Aktenzeichen 4 T 4506/15
Leitsatz
1 Passersatzpapiere werden durch Algerien auch ohne Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung ausgestellt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Betroffener hat eine voraussichtlich über drei Monate dauernde Haftdauer zu vertreten (§ 62 Abs. 3 S. 3 AufenthG), wenn er ohne Reisepass eingereist ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3 Enthält ein Beschluss im Tenor nicht den Ausspruch über die sofortige Vollziehbarkeit, begründet er jedoch in den Gründen die sofortige Vollziehbarkeit nach § 422 FamFG, kann der Beschluss dahingehend ausgelegt werden, dass diese angeordnet werden sollte. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
XIV 39/15 2015-12-03 AGLAUFEN AG Laufen
Tenor
1. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vollzugs der mit Beschluss des Amtsgerichts Laufen vom 03.12.2015 angeordneten und bis 04.01.2016 vollzogenen Haft wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Betroffene.
4. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Betroffene wurde bereits am 27.11.2015 nach versuchter unerlaubter Einreise nach Österreich zurückgewiesen (vgl. Befragung Bl. 34/36; Zurückweisungsverfügung Bl. 37).
Der Betroffene reiste am 02.12.2015 gegen 11.15 Uhr zu Fuß am Grenzübergang Laufen von Österreich aus kommend nach Deutschland ein. Bei einer polizeilichen Kontrolle konnte er sich mit keinen aufenthaltslegitimierenden Dokumenten ausweisen. Er wurde am 02.12.2015 wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise polizeilich vernommen (Protokoll Bl. 30/33).
Mit Schreiben vom 03.12.2015 beantragte die beteiligte Behörde beim Amtsgericht Laufen die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung bis 03.05.2016. Der Betroffene sei nach dem Rückübernahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Algerien dorthin abzuschieben. Es liege der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Nr. 5, § 2 Abs. 14 Nr. 2, 3, 4, 5 AufenthG vor. Der Betroffene habe durch das Verlieren bzw. Entsorgen seines Reisepasses seine Identität zu verschleiern versucht und die gesetzliche Mitwirkungspflicht zur Feststellung der Identität verletzt (§ 2 Abs. 14 Nr. 2, 3 AufenthG). Er habe für seine Schleusung einen hohen Geldbetrag bezahlt (§ 2 Abs. 14 Nr. 4 AufenthG). Aufgrund seiner Aussage bestehe der Verdacht, dass der Betroffene untertaucht und sich der Zurückschiebung entziehen wolle (§ 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG). Nach Auskunft der algerischen Botschaft dauere die Passbeschaffung vier bis sechs Monate.
Am 03.12.2015 hörte der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Laufen den Betroffenen an (Protokoll Bl. 18/19). Mit Beschluss vom 03.12.2015 (Bl. 15/17) ordnete das Amtsgericht Laufen gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung an (Ziffer 1), die bis längstens 03.05.2016 dauert (Ziffer 2). Die sofortige Vollziehbarkeit wurde im Tenor nicht angeordnet. Das Amtsgericht nahm Fluchtgefahr an, da der Betroffene angekündigt habe, im Falle seiner Freilassung unterzutauchen.
Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen legte mit Schriftsatz vom 13.12.2015 (Bl. 22) Beschwerde ein, beantragte die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen und stellte Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe. Er begründete die Beschwerde mit Schriftsätzen vom 02.01.2016 (Bl. 44/45), 05.01.2016 (Bl. 53/54) und 20.01.2016 (Bl. 63/64). Die beteiligte Behörde nahm mit Schreiben vom 22.12.2015 (Bl. 38/40) und 12.01.2016 (Bl. 57/62) zur Beschwerde Stellung.
Der beauftragte Richter der 4. Zivilkammer des Landgerichts Traunstein hörte den Betroffenen am 04.01.2016 persönlich an (Protokoll Bl. 48/51).
Am 04.01.2016 wurde der Betroffene von der beteiligten Behörde wegen der fehlenden Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit im Beschluss des Amtsgerichts Laufen aus der Haft entlassen (Bl. 46/47).
II.
1. Gegen die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung durch Beschluss des Amtsgerichts Laufen vom 03.12.2015 ist gemäß § 106 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 58 Abs. 1 FamFG das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Diese wurde fristgerecht innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 63 Abs. 1 FamFG) eingelegt und ist zulässig. Da sich das Beschwerdeverfahren durch Entlassung aus der Haft am 04.01.2016 erledigt hat, kann nach § 62 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 FamFG die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft begehrt werden.
2. Der Feststellungsantrag ist unbegründet.
Der Betroffene war aufgrund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 AufenthG). Seine Einreise war unerlaubt, da er den erforderlichen Pass nach § 3 AufenthG oder Aufenthaltstitel nach § 4 AufenthG nicht besaß (§ 14 Abs. 1 AufenthG).
a) Der Anordnung der Abschiebehaft lag ein zulässiger und ausreichend begründeter Haftantrag der beteiligten Ausländerbehörde vom 03.12.2015 zugrunde. Für Abschiebehaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Zurückschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (vgl. § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 – 5 FamFG). Inhalt und Umfang der erforderlichen Darlegung bestimmen sich nach dem Zweck des Begründungserfordernisses. Es soll gewährleisten, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche die Behörde ihren Antrag stützt, und dass das rechtliche Gehör des Betroffenen durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 Abs. 2 FamFG gewahrt wird (BGH vom 22. Juli 2010, V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511). Die Darlegungen dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen (BGH vom 15.09.2011, FGPrax 2011, 317).
(1) Aus dem Haftantrag der beteiligten Behörde vom 03.12.2015 geht hervor, dass der Betroffene nach dem Rückübernahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Algerien nach Algerien abgeschoben werden soll.
(2) Im Antrag wird ausgeführt, dass eine Passbeschaffung über das algerische Konsulat in Frankfurt erforderlich ist, was nach Auskunft der algerischen Botschaft gegenüber dem Bundespolizeipräsidium vier bis sechs Monate dauert. Anschließend muss noch der Flug nach Algerien organisiert werden. Zwar hat die beteiligte Behörde ausgeführt, dass ein Zeitansatz von sechs Monaten zugrunde gelegt wird. Hierbei handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler. Tatsächlich hat die beteiligte Behörde ca. fünf Monate zugrunde gelegt, nämlich von 02.12.2015 bis 03.05.2016. Es ist nicht zu beanstanden, dass die beteiligte Behörde von der Zeitangabe der Botschaft von vier bis sechs Monaten mit rund fünf Monaten einen Mittelwert genommen hat.
(3) Die Haftanordnung war nicht deshalb rechtwidrig, weil – wie der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen vortrug – Passersatzpapiere durch Algerien nicht ohne Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung ausgestellt würden. Nach Auskunft der beteiligten Behörde vom 12.01.2016 (Bl. 56/59), die sich bei der zentralen Rückführungsstelle der Regierung von Oberbayern erkundigt hat, ist eine solche Erklärung nicht erforderlich.
b) Der Haftantrag enthält das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft Traunstein für die geplante Abschiebung. Im Übrigen war das Einvernehmen nach der gültigen Fassung des § 72 Abs. 4 AufenthG nicht mehr erforderlich.
c) Es bestand der Haftgrund der Fluchtgefahr im Sinne von § 62 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 5, § 2 Abs. 15 Satz 1, Abs. 14 Ziffer 4, 5 AufenthG.
(1) Es bestand der Haftgrund des § 2 Abs. 14 Ziffer 4 AufenthG. Hiernach kann ein konkreter Anhaltspunkt für eine Fluchtgefahr sein, wenn der Ausländer zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96 AufenthG aufgewandt hat, die für ihn nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass daraus geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren. Nach seinen Angaben bei der richterlichen Anhörung vor dem beauftragten Richter des Landgerichts am 04.01.2016 hat der Betroffene für die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland 400,00 € an einen Schleuser gezahlt (vgl. Protokoll Bl. 48/51). Dieser Betrag war für ihn ein erheblicher Betrag, da er nach seinen Angaben bei der polizeilichen Vernehmung in seiner Heimat als Tagelöhner gearbeitet hat und die wirtschaftliche Lage sehr schlimm war. Dieser Betrag wäre im Falle einer Abschiebung nach Algerien vergeblich aufgewendet gewesen.
(2) Es bestand auch der Haftgrund der Fluchtgefahr des § 62 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 5, § 2 Abs. 14 Ziffer 5 AufenthG. Danach kann ein konkreter Anhaltspunkt für eine erhebliche Fluchtgefahr sein, wenn der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Für eine fehlende Bereitschaft, sich für eine Abschiebung in das Heimatland zur Verfügung zu stellen, spricht bereits der Umstand, dass sich der Betroffene – wie er bei der polizeilichen Vernehmung eingeräumt hat – bei der Einreisekontrolle zunächst als syrischer Staatsangehöriger ausgegeben hatte. Anlässlich der polizeilichen Vernehmung am 02.12.2015 hat er auf die Frage, ob er sich einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zur Verfügung halten würde, angegeben, dass er untertauchen und versuchen würde nach Spanien zu reisen, wo ein Onkel von ihm lebe. Bei der richterlichen Anhörung vor dem Amtsgericht Laufen gab er an, dass er nicht nach Algerien zurückwolle. Die Kammer hat daher keine Zweifel, dass der Betroffene sich einer Abschiebung nicht gestellt hätte und untergetaucht wäre, um sich in ein anderes Land abzusetzen.
d) Die Haftanordnung war nicht deshalb rechtswidrig, da die Abschiebung voraussichtlich nicht innerhalb von drei Monaten hätte durchgeführt werden können. Eine über drei Monate hinausgehende Haftanordnung ist nur dann zulässig, wenn aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen die Abschiebung erst nach mehr als drei Monaten durchgeführt werden kann (§ 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG). Der Betroffene hatte die voraussichtlich über drei Monate dauernde Haftdauer zu vertreten, weil er ohne Reisepass eingereist war. Die Einlassung des Betroffenen betreffend den Verlust des Reispasses erachtet die Kammer als nicht glaubwürdig. Bei der polizeilichen Vernehmung gab er noch an, das Gepäck mit dem Pass auf der Reise nach Griechenland verloren zu haben. Bei der richterlichen Anhörung am 03.01.2016 schilderte er dann, dass das Boot wegen hoher Wellen in der Nacht 100 bis 200 Meter vor dem Ufer umgekippt sei und er daher alles weggeben musste. Wenn der Verlust des Gepäcks samt Ausweis wirklich so dramatisch gewesen wäre, wie es der Betroffene am 03.01.2016 geschildert hat, ist nicht nachvollziehbar, dass er bei der ausführlichen polizeilichen Vernehmung nur schlicht angegeben hat, er habe das Gepäck auf der Reise nach Griechenland „verloren“. Die Kammer geht vielmehr davon aus, dass der Betroffene den Pass bewusst entsorgt hat, um seine Identität zu verschleiern und eine schnelle Abschiebung nach Algerien zu verhindern.
e) Die Haft war nicht wegen eines gestellten Asylantrages aufzuheben. Soweit der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen im Schriftsatz vom 20.01.2016 behauptet, dass der Betroffene aus der Haft heraus mit Schreiben vom 09.12.2015 beim BAMF schriftlich Asylantrag gestellt habe, konnte dies nach Auskunft der beteiligten Behörde vom 16.02.2016 nicht nachvollzogen werden, da nach mehrfacher Auskunft beim BAMF, zuletzt am 04.01.2016, dort kein Asylantrag einging. Da gegen den Betroffenen gemäß § 62 Abs. 3 Ziffer 5 AufenthG Sicherungshaft verhängt wurde, wäre eine Asylantragstellung der Aufrechterhaltung der Haft nicht entgegengestanden (§ 14 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 4 AsylG). Auch wenn man die Stellung eines Asylantrages mit Schreiben vom 09.12.2015 unterstellt, wurde der Betroffene jedenfalls vor Ablauf der Frist von vier Wochen (§ 14 Abs. 3 Satz 3 AsylG) aus der Haft entlassen.
f) Der Haftgrund ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit (§ 62 Abs. 1 AufenthG) zu bejahen, da ein milderes Mittel als die Inhaftierung des Betroffenen zur Sicherung der Abschiebung nicht gegeben ist. Meldeauflagen, die Verwahrung des Passes oder die Verfügung, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten waren entweder nicht möglich, da der Betroffene keine Ausweisdokumente hat, oder nicht geeignet, um seine Abschiebung sicherzustellen.
g) Die Haftanordnung ist nicht wegen Verstoßes gegen den Beschleunigungsgrundsatz für rechtswidrig zu erklären. Die beteiligte Behörde hat das Verfahren mit der nötigen Eile betrieben. Nach Mitteilung der beteiligten Behörde vom 12.01.2016 wurde bereits mit Schreiben des Bundespolizeipräsidiums vom 04.01.2016 (Bl. 60/61), das am 07.01.2017 an das algerische Konsulat weitergeleitet wurde, das algerische Konsulat in Frankfurt um einen Anhörungstermin gebeten. Beim Anhörungstermin vom 04.01.2016 teilte der Vertreter der beteiligten Behörde mit, dass ein Sammeltermin bei der algerischen Botschaft für den 24.02.2016 angesetzt ist.
h) Der Vollzug der Haft war nicht deshalb rechtswidrig, weil die sofortige Vollziehbarkeit nicht angeordnet wurde. Zwar enthält der Beschluss des Amtsgerichts Laufen im Tenor nicht den Ausspruch über die sofortige Vollziehbarkeit. Da der Beschluss in den Gründen die sofortige Vollziehbarkeit nach § 422 FamFG begründet, kann der Beschluss dahingehend ausgelegt werden, dass diese angeordnet werden sollte (vgl. OLG Hamm vom 29.04.2008, FGPrax 2009, 135).
3. Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe war zurückzuweisen, da die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hatte (§ 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Satz 1 ZPO). Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe setzt neben der Bedürftigkeit des Betroffenen voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (vgl. BGH vom 20.05.2016, V ZB 140/15). Die Beschwerde war nicht erfolgreich.
Die Verfahrenskostenhilfe war auch nicht wegen der Schwierigkeit der Rechtslage zu gewähren. Da das Verfahrenskostenhilfeverfahren nicht dem Zweck dient, über zweifelhafte Rechtsfragen abschließend vorweg zu entscheiden, darf ein Gericht die Erfolgsaussicht nicht verneinen, wenn eine solche Rechtsfrage zu klären ist, auch wenn das Gericht in der Sache zu Ungunsten des Antragstellers entscheiden möchte. Entsprechendes muss dann gelten, wenn sich in tatsächlicher Hinsicht schwierige und komplexe Fragen stellen. (vgl. BGH a.a.O.). Solche schwierigen Fragen stellen sich im vorliegenden Verfahren nicht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
5. Die Festsetzung des Geschäftswerts der Beschwerde beruht auf §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 3 GNotKG.