Verwaltungsrecht

Gehörsrüge: Darlegungsanforderungen zu Vorbringen in der mündlichen Verhandlung

Aktenzeichen  14 ZB 19.30492

Datum:
14.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2685
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 105, § 138 Nr. 3
ZPO § 160 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Sachvortrag im Zulassungsverfahren, den das Protokoll des Verwaltungsgerichts nicht enthält. (Rn. 6)
1. Zur hinreichenden Darlegung der Gehörsrüge des Asylbewerbers, das Verwaltungsgericht habe sein Vorbringen in der mündlichen Verhandlung nicht (vollständig) zur Kenntnis genommen, ist  schlüssig aufzuzeigen, dass die Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht tatsächlich abgegeben wurde.  (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ergeben sich wichtige Äußerungen nicht aus dem umfänglichen Protokoll des Verwaltungsgerichts, muss sich der Asylbewerber damit auseinandersetzen, warum nicht spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gemäß § 105 VwGO, § 160 Abs. 4 S. 1 ZPO beantragt wurde, diese Äußerungen in das Protokoll aufzunehmen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 28 K 17.37025 2018-12-13 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Soweit Zulassungsgründe i.S.v. § 78 Abs. 3 AsylG ausdrücklich oder sinngemäß geltend gemacht werden, sind sie nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegen nicht vor.
1. Der Kläger bringt vor, das Verwaltungsgericht gehe davon aus, die Angaben des Klägers seien unglaubwürdig. Es führe hierzu aus, dass die Anforderungen an eine ernsthafte Konversion umso strenger zu werten seien, als es im Verfahren des Klägers vor dem maßgeblichen Zeitpunkt Anhaltspunkte für eine asyltaktisch motivierte Konversion gebe. Es werde nicht klar, in welchem Verhalten des Klägers das Gericht Anhaltspunkte für eine asyltaktisch motivierte Konversion sehe. Die Feststellung des Gerichts, der Kläger sei unverfolgt aus dem Iran ausgereist, sei zwar zutreffend. Sie könne aber nicht zulasten der Glaubwürdigkeit des Klägers getroffen werden, da dieser – entgegen seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt – eingeräumt habe, nicht vorverfolgt worden zu sein aufgrund seines Interesses an dem christlichen Glauben und seiner Besuche in der Hauskirche. Zur Akte gereicht werde eine Bestätigung des ICF München e.V. (vom 7.2.2019). Darin werde (nochmals) bestätigt, dass der Kläger nicht ausschließlich die Taufe dort empfangen habe, sondern sich darüber hinaus auch in die Gemeinde einbringe und sich mit dem christlichen Glauben beschäftige. Das Gericht berücksichtige im angegriffenen Urteil auch nicht, dass der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch Zeugnis für seinen christlichen Glauben abgelegt habe. Er habe „(sinngemäß) folgendes gesagt: ´Eine Sache spricht mir aus dem Herzen; Sie wissen nicht ob ich Christ bin, vielleicht glauben Sie mir, oder vielleicht glauben Sie mir nicht, dies ist für mich nicht so wichtig. Wichtig für mich ist wie ich lebe. Das Gericht kann den Lauf meines Lebens bestimmen, aber ich lebe mit Jesus Christus. Ob ich Christ bin oder nicht, ob ich an Jesus Christus glaube oder nicht kann nur derjenige wissen, der mit mir zusammen lebt. Ich glaube daran und ich bin sehr glücklich darüber, danke Gott tausendmal, danke Jesus Christus tausendmal, dass ich zur inneren Ruhe gekommen bin. Da war vorher ein leerer Platz in meinem Leben´.“ Dieses Bekenntnis hätte das Verwaltungsgericht in seinem Urteil würdigen müssen, gerade weil es davon ausgehe, dass der Kläger zwar intellektuell über das Christentum informiert sei, aber keine innere Hinwendung seinerseits zum Christentum annehme.
2. Dieses Vorbringen rechtfertigt eine Zulassung der Berufung nicht, insbesondere scheidet eine Zulassung der Berufung wegen eines in § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) aus.
2.1. Soweit der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht berücksichtige im angegriffenen Urteil nicht, dass er im Rahmen der Verhandlung auch Zeugnis für seinen christlichen Glauben abgelegt habe, und er dieses Zeugnis sinngemäß wiedergibt, ist eine Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO) nicht hinreichend dargetan.
Zwar kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) darin liegen, dass entscheidungserheblicher Vortrag von einem Gericht nicht zur Kenntnis genommen wird oder unerwogen bleibt (BVerfG, B.v. 23.1.1991 – 2 BvR 902/85 u.a. – BVerfGE 83, 216/229 f.). Allerdings sind die Gerichte nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfG, B.v. 12.10.1988 – 1 BvR 818/88 – BVerfGE 79, 51/61 m.w.N.). Dies ist nur der Fall, wenn Tatsachen oder Tatsachenkomplexe übergangen werden, deren Entscheidungserheblichkeit sich aufdrängt (BVerwG, B.v. 1.10.1993 – 6 P 7.91 – NVwZ-RR 1994, 298 m.w.N.).
2.1.1. Der Kläger legt – worin bereits für sich genommen ein durchgreifender Darlegungsmangel liegt – schon nicht schlüssig dar, dass er das christliche Zeugnis, auf welches er sich nun zur Begründung seines Zulassungsantrags bezieht, in der mündlichen Verhandlung vor der Verwaltungsgericht tatsächlich abgegeben hat, dass also insoweit tatsächliches Vorbringen seinerseits vorlag, das vom Verwaltungsgericht entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden sein könnte. Das Zulassungsvorbringen belässt es bei der bloßen Behauptung, der Kläger habe das nun sinngemäß wiedergegebene Zeugnis für seinen christlichen Glauben im Rahmen der mündlichen Verhandlung abgelegt. Es setzt sich nicht damit auseinander, dass das Protokoll über die mündliche Verhandlung, das über neun Seiten hinweg Äußerungen des Klägers wiedergibt, dieses Zeugnis nicht enthält. Gerade wenn dem Kläger dieses christliche Zeugnis so wichtig gewesen wäre, hätte er beim Verwaltungsgericht spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2011 – 9 A 8.10 – NVwZ-RR 2011, 383 Rn. 1 m.w.N.) gemäß § 105 VwGO, § 160 Abs. 4 Satz 1 ZPO beantragen können, diese Äußerungen seinerseits in das Protokoll aufzunehmen. Das Protokoll über die mündliche Verhandlung beim Verwaltungsgericht enthält aber auch weder einen solchen Protokollierungsantrag des Klägers noch einen sonstigen Unvollständigkeits- oder Unrichtigkeitseinwand seinerseits, obwohl das Verwaltungsgericht eingangs seines Protokolls (VG-Protokoll S. 2 Mitte) darauf hingewiesen hatte, dass eventuelle Fehler, Unstimmigkeiten oder Ähnliches bei Aufnahme der informatorischen Befragung gleich nach der Rückübersetzung geltend zu machen seien und eine Rückübersetzung der gesamten informatorischen Befragung am Ende der Sitzung nicht vorgesehen sei. Auch mit diesen Aspekten, die dagegen sprechen, dass er das christliche Zeugnis, auf welches er sich nun bezieht, in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht abgegeben hat, setzt sich der Kläger nicht auseinander.
2.1.2. Unabhängig davon sind Umstände, die ausnahmsweise dafür sprechen könnten, dass das Verwaltungsgericht Tatsachen oder Tatsachenkomplexe übergangen haben könnte, deren Entscheidungserheblichkeit sich aufdrängt, vom Kläger nicht hinreichend dargetan, weil sich das Zulassungsvorbringen auch nicht genau genug mit der Argumentation des angegriffenen Urteils befasst. Nachdem das Verwaltungsgericht im Zuge einer Gesamtwürdigung des klägerischen Vorbringens – auch zur Zuwendung zum Christentum bereits im Iran – insbesondere unter Verweis auf verschiedene Widersprüche zwischen dem Vortrag beim Bundesamt und demjenigen in der mündlichen Verhandlung (UA S. 8 Mitte bis S. 9 unten) angenommen hatte, dass der Kläger unverfolgt aus dem Iran ausgereist ist, ist es auch im Rahmen der Würdigung des Nachfluchtgeschehens nicht von einer identitätsprägenden Hinwendung des Klägers zum Christentum ausgegangen (UA S. 11 ff.). Dabei hat es die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung als streckenweise floskelhaft sowie sich in Teilen auf Allgemeinplätze beschränkend bewertet und die Gründe des Klägers für seine Hinwendung zum Christentum als nicht vollständig nachvollziehbar gewertet, wobei es auf das auch die Geschehnisse im Iran betreffende Vorbringen des Klägers zu seiner Konversion wegen seiner Freundin einging (UA S. 13 Mitte bis S. 14 oben). Inwieweit es sich angesichts dieser argumentativen Kette aufdrängen sollte, dass das vom Kläger nun angeführte christliche Zeugnis (unterstellt, dass es so erklärt wurde) übergangen worden sein könnte, legt die Zulassungsbegründung nicht näher dar.
2.2. Auch soweit das Zulassungsvorbringen der Sache nach unter Vorlage der Kopie einer Bestätigung des ICF München e.V. vom 7. Februar 2019 die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts kritisiert, ist damit kein Verfahrensfehler, insbesondere kein Gehörsverstoß i.S.v. § 138 Nr. 3 VwGO (i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG), dargelegt.
2.2.1. Wird die Beweiswürdigung als solche gerügt, scheidet eine allein darauf gestützte Gehörsverletzung aus. Denn in der Regel sind die Grundsätze der Beweiswürdigung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2013 – 10 B 19.13 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO Nr. 67 Rn. 4 m.w.N.). Zwar kann die Beweiswürdigung ausnahmsweise verfahrensfehlerhaft i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sein, wenn sie objektiv willkürlich ist, gegen Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet. Jedoch liegt auch bei einer mit derart schweren Mängeln behafteten Sachverhaltswürdigung ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs i.S.v. § 138 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO nicht vor (vgl. BayVGH, B.v. 17.5.2018 – 14 ZB 17.30263 – juris Rn. 8 m.w.N.). Ein Gehörsverstoß kann sich in diesem Zusammenhang nicht aus Fehlern der Beweiswürdigung als solcher, sondern – wenn überhaupt – aus spezifisch auf das rechtliche Gehör bezogenen Fehlern ergeben, etwa wenn gleichzeitig eine Überraschungsentscheidung vorliegt (vgl. BVerwG, U.v. 3.4.1987 – 4 C 30.85 – NJW 1988, 275). Letzteres ist aber schon nicht hinreichend dargelegt.
2.2.2. Unabhängig davon führt die als Anlage zur Zulassungsbegründung in Kopie vorgelegte Bestätigung des ICF München e.V. vom 7. Februar 2019 im vorliegenden Berufungszulassungsverfahren jedenfalls nicht zu einem Verfahrensfehler im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG. Neue Umstände – die hinsichtlich dieser Bestätigung vorliegen mögen, weil sie nach Urteilserlass erstellt wurde – können im Stadium des asylrechtlichen Berufungszulassungsverfahrens zwar im Rahmen des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) Berücksichtigung finden, wenn auch nur für den Fall, dass es sich bei den vorgetragenen Tatsachen um solche von verallgemeinerungsfähiger Bedeutung handelt, weil sonst insoweit eine Möglichkeit zur Geltendmachung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils eröffnet würde, die § 78 Abs. 3 AsylG (anders als § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) aber gerade nicht vorsieht (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2012 – 14 ZB 12.30259 – juris Rn. 12 f. m.w.N.). Jedoch ist vorliegend eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) weder ausdrücklich noch sinngemäß geltend gemacht.
3. Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger, der dieses Rechtsmittel vorliegend ohne Erfolg eingelegt hat (§ 154 Abs. 2 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die angegriffene Entscheidung rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

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