
Die Einschätzung ist gerechtfertigt, dass die syrischen Behörden bei Zurückkehrenden, ungeachtet des Umstands, ob diese im Ausland ein Asylverfahren betrieben haben, selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände, aufgrund derer die betreffende Person als möglicherweise regimefeindlich eingestuft wird, die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen können (BayVGH, Urt .v. 12.12.2016 – 21 ZB 16.30338). Das verbleibende Risiko, aufgrund willkürlicher Verdächtigungen Opfer einer menschenrechtswidrigen Behandlung zu werden, ist letztlich als unterhalb der flüchtlingsrechtlich erheblichen Gefahrenschwelle liegend einzustufen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage ist zulässig, bleibt aber ohne Erfolg, da der Klägerin kein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zusteht.
1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich
– aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe,
– außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
– dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
– in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
§ 3 Abs. 2 und 3 AsylG beinhalten Exklusionsklauseln u.a. für den Fall des Verdachts der Begehung bestimmter schwerer Straftaten (Abs. 2) sowie bei anderweitiger Schutzgewährung durch eine Organisation oder Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des UNHCR (Abs. 3).
Einzelheiten zum Begriff der Verfolgungshandlung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen, den Verfolgungs- bzw. Schutzakteuren sowie zur Frage eines etwaigen internen Schutzes regeln die §§ 3a bis e und 28 Abs. 1a und Abs. 2 AsylG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU.
Einem Ausländer, der Flüchtling nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 AsylG ist, wird gemäß § 3 Abs. 4 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 oder 3 AufenthG (weitere Ausschlussklauseln bei Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bzw. bei Vorliegen einer Gefahr für die Allgemeinheit; für den Fall des Satzes 3 nur, wenn das Bundesamt von einer Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG absieht).
2. Die danach hier einschlägigen Voraussetzungen für die Annahme der Flüchtlingseigenschaft und deren förmliche Zuerkennung liegen bei der Klägerin nicht vor, da zur Überzeugung des Gerichts nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich die Klägerin im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG aus begründeter Furcht vor einer an Konventionsmerkmale anknüpfenden Verfolgung außerhalb ihres Herkunftslandes befindet. Das wäre dann der Fall, wenn der Klägerin bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände ihres Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in der Vorschrift genannten Gründen droht, so dass ihr deshalb nicht zuzumuten ist, in ihr Herkunftsland zurückzukehren.
Zur Klarstellung ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass eine Unzumutbarkeit der Rückkehr nach Syrien zwar gegenwärtig im Hinblick auf das Kriegsgeschehen im Land zweifellos zu konstatieren ist. Die damit angesprochene Gefahrenlage (Gefahr einer individuellen Bedrohung des Lebens infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts, vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) rechtfertigt aber nur die Zuerkennung des sog. subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG – dieser wurde der Klägerin auch zuerkannt –, nicht aber die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Diese setzt, wie erwähnt, voraus, dass die Verfolgungsfurcht und die daraus folgende Unzumutbarkeit einer Rückkehr Bezug haben zu den Konventionsmerkmalen, also zu Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder zur Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Bei der Prüfung ist folglich darauf abzustellen, ob spezifische hieran anknüpfende Verfolgungsgefahren anzunehmen sind.
Zur Beurteilung der Frage, ob eine begründete Verfolgungsfurcht für den Fall einer Rückkehr in das Heimatland anzuerkennen wäre, bedarf es einer Prognose über die Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Gefährdung. Im Rahmen dieser Prognose ist eine Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist dann auszugehen, wenn bei der zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Sachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Umständen überwiegen. Entscheidend ist, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Schutzsuchenden Furcht vor Verfolgung aus den angeführten Gründen hervorgerufen werden kann und aus dessen Sicht nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als zumutbar erscheint oder nicht (vgl. BayVGH, U.v. 12.12.2016 – 21 B 16.30330 – juris Rn.29 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall kann eine beachtliche Verfolgungsgefahr, die an Konventionsmerkmale anknüpfen würde, aber nicht festgestellt werden.
2.1 Zur Überzeugung des Gerichts ist die Klägerin nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Die von ihr im Rahmen ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Umstände erscheinen dem Gericht nicht hinreichend gewichtig (Hinweis auf Anfeindungen) bzw. nicht substantiiert und glaubhaft geltend gemacht (angebliche Demolierung ihres Hauses). Darüber hinaus lässt der Vortrag keine Zuordnung zu einem Akteur, von dem eine beachtliche Verfolgung ausgehen könnte (vgl. § 3c AsylG), erkennen.
2.2 Eine begründete Furcht vor Verfolgung ergibt sich hier auch nicht aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem die Klägerin aus Syrien ausgereist ist (sog. Nachfluchttatbestände, vgl. § 28 Abs. 1a AsylG).
2.2.1 Dazu ist vorab anzumerken, dass es insoweit nur auf Gefährdungen, die dem syrischen Staat zuzurechnen wären, ankäme, da für den Fall einer hypothetischen Rückführung (Abschiebung) zu unterstellen wäre, dass diese über eine vom syrischen Staat kontrollierte Grenzübertrittsstelle erfolgen würde.
2.2.2 Weiter ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass das erkennende Gericht bislang (wie auch eine Vielzahl anderer Gerichte, vgl. etwa HessVGH, B.v. 27.1.2014 – 3 A 917/13.Z.A.–; VGH BW, B.v. 19.6.2013 – A 11 S 927/13 – und B.v. 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –; OVG LSA, U.v. 18.7.2012 – 3 L 147/12 –; VG Regensburg, U.v. 6.7.2016 – RN 11 K 16.30889 –; VG Köln, U.v. 26.6.2014 – 20 K 4130/13.A –; VG Frankfurt, U.v. 26.9.2014 – 3 K 1489/13.A –; VG Augsburg, U.v. 25.11.2014 – Au 2 K 14.30422 – alle in juris) davon ausgegangen ist, dass Rückkehrer, die im westlichen Ausland gelebt und dort ggf. einen Asylantrag gestellt haben, aus Anlass der Einreisekontrolle bzw. der im Zusammenhang damit erfolgenden Befragung durch Sicherheitskräfte unter anderem zur Informationsgewinnung über die Exilszene zumindest mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine menschenrechtswidriger Behandlung zu gewärtigen hätten, die auch an eine zumindest vermutete politische Gesinnung anknüpfen würde. Wesentlich für diese Wertung war der Umstand, dass willkürliche Übergriffe der Sicherheitskräfte durchaus vorkommen und regelmäßig nicht negativ sanktioniert werden, die Sicherheitsbehörden also freie Hand haben, wie sie mit Rückkehrern verfahren und es keine Schutzmechanismen gibt, wenn eine Person verdächtigt und deshalb misshandelt oder verhaftet wird und all dies auch vor dem Hintergrund zu sehen ist, dass der syrische Staat traditionell und generell zur massiven Unterdrückung auch nur vermuteter oppositioneller Bestrebungen neigt.
An dieser Auffassung – dass allein der Aufenthalt im westlichen Ausland und die Asylantragstellung bereits die beachtliche Gefahr einer politischen Verfolgung für den Fall der Rückkehr nach Syrien begründet – hält das Gericht nach neuerlicher Überprüfung der Problematik aber nicht mehr fest und schließt sich insoweit der Rechtsauffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Urteil vom 12.12.2016 – 21 B 16.30338 – juris – an (vgl auch OVG Saarl, U.v. 2.2.2017 – 2 A 515/16 – juris; OVG RhPf, U.v. 16.12.2016 – 1 A 10920/16.OVG – juris), wonach bei zusammenfassender Bewertung aller Umstände mit Blick auf diese Personengruppe die gegen eine Verfolgungsgefahr sprechenden Gründe größeres Gewicht als die dafür sprechenden haben, wenn nicht besondere gefahrerhöhende Umstände hinzukommen.
Unbeschadet des Umstands, dass jeder zurückkehrende Syrer bei einer Wiedereinreise in das Land über die offiziellen Grenzkontrollstellen im Rahmen der Einreisekontrollen eine Befragung zu erwarten hat, die auch der Klärung der Frage dienen soll, ob der Rückkehrer möglicherweise als Regimegegner (in einem weiten Sinne) anzusehen ist und der Betreffende für den Fall, dass ein entsprechender Verdacht besteht, mit menschenrechtswidriger Behandlung zu rechnen hätte, ist doch aufgrund der aktuellen Erkenntnislage nicht zu erwarten, dass für jeden Rückkehrer in gleiche Weise ein solches Risiko besteht. Dafür, dass die syrischen Sicherheitsbehörden ohne Hinzutreten weiterer gefahrerhöhender Umstände jeden Rückkehrer, der Syrien illegal verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längere Zeit im Ausland aufgehalten hat, der Opposition zurechnen würden, gibt es keine hinreichend gewichtigen tatsächlichen Erkenntnisse; dies zumal Millionen Flüchtlinge das Land verlassen haben und offenkundig ist, dass der Großteil der Ausgereisten das Land nicht als Ausdruck politischer Gegnerschaft zum Regime, sondern wegen der kriegsbedingten Gefahren verlassen hat (OVG RhPf, U.v. 16.12.2017 – 1 A 10922/16 – juris Rn. 57). Angesichts dessen erscheint die Einschätzung gerechtfertigt, dass die syrischen Behörden bei Zurückkehrenden, ungeachtet des Umstands, ob diese im Ausland ein Asylverfahren betrieben haben, selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände, aufgrund derer die betreffende Person als möglicherweise regimefeindlich eingestuft wird, die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen können (BayVGH, U.v. 12.12.2016 – 21 ZB 16.30338 – juris Rn. 70). Das verbleibende Risiko, aufgrund willkürlicher Verdächtigungen Opfer einer menschenrechtswidrigen Behandlung zu werden, ist nach dieser Rechtsprechung letztlich als unterhalb der flüchtlingsrechtlich erheblichen Gefahrenschwelle liegend einzustufen.
2.2.3 Besondere gefahrerhöhende Umstände in der Person der Klägerin hat diese nicht vorgetragen und solche sind auch sonst nicht ersichtlich. Gegen die Annahme einer Verfolgungsgefahr seitens des syrischen Staates spricht hier insbesondere, dass die Klägerin soweit ersichtlich das Land nicht illegal verlassen und auch nichts über Probleme ihrer Angehörigen, die noch in Syrien leben, mit den staatlichen Stellen berichtet hat.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläu-figen Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.