Verwaltungsrecht

Herkunftsland Mali, unglaubhafte Verfolgungsgeschichte, kein Abschiebungsverbot

Aktenzeichen  M 21 S 17.38897

Datum:
17.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 30 Abs. 1, § 36 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen in Mali allgemein hart sind, stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG dar. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist malischer Staatsangehöriger. Er reiste am 31. Oktober 2015 von Italien kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 18. Juli 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 14. Oktober 2016 führte der Antragsteller zur Begründung seines Asylbegehrens aus, er habe in Mali bei einer Pflegefamilie gelebt, weil seine Eltern verstorben seien. Ein Junge habe Geld von seiner Pflegefamilie gestohlen, diese hätten ihn, den Antragsteller, verdächtigt und gedroht, er müsse ins Gefängnis, wenn er das Geld nicht zurückgäbe. Noch im Verlauf der Anhörung erklärte der Antragsteller, das Geld sei nicht seinen Pflegeeltern, sondern einem mächtigen Mann gestohlen worden. Diese habe ihn bedroht und überall im Land gesucht, weil er ihn der Polizei oder dem Geheimdienst übergeben wolle. Deshalb habe der Antragsteller fliehen müssen.
Mit Bescheid vom 22. April 2017, zugestellt am 28. April 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Mali angedroht. Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, aus dem Vorbringen des Antragstellers ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftsstaates aufhalte oder bei Rückkehr mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müsse. Der Antragsteller sei eines Diebstahls verdächtigt worden. Ihm drohe allein die Ahndung kriminellen Unrechts. Ob er sich tatsächlich strafbar gemacht habe, sei nicht entscheidungserheblich, da es dem Antragsteller zuzumuten sei, sich einem entsprechenden Verfahren zu stellen, um so sein rechtswidriges Verhalten aufarbeiten und sanktionieren zu lassen. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz1 AufenthG lägen entsprechend der allgemeinen Lage in Mali und unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers nicht vor.
Der Antragsteller hat am 4. Mai 2017 zur Niederschrift Klage erhoben (M 21 K 17.38896), mit der er (sinngemäß) beantragt, den Bescheid vom 22. April 2017 mit Ausnahme der Ziffer 2 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig beantragt er, hinsichtlich der Ausreiseaufforderung und der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung nimmt er Bezug auf sein Vorbringen gegenüber dem Bundesamt.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 9. Mai 2017 die Akten vorgelegt und sich weder zu der Klage noch zu dem Antrag geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Hinsichtlich eines vom Asylsuchenden geltend gemachten individuellen Verfolgungsschicksals muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Herkunftsstaat befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, gegenüber dem Tatgericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen. Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11). Werden im Laufe des Verfahrens ohne plausible Erklärung unterschiedliche Angaben gemacht, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach den Erkenntnismaterialien, der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert und insbesondere ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt, so kann den Aussagen in der Regel kein Glauben geschenkt werden.
Dies vorausgeschickt hat das Gericht erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der vom Antragsteller geschilderten Umstände seiner Flucht. Der entsprechende Vortrag zu einer Bedrohungssituation war durchgehend vage, nahezu inhaltsleer und vermittelte nicht den Eindruck einer selbst erlebten Bedrohungssituation. Insbesondere die noch im Verlauf der Anhörung plötzlich vorgetragene, nahezu komplett ausgetauschte Verfolgungsgeschichte des Antragstellers, wonach nunmehr nicht die Pflegeeltern, sondern eine dritte, mächtige Person bestohlen worden sei, wertet das Gericht als völlig unglaubhaften und im Ergebnis auch untauglichen Versuch, dem Vorbringen des Antragstellers asylrechtliche Relevanz zu verleihen. Selbst als wahr unterstellt ist der Vortrag des Antragstellers nicht geeignet, seinem Begehren nach Anerkennung als Asylberechtigter bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder jedenfalls subsidiären Schutzes zum Erfolg zu verhelfen. Denn es handelt sich bei der vom Antragsteller geschilderten Verfolgungsgefahr um eine solche der Strafverfolgung, die dem Antragsteller zuzumuten ist, zumal er nichts vorgetragen hat, was dies in Frage stellen würde.
Es besteht vorliegend überdies kein greifbarer Anhaltspunkt für die Annahme eines Abschiebungsverbots. Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen in Mali allgemein hart sind, stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die Abschiebung wäre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls auszusetzen, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – NVwZ 2002, 101), also im Falle einer schlechten Lebensmittelversorgung, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, a.a.O.).
Das ist bei einem voll erwerbsfähigen jungen Mann wie dem Antragsteller nicht an-zunehmen, zumal er bereits in Mali als Maurerhelfer gearbeitet und damit bewiesen hat, dass er so für seinen Lebensunterhalt sorgen kann.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Ge-richtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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