Verwaltungsrecht

Fortsetzungsfeststellungsklage gegen polizeiliche Identitätsfeststellung und Durchsuchung

Aktenzeichen  W 5 K 15.523

Datum:
12.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
PAG Art. 13, Art. 22

 

Leitsatz

1 Ein berechtigtes Interesse iSd § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO kann jedes bei vernünftiger Erwägung nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art sein, wobei es Sache des Klägers ist, die Umstände darzulegen, aus denen sich das Feststellungsinteresse ergibt (Anschluss an BVerwG BeckRS 9998, 48026). (redaktioneller Leitsatz)
2 Das berechtigte Interesse für eine Fortsetzungsfeststellungsklage wegen Wiederholungsgefahr setzt voraus, dass auch in Zukunft unter wesentlich unveränderten Umständen die hinreichend bestimmte Gefahr besteht, dass erneut ein gleichartiger Verwaltungsakt erlassen wird (Anschluss an BVerwG BeckRS 2006, 27434).  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
* * *
– …

Gründe

Die Klage ist bereits unzulässig.
Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (analog) bzgl. sämtlicher Anträge unzulässig.
1. Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn sich der Verwaltungsakt – nach Klageerhebung – durch Zurücknahme oder anders erledigt hat und der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Erfolgt die Erledigung vor Klageerhebung ist die Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nur dann zulässig, wenn die ursprünglich erhobene bzw. zu erhebende Klage zulässig war, eine Erledigung i.S.d. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO eingetreten ist und der Kläger ein besonderes Feststellungsinteresse geltend machen kann.
2. Hier hat sich die Anordnung der Identitätsfeststellung wie auch der „Durchsuchung“ des Video-Camcorders durch Vornahme derselben am 15. Mai 2015 vor Klageerhebung erledigt (Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG), so dass die Klage in analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft ist (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 9.2.1967 – I C 49/64 – BVerwGE 26, 161 und U.v. 1.7.1975 – I C 35/70 – BVerwGE 49, 36).
Bei der Anordnung der Identitätsfeststellung wie auch der Anordnung der Durchsicht der auf dem Camcorder des Klägers aufgenommenen Video-Dateien hat es sich unabhängig davon, mit welchen Worten sie ausgesprochen wurden, um Verwaltungsakte gehandelt. Auch wenn sie höflich als Bitte formuliert gewesen sein sollten, waren sie nach ihrem objektiven Sinngehalt auf eine unmittelbare, für den Betroffenen verbindliche Festlegung von Rechten und Pflichten gerichtet. Somit wurde hier dem Kläger der Anordnungscharakter deutlich gemacht, so dass der Regelungscharakter zu bejahen ist.
Demgegenüber kann mangels Regelungscharakters nicht von einer Anordnung der Durchsuchung der Tasche des Klägers gesprochen werden. Der Kläger hat hierzu – in der mündlichen Verhandlung – lediglich vorgetragen, dass er eine große Tasche dabei gehabt habe, die zum Schluss oberflächlich durchsucht worden sei. Der Zeuge PHM K* … hat hierzu erklärt, dass er den Kläger (wohl) gebeten habe, ihm den Inhalt der Tasche zu zeigen. Nach allem ist davon auszugehen, dass der Zeuge PHM K* … den Kläger darum gebeten hat, in die Tasche hineinsehen zu dürfen. Von der Anordnung der Durchsuchung, also der Suche in oder an einer Sache nach Personen oder anderen Sachen (Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, 3. Aufl. 2011, Art. 22 Rn. 3), kann hier mithin wohl nicht die Rede sein.
Gleiches gilt hinsichtlich der Löschung der Video-Dateien. Der Zeuge PHM K* … hat hierzu glaubhaft vorgetragen, dass er nach Sichtung der Videoaufnahmen erklärt habe, dass der Kläger derartige Aufnahmen fertigen dürfe. Nach einem längeren Hin und Her zwischen dem Kläger und dem Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes und nach Versuchen seinerseits zwischen den Beteiligten zu vermitteln, habe er den Kläger „um des lieben Friedens-Willen“ gebeten, die Aufnahmen zu löschen, was dieser dann auch gemacht habe. Damit wurde aber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Bitte um Löschung nur deshalb ausgesprochen wurde, um die Angelegenheit abzuschließen. Ein Anordnungscharakter lässt sich dieser Bitte gerade nicht entnehmen.
3. Letztlich kann die Frage der Verwaltungsaktsqualität auch offen bleiben, denn jedenfalls steht dem Kläger kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit zur Seite.
Ein berechtigtes Interesse i.S. des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO kann jedes bei vernünftiger Erwägung nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art sein, wobei es Sache des Klägers ist, die Umstände darzulegen, aus denen sich das Feststellungsinteresse ergibt (BVerwG, U.v. 15.11.1991 – 3 C 49/87 – NVwZ 1991, 570). In der verwaltungsgerichtlichen Praxis haben sich hierzu drei Fallgestaltungen herausgebildet, bei deren Vorliegen regelmäßig ein berechtigtes Interesse im vg. Sinn anzuerkennen ist: Die Vorbereitung eines Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozesses (Präjudizinteresse), das sog. Rehabilitierungsintersse und schließlich die Wiederholungsgefahr (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 113, Rn. 129 ff.; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 113 Rn. 86 ff.).
Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse besteht danach wegen Präjudizialität des verwaltungsgerichtlichen Urteils insbesondere dann, wenn die Feststellung für die Geltendmachung von Ansprüchen aus Amtshaftung nach Art. 34 GG, § 839 BGB erheblich ist, ein entsprechender (Zivil-)Prozess mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist und nicht offenbar aussichtslos erscheint. Von einer offenbaren Aussichtslosigkeit ist nur dann auszugehen, wenn ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung erkennbar ist, dass der behauptete Schadensersatz- oder Entschädigungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt bestehen kann. Ein berechtigtes Interesse an einer Feststellung unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität wird nach der neueren Rechtsprechung nur dann anerkannt, wenn die Erledigung des Verwaltungsakts erst nach Klageerhebung eingetreten ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 113, Rn. 136). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, insbesondere ist die Erledigung der strittigen Anordnungen schon vor Klageerhebung eingetreten, so dass § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nicht unmittelbar anwendbar ist. Darüber hinaus hat der Kläger keinen Antrag auf Schadensersatz gestellt, er hat auch nichts vorgetragen, was auf die Stellung eines derartigen Antrags hindeuten würde. Im Übrigen ist auch von der offenbaren Aussichtslosigkeit eines derartigen Zivilprozesses auszugehen, so schon deshalb, weil dem Kläger überhaupt kein Schaden entstanden ist.
Das Feststellungsinteresse ist auch zu bejahen, wenn die begehrte Feststellung, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig war, als „Genugtuung“ oder Rehabilitierung erforderlich ist, weil der Verwaltungsakt diskriminierenden Charakter hatte und sich aus ihm eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts ergab (Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 142 unter Bezugnahme auf BVerfG, B.v. 3.3. 2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77 und BVerwG, U.v. 21.3.2013 – 3 C 6/12 – NVwZ 2013, 1550). Dafür reicht es nicht aus, dass der Betroffene die von ihm beanstandete Maßnahme als diskriminierend empfunden hat. Maßgebend ist vielmehr, ob bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise abträgliche Nachwirkungen der Maßnahme fortbestehen, denen durch eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns wirksam begegnet werden könnte (BVerwG, U.v. 11.11.1999 – 2 A 5/98 – NVwZ 2000, 574). Zwar kann auch die Art des Eingriffs, insbesondere im grundrechtlich geschützten Bereich, verbunden mit dem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, erfordern, das Feststellungsinteresse anzuerkennen, wozu namentlich auch Feststellungsbegehren zählen, die polizeiliche Maßnahmen zum Gegenstand haben (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1997 – 1 C 2/95 – NJW 1997, 2534 m.w.N zur Rspr.). Allerdings ist hier den gegenüber dem Kläger am 15. Mai 2015 durchgeführten polizeilichen Maßnahmen weder aus den Umständen noch aus der Art und Weise ein diskriminierender Charakter zu entnehmen, der eine Genugtuung oder Rehabilitierung notwendig machen würde. Insoweit bleibt auch festzuhalten, dass von Klägerseite nicht das Geringste vorgebracht wurde, was hierfür sprechen würde.
Vielmehr hat der Kläger in Bezug auf ein Feststellungsinteresse – im Rahmen seiner Klagebegründung vom 14. Juni 2015 – ausschließlich vorgebracht, dass er mit dieser Fortsetzungsfeststellungsklage das Ziel verfolge, „zu verhindern, dass derartige staatliche Eingriffe in meine Rechte durch die örtliche Polizei in gleichartigen Situationen sich künftig wiederholen“. Offenkundig hat der Kläger sich auf die sog. Wiederholungsgefahr bezogen. Besteht nämlich die Gefahr, dass die Behörde erneut einen Verwaltungsakt mit dem Inhalt des erledigten Verwaltungsakts oder zumindest einen gleichartigen Verwaltungsakt erlässt, so kann dies nach allgemeiner Meinung einen Antrag nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO rechtfertigen, wenn die Wiederholungsgefahr hinreichend konkret ist (vgl. BVerfG, B.v. 3.3. 2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77; BVerwG, U.v. 14.3.2013 – 7 C 34/11 – NVwZ 2013, 1407 und U.v. 18.12.2007 – 6 C 47/06 – NVwZ 2008, 571; Schmidt in Eyermann, VwGO, § 113 Rn. 86a; Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 141). Das berechtigte Interesse für eine Fortsetzungsfeststellungsklage wegen Wiederholungsgefahr setzt nämlich voraus, dass auch in Zukunft unter wesentlich unveränderten Umständen die hinreichend bestimmte Gefahr besteht, dass erneut ein gleichartiger Verwaltungsakt erlassen wird. Es müssen also die gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse vorliegen wie in dem für die Beurteilung des erledigten Verwaltungsakts maßgeblichen Zeitpunkt (BVerwG, U.v. 12.10.2006 – 4 C 12/04 – juris; Schmidt in Eyermann, VwGO, § 113 Rn. 86a).
Nach der durchgeführten mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass eine konkrete Gefahr, dass der Kläger in Zukunft derartigen polizeilichen Maßnahmen in gleichartigen Situationen ausgesetzt sein wird, schon deshalb nicht gegeben ist, weil sich mittlerweile die maßgeblichen Umstände geändert haben. Denn der Kläger hat (am Ende der mündlichen Verhandlung) auf Frage des Gerichts erklärt, dass er zwar nach wie vor (auch) nachts spazieren gehe. Die Kamera habe er damals nur benutzt, weil sie neu gewesen sei und er sie in einer menschenleeren Gegend habe ausprobieren wollen. Wenn er jetzt nachts spazieren gehe, führe er keine Videoaufnahmen mehr durch. Wenn der Kläger aber nun zur Nachtzeit keine Videoaufnahmen in Gewerbe- oder ähnlichen Gebieten mehr durchführt, besteht auch nicht mehr das Risiko, dass er von der Polizei deswegen angehalten und Maßnahmen der Identitätsfeststellung sowie der Durchsuchung der Dateien auf dem Videorecorder unterzogen wird.
Nach allem war die Fortsetzungsfeststellungsklage des Klägers mangels Fortsetzungsfeststellungsinteresses als unzulässig abzuweisen. Nichts anderes – nämlich das Fehlen des Feststellungsinteresses – gilt, wenn aufgrund mangelnder Verwaltungsaktsqualität der „Durchsuchung“ der Tasche und der Bitte um Löschung der Dateien von der Statthaftigkeit einer Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO auszugehen wäre.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i. V. m § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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