Aktenzeichen M 29 E 19.30208
AsylG § 71 i.V.m VwVfG § 51 Nrn. 1, 3
VwVfG § 51
Leitsatz
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Die Antragsteller sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und nach eigenen Angaben tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Ihre Asylerstanträge wurden mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom *. Dezember 2016 abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage wurde in der mündlichen Verhandlung auf die Feststellung von Abschiebungsverboten beschränkt und mit Urteil vom … März 2018 … … * * …*) abgewiesen.
Am 5. Dezember 2018 stellten die Antragsteller einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Zur Begründung führte die Antragstellerin zu 1) aus, dass sie befürchte, dass ihr die Kinder weggenommen würden, falls sie nach Tschetschenien zurückkehren würde.
Mit Bescheid vom … Januar 2019 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und lehnte den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom *. Dezember 2016 (* … …*) bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes ebenfalls ab (Nr. 2). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Antragsteller dieselben Gründe geltend gemacht hätten, die sowohl im Bescheid des Bundesamtes vom *. Dezember 2016, als auch im Klageverfahren ablehnend gewürdigt worden seien. Eine Sach- und Rechtslagenänderung sei nicht vorgetragen und auch nicht anderweitig erkennbar. Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG gemäß § 49 VwVfG rechtfertigen würden, lägen ebenfalls nicht vor. Eine Änderung der individuellen Situation der Antragsteller sei nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Selbiges gelte für die Verhältnisse im Heimatland der Antragsteller.
Am 25. Januar 2019 erhoben die Antragsteller Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (* … * …*) und beantragten gleichzeitig,
die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, von einer Mitteilung an die Ausländerbehörde gemäß § 71 Abs. 5 AsylG abzusehen bzw. eine solche zu widerrufen.
Zur Begründung führte die Antragstellerin zu 1) zusätzlich zu den Angaben gegenüber dem Bundesamt im Wesentlichen aus, dass ihr geschiedener Mann, bevor er sich vor vier oder fünf Jahren einer illegalen Bande angeschlossen habe, selten zu ihnen gekommen sei. Wenn er aber da gewesen sei, habe er sie und die Kinder geschlagen. Überdies habe sie Angst, dass bei einer Rückkehr ins Heimatland ihr Vater (Anmerkung des Gerichts: gemeint ist wohl wiederum der geschiedene Mann und Vater der Antragsteller zu 2) bis 4)) sie finden und töten würde. Weil ihr Mann sie immer auf den Kopf geschlagen habe, habe sie fast täglich starke Kopfschmerzen.
Die Antragsgegnerin beantragte dagegen, den Antrag nach § 123 VwGO abzulehnen.
Sie verweist auf die Gründe des streitgegenständlichen Bescheids vom … Januar 2019.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (auch im Verfahren * … * …*) und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne von § 123 Abs. 1 VwGO, gerichtet auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin, von einer Mitteilung an die Ausländerbehörde gemäß § 71 Abs. 5 AsylG abzusehen bzw. eine solche zu widerrufen, ist zwar zulässig und insbesondere wohl statthaft (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 16.3.1999 – 2 BvR 2131/95 – juris; sowie VG München, B.v. 11.9.2018 – M 24 E 18.33442 – juris Rn. 13; B.v. 8.5.2017 – M 2 E 17.37375 – juris Rn. 14; HessVGH, B.v. 13.9.2018 – 3 B 1712/18.A – juris Rn. 3).
2. Der Antrag auf Erlass der begehrten Regelungsanordnung im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist jedoch unbegründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig und ein dahingehender Antrag daher begründet, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dies setzt gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO voraus, dass der jeweilige Antragsteller die Tatsachen, aus denen sich der sog. Anordnungsanspruch, d.h. im Fall des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO das regelungsbedürftige Rechtsverhältnis und die im Rahmen dessen drohende Rechtsverletzung, und der sog. Anordnungsgrund, d.h. die Dringlichkeit der begehrten Regelung, ergeben, glaubhaft macht. Auf der Grundlage der glaubhaft gemachten Tatsachen muss – nach summarischer Prüfung – grundsätzlich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs sprechen (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20 und 32) und ein Anordnungsgrund bestehen. Allerdings sind gemäß § 71 Abs. 4 Halbsatz 1 AsylG die §§ 34, 35 und 36 AsylG entsprechend anzuwenden, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen. §§ 34, 35 und 36 AsylG befassen sich zwar mit Fällen der Abschiebungsandrohung, die im streitgegenständlichen Bescheid im Hinblick auf § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG gerade nicht ausgesprochen worden ist. Die entsprechende Anwendung von §§ 34 ff. AsylG in Fällen wie dem vorliegenden ist aber gleichwohl im Hinblick auf § 36 Abs. 4 AsylG insoweit von Bedeutung, als der Gesetzgeber dort den Maßstab der gerichtlichen Prüfung im einstweiligen Rechtsschutz spezialgesetzlich geregelt hat. Dieser Maßstab ist daher grundsätzlich auch im Rahmen eines Verfahrens nach § 123 VwGO entsprechend anzulegen (vgl. BVerfG, B.v. 16.3.1999 – 2 BvR 2131.95 – juris Rn. 1 und 22). Vor diesem Hintergrund darf nach § 71 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 i.V.m. § 36 Abs. 4 AsylG im Falle der Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und der dadurch bedingten Ablehnung des Asylfolgeantrags als unzulässig im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 AsylG das Verwaltungsgericht auch einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO nur gewähren, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinn liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516.93 – juris Rn. 99).
Im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids und daher kein Anordnungsanspruch.
Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist im Falle eines erneuten Asylantrags nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags (Folgeantrag) ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG vorliegen. Gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die Sach- und Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (Nr. 3). Nach § 51 Abs. 2 VwVfG muss der Betroffene zudem ohne grobes Verschulden außerstande gewesen sein, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Zudem muss der Wiederaufgreifens- bzw. Folgeantrag gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG binnen drei Monaten ab dem Tag, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat, gestellt werden. § 71 Abs. 3 Satz 1 AsylG verpflichtet den Ausländer zu Angaben über seine Anschrift sowie zu Tatsachen und Beweismitteln, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ergibt.
Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG im Hinblick auf den erneuten Asylantrag der Antragsteller und damit Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf ihre Anerkennung als Asylberechtigte oder die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 13 Abs. 2, § 1 Abs. 1, §§ 3 ff. AsylG) gegeben sind.
Insoweit wird vollumfänglich auf die Ausführungen im angegriffenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Die von der Antragstellerin zu 1) – soweit nach summarischer Prüfung ersichtlich, erstmals im Folgeverfahren – vorgetragene Bedrohung durch den geschiedenen Ehemann und Vater der Antragsteller zu 2) bis 4) in ihrer Heimat vermag die Entscheidung über ihre Asylanträge im Sinne von § 13 Abs. 2 AsylG jedenfalls nicht nachträglich zu ihren Gunsten im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zu verändern. Denn dieser Sachverhalt kann weder einen Anspruch auf Asylanerkennung noch auf Zuerkennung internationalen Schutzes im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG begründen, so dass bereits aus diesem Grund die Voraussetzungen der insoweit allenfalls gegebenen Wiederaufgreifengründe gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 VwVfG nicht vorliegen. Vielmehr handelt es sich bei der angeblichen Bedrohung durch den Vater der Antragsteller zu 2) bis 4) – die im Übrigen wenig glaubhaft erscheint, da die Antragstellerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung vom … März 2018 angegeben hat, ihren Ex-Mann zuletzt … gesehen und seitdem keinerlei Kontakt mehr zu ihm gehabt zu haben – nicht um eine Verfolgung wegen asylerheblicher Merkmale, sondern um eine Bedrohung durch Dritte.
Im Übrigen wäre die vorgetragene Bedrohung durch den geschiedenen Ehemann nicht als Änderung der dem Bescheid vom *. Dezember 2016 zugrunde liegenden Sachlage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG anzusehen. Denn diese Vorfälle haben sich nach den eigenen Ausführungen der Antragstellerin zu 1) bereits im Heimatland ereignet, so dass sie während des in den Erlass des Bescheids vom *. Dezember 2016 mündenden asylrechtlichen Verwaltungsverfahrens sowie erst Recht während des dagegen gerichteten gerichtlichen Verfahrens bereits bestanden und daher nicht als nachträgliche Änderung der Sachlage zugunsten der Antragsteller im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG anzusehen sind.
Ebenso wenig wurden Tatsachen glaubhaft gemacht, aus denen sich ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Abänderung des Bescheids vom 8. Dezember 2016 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ergäben.
Hat das Bundesamt im ersten Asylverfahren unanfechtbar festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht bestehen, so ist eine erneute Prüfung von und Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nur unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zulässig (vgl. BVerwG, U.v. 21.03.2000 – 9 C 41/99 – juris Rn. 9; BVerwG, B.v. 15.01.2001 – 9 B 475.00 – juris Rn. 5). Sind die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht erfüllt, hat das Bundesamt gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48 f. VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die bestandskräftige Entscheidung zurückgenommen oder widerrufen wird; insoweit besteht ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (vgl. BVerwG B.v. 15.01.2001 – 9 B 475.00 – juris Rn. 5).
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sind hier nicht ersichtlich, so dass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen und eine Abänderung des Bescheids vom 8. Dezember 2016 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG von der Antragsgegnerin zu Recht verneint wurden.
Insbesondere die von der Antragstellerin zu 1) vorgetragenen gesundheitlichen Probleme können kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen. Zum einen hätte der Vortrag der Antragstellerin zu 1), fast täglich an, durch die Schläge ihres Exmannes auf den Kopf verursachten, starken Kopfschmerzen zu leiden, noch in dem den Bescheid vom *. Dezember 2016 betreffenden gerichtlichen Verfahren vorgebracht werden können bzw. hat die Antragstellerin zu 1) jedenfalls nicht glaubhaft gemacht, dass sie hierzu entsprechend § 51 Abs. 2 VwVfG ohne grobes Verschulden außerstande war. Zum anderen wurde insoweit weder ein Attest o.ä. vorgelegt noch ist der Vortrag ansatzweise substantiiert. Überdies ist eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands der Antragstellerin zu 1) alsbald nach ihrer Rückkehr in die Russische Föderation und damit eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben im Sinne der genannten Vorschrift nicht ersichtlich.
3. Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge gemäß § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.