Aktenzeichen 20 ZB 17.30422
VwGO § 138 Nr. 3
Leitsatz
1. Fehlt es im Rahmen einer von den Klägern als grundsätzlich bedeutsam erachteten Frage an einem Angriff gegen die die Entscheidung des Verwaltungsgerichts selbständig tragende Begründung, dass den Klägern eine innerstaatliche Fluchtalternative offen steht, ist der Zulassungsgrund nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 S. 4 AsylG genügenden Weise dargetan. (Rn. 5 und 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch wenn in der Person eines Familienmitglieds die Voraussetzungen der Flüchtlingsstellung nach § 3 AsylG vorliegen, hat dies aufgrund des jeweils individuell zu würdigenden Sachverhalts keineswegs zwangsläufig die Annahme einer Flüchtlingsstellung auch für die übrigen Familienmitglieder zur Folge. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 5 K 16.32078 2017-03-09 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Die Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Antragsverfahrens.
Gründe
Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg. Er ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Weise dargetan sind.
Die Kläger halten die Frage,
ob im Falle traumatisierter Kläger in Asyl- und Flüchtlingssachen, Gerichte ohne Einholung von ergänzenden Sachverständigengutachten und damit ohne hinreichende eigene medizinische Fachkenntnisse, über entscheidungserhebliche und grundsätzlich tatbestandsrelevante Umstände zu Erkrankungen und Symptomen, wie speziell beim Vorliegen häufig vorliegender PTBS Erkrankungen der hiesigen Klägergruppe, insbesondere hier zu negativ entscheiden dürfen und zudem einem Verwaltungsgericht ohne Einholung medizinischen Rats durch Sachverständige, eine auch medizinisch fachliche Beurteilung solcher Fachatteste zusteht,
für grundsätzlich klärungsbedürftig (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Dies ist darzulegen. „Darlegen“ bedeutet schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis; „etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 2.10.1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90, 91; B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Aus dem Zulassungsantrag der Kläger ist bereits nicht ersichtlich, warum die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist. Denn das Verwaltungsgericht hat darauf hingewiesen, dass die Klägerin zu 1) für sich und die Kläger zu 2) und 3) keine sie selbst betreffenden Verfolgungshandlungen geltend gemacht habe. Auch wenn die vom Ehemann bzw. Vater der Kläger, dem Kläger des am gleichen Tag vom Verwaltungsgericht verhandelten und entschiedenen Verfahrens Au 5 K 16.32079 (Az. des Senats 20 ZB 17.30424) geltend gemachte Bedrohung vom Verwaltungsgericht als glaubwürdig eingestuft worden wäre, worauf die Argumentation im Zulassungsantrag letztlich abzielt, würde daraus keine individuelle Bedrohung der Kläger des vorliegenden Verfahrens resultieren. Darüber hinaus war das Verwaltungsgericht aber auch der Meinung, dass selbst bei einem Vorliegen flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgungshandlungen die Kläger auf eine innerstaatliche Fluchtalternative im Irak zu verweisen wären. Diese Feststellung haben die Kläger mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung nicht angegriffen. Im Falle einer Mehrfachbegründung sind im Antrag auf Zulassung der Berufung gegen jeden der tragenden Gründe Berufungszulassungsgründe darzulegen (Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 72 und 61). Dies haben die Kläger nicht getan. Ein von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannter Ausnahmefall aus Gründen der Rechtskrafterstreckung (BVerwG, B.v. 20.12.2016 – 3 B 38.16 – NVwZ-RR 2017, 266) liegt hier ersichtlich nicht vor.
Auch hinsichtlich der weiteren von den Klägern als grundsätzlich bedeutsam erachteten Frage,
ob durch die bloße und formale „Aufspaltung“ einer Familie und das Familienschicksal auf zwei asylrechtliche und anschließende verwaltungsgerichtliche Verfahren, unter Berücksichtigung des unbedingten Schutzes von Ehe und Familie in Art. 6 GG, zwei isolierte und voneinander unabhängige, das Einzelschicksal der anderen Familienmitglieder konsequent negierender Entscheidungen rechtmäßig und rechtsstaatlich erfolgen können,
sind die Anforderungen an die Darlegung nicht erfüllt. Denn auch insoweit fehlt es an einem Angriff gegen die die Entscheidung des Verwaltungsgerichts selbständig tragende Begründung, dass den Klägern eine innerstaatliche Fluchtalternative offen steht. Dessen ungeachtet sind Asylanträge grundsätzlich immer individuell zu prüfen (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 3b Rn. 3 unter Verweis auf Art. 4 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie). Auch wenn in der Person eines Familienmitglieds die Voraussetzungen der Flüchtlingsstellung nach § 3 AsylG vorliegen, hat dies keineswegs zwangsläufig zur Folge, dass dies auch für die übrigen Familienmitglieder gilt. Vielmehr ist dies eine Frage des jeweils individuell zu würdigenden Sachverhalts. Dass hier zwei formal getrennte Verfahren geführt wurden, stellt die logische Folge dessen dar, dass die Kläger des vorliegenden Verfahrens erst nach dem Ehemann bzw. Vater nach Deutschland eingereist sind und auch erst nach ihm einen Asylantrag gestellt haben.
Auch soweit der Zulassungsantrag einen Verfahrensfehler geltend macht, sind die Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrundes nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG nicht gewahrt. Anders als im allgemeinen Verwaltungsprozessrecht kann in asylrechtlichen Streitigkeiten allein einer der in § 138 VwGO genannten Verfahrensfehler zur Zulassung der Berufung führen, andere Verfahrensfehler rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht (Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 78, Rn. 24). Der im Zulassungsantrag beklagte Verfahrensfehler, dass das Verwaltungsgericht gegen die zu beachtenden Grundsätze der Beweiserhebung und Würdigung verstoßen habe, kann daher allein so verstanden werden, dass damit ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO geltend gemacht wird.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, entscheidungserhebliche Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägung einzubeziehen. Eine Versagung des rechtlichen Gehörs im Sinne von § 138 Nr. 3 VwGO kann auch in der Verletzung von Verfahrensvorschriften liegen, die der Wahrung des rechtlichen Gehörs dienen. Hierzu gehören allerdings regelmäßig nicht Verstöße gegen die Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) oder gegen das Gebot der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dazu zählt grundsätzlich auch die Frage, ob das Gericht auf hinreichend breiter Tatsachengrundlage entschieden hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann bei solchen Mängeln im Einzelfall allenfalls bei gravierenden Verstößen verletzt sein, (BVerfG, B.v. 8.4.2004 – 2 BvR 743/03 – NJW-RR 2004, 1150) oder wenn es sich um gewichtige Verstöße gegen Beweiswürdigungsgrundsätze handelt, beispielsweise weil die Beteiligten mit der vom Gericht vorgenommenen Würdigung ohne ausdrücklichen Hinweis nicht rechnen mussten (vgl. BVerfG, B.v. 12.6.2003 -1 BvR 2285/02 – NJW 2003, 2524) oder weil die Würdigung willkürlich erscheint oder gegen die Denkgesetze verstößt (vgl. BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710.94 – NVwZ-RR 1996, 359). Derartige gravierende Mängel sind hier nicht dargelegt. Im Ergebnis halten die Kläger die vom Verwaltungsgericht im Parallelverfahren des Ehemanns bzw. Vaters vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung für falsch. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind nach § 78 Abs. 3 AsylG jedoch kein Grund für die Zulassung der Berufung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).