Verwaltungsrecht

Freiheitsentziehungsverfahren im Asylverfahren

Aktenzeichen  3 XIV 40/16 (B)

Datum:
30.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Mühldorf
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60, § 62
FamFG FamFG § 420, § 425

 

Leitsatz

Der Haftgrund des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 AufenthG ist gegeben, wenn der Betroffene seine Rückführung bewusst und in billigender Absicht durch passiven Widerstand vereitelt und sich damit seiner Abschiebung entzieht; muss deshalb ein sicherheitsbegleiteter Rückflug organisiert werden, ist die Verlängerung der Sicherungshaft erforderlich und unverzichtbar. (redaktioneller Leitsatz)
Der Haftgrund des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 iVm § 2 Abs. 14 Nr. 6 AufenthG ist erfüllt, wenn der Betroffene neben passivem Widerstand anlässlich seiner Abschiebung ausdrücklich erklärt, dass er nicht abgeschoben werden will. (redaktioneller Leitsatz)
Ob eine Abschiebung zu Recht erfolgt oder Abschiebungshindernisse vorliegen, ist grundsätzlich nicht vom Haftrichter, sondern von den jeweils zuständigen Verwaltungsgerichten zu entscheiden (BGH BeckRS 2010, 07170). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1.
Gegen d. Betroff. wird die mit Beschluss des AG Landshut vom 08.03.2016 angeordnete Sicherungshaft verlängert, § 62 AufenthG.
2.
Die Haft endet nunmehr spätestens am 09.05.2016.
3.
Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.
4.
Dem Betroffenen wird für den ersten Instanzenzug unter Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe Rechtsanwalt Dr. Bethäuser zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts bestellt.

Gründe

Gründe:
I.
1. D. Betroff, ist syrischer Staatsangehöriger.
Sein nach Ersteinreise in die BRD gestellter Asylantrag wurde durch das BAMF am 16.02.2015 im Ergebnis unanfechtbar als unzulässig abgelehnt; zugleich wurde ihm die Abschiebung angedroht. Nachdem er bereits ein Asylverfahren in Bulgarien durchlief, in welchem er die Zuerkennung internationalen Schutzes erhielt, erfolgte am 11.01.2016 die Abschiebung nach Bulgarien.
Lediglich zwei Wochen später, nämlich am 26.01.2016 gegen 03:00 Uhr reiste der Betroffene über den ehemaligen Grenzübergang Simbach a. Inn erneut in die BRD ein, wo er sich bis zu seiner vorläufigen Festnahme am gleichen Tag um 04:30 Uhr in Passau aufhielt.
Über einen Reisepass oder sonstigen Aufenthaltstitel verfügte der Betroffene nicht.
2. Am 08.03.2016 ordnete das Amtsgericht Landshut, bestätigt durch Beschluss des Landgerichts Landshut vom 16.03.2016 und im Folgenden weiter bestätigt durch Beschluss des BGH vom 21.03.2016, Sicherungshaft für die Dauer von zwei Wochen an; diese Sicherungshaft endete am 24.03.2016. An diesem Tag erließ das AG Mühldorf auf Antrag der Ausländerbehörde – der Rückführungsflug war kurze Zeit vorher am Widerstand des Betroffenen gescheitert, der Betroffene war auf dem Weg vom Münchener Flughafen in die Abschiebehaftanstalt Mühldorf – eine einstweilige Anordnung für die Dauer von 1 Woche.
Am 29.03.2016 beantragte die Ausländerbehörde dann gegen d. Betroff. gemäß §§ 62 III, 60 AufenthG, 420, 425 III FamFG, die Verlängerung der Abschiebehaft bis zur vollzogenen Abschiebung, längstens jedoch für 6 Wochen anzuordnen. Hinsichtlich der Haftdauer wird auf den Verlängerungsantrag verwiesen.
II.
Im Rahmen der heutigen Vorführung wurde d. Betroff. gemäß § 420 I 1 FamFG in der gebotenen Weise vor der Entscheidung rechtliches Gehör gewährt. Auch wurde die Gewährung rechtlichen Gehörs für die einstweilige Anordnung vom 24.03.2016 nachgeholt.
Der Haftantrag der beteiligten Ausländerbehörde ist d. Betroff. vor der Anhörung übersetzt und damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben worden. Ein Abdruck des Antrags ist d. Betroff. überlassen worden. D. Betroffene war in der Lage, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde zu äußern. Es handelt sich vorliegend um einen überschaubaren Sachverhalt, den d. Betroff. vor der Anhörung ausreichend erfassen konnte. Zudem hatte er bereits aufgrund des Erstbeschlusses des AG Landshut, bestätigt durch den kompletten Instanzenzug, Kenntnis von den tatsächlichen Umständen, die die Ausländerbehörde dem Antrag zugrunde gelegt hat.
Bei der mündlichen Anhörung am 30.03.2016 erklärte d. Betroff., dass er nicht nach Bulgarien zurück will.
Im Übrigen wird auf die Niederschrift vom heutigen Tag Bezug genommen.
III.
1. Die zuständige Ausländerbehörde hat den Haftantrag zulässig und ausreichend begründet.
Das AG Mühldorf ist zuständig, der Betroffene befand sich beim Erlass der einstweiligen Anordnung auf dem Rückweg in die und befindet sich nunmehr in der Abschiebehaftanstalt Mühldorf.
Der vorliegende Haftantrag genügt den Darlegungsanforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGH vom 15.09.2011, Az V ZB 123/11; vom 10.05.2012, Az V ZB 246/11). Insbesondere werden verlangt – wie hier erfolgt – Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer, §§ 425 III, 417 II 2 Nr. 3-5 FamFG. Das Darlegungserfordernis soll gewährleisten, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche die Behörde ihren Antrag stützt, und dass das rechtliche Gehör d. Betroff. durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 II FamFG gewahrt wird, wobei die Darlegungen knapp gehalten sein dürfen, solange sie die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen (BGH FGPrax 2011, 317).
Das Gericht erachtet diese Voraussetzungen unter Bezugnahme auf I. für erfüllt.
Insbesondere hat die Ausländerbehörde auch schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, warum die Verlängerung der Sicherungshaft erforderlich und unverzichtbar ist (vgl. auch BGH vom 12.09.2013, Az V ZB 171/12).
Sie trägt hierzu plausibel vor: Durch den passiven Widerstand des Betroffenen wurde die grundsätzlich am 24.03.2016 durchführbare Abschiebung vereitelt. Es muss nunmehr ein sicherheitsbegleiteter Rückflug organisiert werden, wofür 6 Wochen zu veranschlagen sind; ein erneuter Schubauftrag wurde bereits unmittelbar nach Scheitern des Rückführungsflugs erteilt.
Die Dauer der angeordneten Haft wird somit von der Behörde glaubhaft mit den für die Organisation und Durchführung der Abschiebung nach Bulgarien notwendigen Erfordernissen, mithin mit der voraussichtlichen Dauer des Rücknahmeverfahrens begründet. Die im Antrag angegebenen einzelnen Zeitspannen sind für die organisatorische Realisierung der Abschiebung einerseits erforderlich, andererseits aber auch ausreichend.
Sollte das Rücknahmeverfahren vor Ablauf der Frist abgeschlossen sein, so ist die Behörde aufgrund des Beschleunigungsgebots gehalten, d. Betroff. unverzüglich abzuschieben, vgl. auch § 62 I 2 AufenthG.
Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft liegt vor, § 72 IV 1 AufenthG.
2. Mit dem unter I. geschilderten Sachverhalt ist der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 AufenthG).
Aufgrund der unter Ziffer 2 festgestellten vollziehbaren Ausreisepflicht besteht der Haftgrund des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG.
Weiterhin ist der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Ziff. 4 AufenthG gegeben. Der Betroffene hat seine Rückführung bewusst und in billigender Absicht (Renner § 62 AufenthG Rz. 73) durch passiven Widerstand vereitelt und sich damit seiner Abschiebung entzogen.
Auch liegt der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Ziff. 5 i. V. m. § 2 Abs. 14 AufenthG vor.
Es besteht der begründete Verdacht, dass sich die Betroffene der Abschiebung durch Flucht oder Untertauchen entziehen will.
Die Annahme der Entziehungsabsicht setzt konkrete Umstände, insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen d. Betroff. voraus, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten oder es nahelegen, dass d. Betroff. beabsichtigt unterzutauchen oder die Abschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann (BGH vom 03.05.2012, Az V ZB 244/11; Renner, Ausländerrecht, § 62 AufenthG Rz. 76).
Konkrete Anhaltspunkte i. S. d. § 2 Abs. 14 AufenthG liegen in Folgendem begründet:
Der passive Widerstand begründet zugleich auch den Haftgrund des § 62 Abs. 3 Ziff. 5 i. V. m. § 2 Abs. 14 Nr. 6 AufenthG.
Letztlich hat der Betroffene sowohl bei seinem Aufgriff durch die BPI Passau am 26.01.2016 sowie beim Abschiebeversuch am 24.03.2016 gegenüber Polizeibeamten ausdrücklich erklärt, dass er nicht abgeschoben werden will, § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 i. V. m. § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG.
Im Übrigen wird ergänzend auf die Gründe des Antrages Bezug genommen.
3. Gründe, die ein Absehen von der Sicherungshaft gem. § 57 Abs. 1, Abs. 3, 62 Abs. 3 S. 3 AufenthG rechtfertigen können, sind nicht ersichtlich bzw. nicht glaubhaft gemacht.
Im Übrigen liegen Abschiebungshindernisse nicht vor. Ob die Abschiebung nach Bulgarien zu Recht erfolgt, ist nicht vom Haftrichter, sondern von den jeweils zuständigen Verwaltungsgerichten zu entscheiden (BGH vom 25.02.2010, Az V ZB 172/09); der Haftrichter ist letztlich nicht befugt, über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen – mit wenigen Ausnahmen, die eine Sachverhaltsermittlung des Haftrichters erfordern (vgl. hierzu BGH a. a. O.) – zu entscheiden.
Umstände, die einer Durchführung der Abschiebung innerhalb der nächsten 3 Monaten aus Gründen, die d. Betroff. nicht zu vertreten hat, bzw. innerhalb von 6 Monaten nach seiner Einreise, entgegenstehen, sind nicht erkennbar (§ 57 Abs. 3, 62 Abs. 3 S. 4, IV 1 AufenthG). Die Verlängerung der Sicherungshaft hat der Betroffene im Übrigen durch sein eigenes Verhalten beim Rückführungsversuch verschuldet.
4. Ein milderes Mittel als die Inhaftierung des Betroffenen im Sinne von § 62 Abs. 1 AufenthG ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist – angesichts der unter Ziffer 3 dargelegten Gegebenheiten – die Hinterlegung von Ausweispapieren bzw. eine Meldeauflage bzw. die Auflage, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, vorliegend nicht ausreichend.
Das Verfahren beruht auf den §§ 416, 418, 419, 420, 421, 425 III FamFG.
Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung beruht auf § 422 Abs. 2 FamFG.

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