Verwaltungsrecht

Flüchtlingseigenschaft wegen drohender Zwangsbeschneidung und Zwangsverheiratung

Aktenzeichen  AN 9 K 16.31675

Datum:
22.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 23059
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 2 Nr. 6, § 3b Abs. 1 Nr. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Eine in Äthiopien drohende Zwangsbeschneidung und Zwangsverheiratung stellt eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der Gruppe der Frauen in Form der geschlechtsspezifischen Verfolgung dar. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1.    Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. Oktober 2016 wird hinsichtlich der Klägerin in Ziffern 1, 3 bis 6 aufgehoben. 
2.    Das Bundesamt wird verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG bei der Klägerin vorliegen.  
3.    Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Gerichtskosten werden nicht erhoben. 

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid des Bundesamts vom 5. Oktober 2016 ist, soweit er angefochten wurde und die Klägerin betrifft, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Klägerin hat Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Die Klägerin befindet sich nach Überzeugung des Gerichts aus begründeter Furch vor Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich als Frau, außerhalb ihres Herkunftslandes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt. Der Einzelrichter ist der Überzeugung, dass der Klägerin im Fall der Rückkehr nach Äthiopien dort Zwangsbeschneidung und Zwangsverheiratung konkret drohen, dies stellt eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der Gruppe der Frauen in Form der geschlechtsspezifischen Verfolgung dar. Die Klägerin hält sich auch aus begründeter Furch vor dieser Verfolgung in Deutschland auf. Der Klägerin ist eine Rückkehr nach Äthiopien nicht zumutbar, da ihr auch heute noch eine politische Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen droht. Dies ergibt sich daraus, dass einerseits die Großfamilie, in deren Schutz und Bereich sich die Klägerin mit ihrer Mutter im Fall der Rückkehr begeben müsste, trotz der ablehnenden Haltung der Mutter der Klägerin die zwangsweise Beschneidung der Klägerin durchsetzen würde, der Klägerin steht dabei, auch zusammen mit ihrer Mutter, keine inländische Fluchtalternative in Äthiopien zur Verfügung. Dass der Klägerin im Fall der Rückkehr nach Äthiopien Zwangsbeschneidung droht, hat ihre Mutter in der mündlichen Verhandlung nach Überzeugung des Gerichts glaubhaft dargelegt. Die Schilderungen der Mutter der Klägerin stimmen auch im Wesentlichen mit der Auskunftslage überein. Das Gericht glaubt der Mutter der Klägerin auch, dass sie weiter keine Kenntnis vom Aufenthaltsort ihres verschollenen Ehemannes besitzt und damit als alleinstehende und alleinerziehende Mutter mit zwei kleinen Kindern sowie einer weiteren Tochter außerhalb des Familienverbandes nicht überlebensfähig wäre. Gerade wenn aber die Großmutter der Klägerin selbst als Beschneiderin tätig ist und die Großfamilie die Beschneidung befürwortet, ist für das Gericht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dargetan, dass sich die Klägerin im Fall der Rückkehr einer Zwangsbeschneidung und ggf. im entsprechendem Alter Zwangsverheiratung nicht würde entziehen können.
Auch das Auswärtige Amt bestätigt im aktuellen Lagebericht vom 8. April 2019, dass Genitalverstümmelung in Form der Zwangsbeschneidung seit 2005 mit Strafe bedroht wird, dass allerdings trotz sinkender Zahl Genitalverstümmelung nach wie vor mit großen regionalen Unterschieden weit verbreitet sei, am häufigsten in den ländlichen Gebieten sowie der gesamten Region Oromia, aus der die Klägerin stammt. Der äthiopische Staat ist damit zwar willens, Genitalverstümmelung und Zwangsbeschneidung einzudämmen, jedoch auch in näherer Zukunft nicht in der Lage, dies landesweit durchzusetzen.
Demnach war die Beklagte unter Aufhebung der Ziffern 1 und 3 bis 6 des angefochtenen Bescheides zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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