Aktenzeichen M 30 K 17.46191
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Die ablehnende Entscheidung des Bundesamtes vom 12. Juli 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG oder des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG. Ebenso liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich einer Abschiebung der Klägerin nach Sierra Leone vor.
1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylG, deren Inanspruchnahme zumutbar ist.
Subsidiärer Schutz ist einem Ausländer zuzuerkennen, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die §§ 3c bis 3e AsylG gelten entsprechend (§ 4 Abs. 3 AsylG).
Für die Prognose, die bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft (sowie bei der des subsidiären Schutzes) anzustellen ist, ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32). Die Tatsache, dass ein Drittstaatsangehöriger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gem. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betroffene erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
Hinsichtlich einer individuellen Verfolgung oder Bedrohung muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich ein Ausländer insbesondere hinsichtlich individueller Gründe für einen asylrechtlichen Schutzstatus befindet, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dabei obliegt es dem Ausländer, gegenüber dem Tatsachengericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Schutzbegehren lückenlos zu tragen. Der Ausländer muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen; er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171; BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – NVwZ 1985, 658; BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11). Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Asylsuchenden in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171; BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – NVwZ 1985, 658).
2. In Anwendung dieser Maßstäbe liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff AsylG oder des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG bei der Klägerin nicht vor.
a) Das Gericht vermag nicht zu erkennen, wieso die Klägerin vom (männlichen) Geheimbund, der vom Ex-Mann der Klägerin die Nachfolge dessen Vaters im Geheimbund fordern soll, in irgendeiner Weise von Verfolgung bedroht sein soll. Vielmehr lässt sich den verfügbaren Erkenntnissen über die Geheimbünde entnehmen, dass eine deutliche Trennung der Männer- und Frauengeheimbünde und ihrer Angelegenheiten besteht. Insbesondere dafür, dass die Ehefrau des Anführers der örtlichen Poro oder Gbangbani Society die Anführerschaft bei Bondo oder Sande zu übernehmen hat, gibt es keine Anhaltspunkte. Dies gilt vorliegend erst recht, nachdem die Klägerin sich von ihrem Mann getrennt hat. Selbst soweit die Nachfolgethematik des Ex-Mannes den gemeinsamen Sohn betreffen soll, führte dies nicht zu einer Verfolgung oder Bedrohung der Klägerin, zumal sich der Sohn nicht bei der Klägerin aufhält.
b) Eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung i.S.v. §§ 3 ff. AsylG oder eine erhebliche Bedrohung i.S.v. § 4 AsylG droht der Klägerin auch nicht anderweitig durch die Bondo Society. Zwar hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angegeben, gegen ihren Willen beschnitten und initiiert worden zu sein. Auch ihre Schwester habe durch den Einfluss der Stiefmutter auf den Vater dieses Schicksal erlitten. In Folge dessen ist aber weder ersichtlich noch vorgetragen, weshalb für die Klägerin für den Fall der Rückkehr nach Sierra Leone noch eine flüchtlingsschutzrelevante Bedrohung von der Bondo Society ausgehen soll. Insbesondere ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Klägerin eine weitere Initiierung oder Beschneidung drohen würde. Auch eine eigene Nachfolgeproblematik ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
c) Jedenfalls wäre die Klägerin auf eine inländische Fluchtalternative i.S.v. §§ 3e, 4 Abs. 3 AsylG zu verweisen.
(1) Es erscheint bereits fraglich, wie es einem Geheimbund grundsätzlich überhaupt möglich sein soll, die Klägerin in Sierra Leone zu finden. Schließlich existiert in Sierra Leone kein ausreichendes Melderegister (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17.10.2017). Wie das Auffinden von Personen gelingen soll, vermag das Gericht trotz der verhältnismäßig geringen Landesgröße Sierra Leones und einer zu unterstellenden gewissen Vernetzung der Geheimbünde untereinander nicht nachvollzuziehen. Den Erkenntnismitteln lassen sich keine Erkenntnisse über gezielte überörtliche (Organisations-)Strukturen der Societies entnehmen. Nur für die Geheimgesellschaft Bondo liegen Erkenntnismittel vor, die eine überregionale Zusammenarbeit von regional tätigen Beschneiderinnen, den sog. „Sowei“ darlegen (Ngambouk Vitalis Pemunta in Cogent Social Scienes, Cultural power, ritual symbolism and human rights violations in Sierra Leone, veröffentlicht am 3.3.2017, S. 12 ff.). Die Beschneiderinnen hätten aufgrund des von der Bevölkerung und ausländischen Nichtregierungsorganisationen ausgehenden Drucks und Kampagnen gegen weibliche Genitalverstümmelung die interne Vernetzung innerhalb der Geheimgesellschaft vorangetrieben. So gebe es einen beim Ministry of Social Welfare registrierten „Sowei-Council“ und mehrere regional agierende Strukturen (Ngambouk Vitalis Pemunta, ebd.). Diese Strukturen und Organisationen agierten überwiegend politisch, indem sie für ihre Überzeugungen werben und gegen ein landesweites Verbot von weiblicher Genitalbeschneidung ankämpfen. Zur Erreichung ihrer Ziele böten diese Organisationen Workshops an, luden zu Konferenzen und wendeten sich an die Medien; auch werde den Beschneiderinnen bei der Formulierung und Übermittlung politischer Botschaften geholfen (Ngambouk Vitalis Pemunta ebd.). Erkenntnismittel dafür, dass die Beschneiderinnen ihre Strukturen nutzen, um beispielsweise kritische Stimmen in der Bevölkerung zu verfolgen und durch Auftragstötungen aus den Weg zu räumen oder Personen, die Nachfolgemitgliedschaften antreten sollen, ausfindig zu machen, liegen dem Gericht nicht vor.
Daran vermag auch eine Mitgliedschaft des Onkels bei Gbangbani und ein Einfluss durch die Heirat mit der Tochter eines Paramount-Chiefs nichts ohne weiteres zu ändern.
(2) Zudem erscheint dem Gericht nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ein Geheimbund die Klägerin noch all die Jahre später tatsächlich sucht.
Schon der Aufwand für die Geheimbünde in Sierra Leone, alle Personen, die sich ihrem Vortrag nach einer Zwangsmitgliedschaft oder anderweitigem Zugriff entziehen und entzogen haben, in ganz Sierra Leone zu suchen – ohne zentrales Melderegister – wäre enorm, vor allem im Vergleich zu der Chance, tatsächlich jemanden zu finden. Schließlich ist dem Geheimbund bereits nicht bekannt, ob sich die Person überhaupt oder wieder in Sierra Leone aufhält.
(3) Das Gericht geht nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vielmehr davon aus, dass es jedenfalls in den Großstädten Sierra Leones – mit Ausnahme ggf. der Stadt des vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts – möglich ist, grundsätzlich unbehelligt von den Societies zu leben (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. Januar 2017 an das VG Augsburg). Dort gebe es viele Menschen, die nicht Mitglied einer Geheimgesellschaft sind und ohne Probleme leben könnten. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass jemand gefoltert werde oder seinen Arbeitsplatz verliere, wenn er offen bekenne, die Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft abzulehnen. Die Religionsfreiheit erstrecke sich auch auf traditionelle Glaubensvorstellungen, so das Auswärtige Amt.
In Bezug auf die weiblichen Geheimgesellschaften, insb. die Bondo Society, und ihren derzeitigen faktischen gesellschaftlichen Einfluss ist die Erkenntnislage zwar derzeit wenig ergiebig. Dies gilt auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Auswirkungen für eine Frau, die von einer weiblichen Genitalverstümmelung verschont wurde und nicht Mitglied in einer Geheimgesellschaft ist, aber womöglich auf soziale Unterstützung angewiesen ist. Da die Klägerin ihren Angaben zufolge bereits beschnitten und initiiert ist, hat sie jedoch insoweit keine Bedrohung durch die Bondo-Society zu befürchten. Dass sie daher mit Konflikten oder Ausgrenzung auf dem Wohnungs- oder Arbeitsmarkt sowie im Alltag rechnen müsse, ist nicht ersichtlich.
Auch aufgrund der individuellen Verhältnisse der Klägerin, insbesondere ihres Alters, ihrer überdurchschnittlichen Schulbildung, beruflichen Erfahrungen als Händlerin in Sierra Leone sowie in Deutschland im Pflegebereich vermag das Gericht auf der derzeitigen Erkenntnisgrundlage nicht zu erkennen, dass die Klägerin in einer größeren Stadt Sierra Leones beachtlich wahrscheinlich gefährdet wäre, von einer Geheimgesellschaft in flüchtlingsschutzrelevanter Weise behelligt zu werden.
Die Inanspruchnahme der inländischen Fluchtalternative – fern ab von ihrer Verwandtschaft – in Freetown, Kenema, Kono oder einer anderen größeren Stadt Sierra Leones ist auch zumutbar. Der Klägerin wird es dort gelingen, ihren Lebensunterhalt hinreichend zu sichern (siehe hierzu nachfolgend).
3. Eine Abschiebung nach Sierra Leone wird die Klägerin nicht in unmenschliche, existenzgefährdende Umstände bringen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründet wäre.
a) Dies gilt auch unter Berücksichtigung der schwierigen humanitären und wirtschaftlichen Bedingungen in Sierra Leone.
Sierra Leone gehört trotz seines Rohstoffreichtums zu den ärmsten Ländern der Erde. Nach den Jahren des Bürgerkriegs erholt sich das Land wirtschaftlich nur langsam. Sierra Leone ist eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Die Wirtschaft Sierra Leones ist geprägt von der Landwirtschaft (überwiegend kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft) und der Rohstoffgewinnung. Das Land ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,2 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 539,1 US-Dollar (FCDO, Foreign, Commonwealth & Development Office, Economic Factsheet, Stand Oktober 2020) eines der ärmsten Länder der Welt und belegt nach dem Human Development Index von 2019 Rang 181 der 189 untersuchten Länder. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 70%) lebt in absoluter Armut und hat weniger als 1,25 bis 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung; die Arbeitslosenrate im Land ist sehr hoch, wobei die Jugendarbeitslosigkeit ein besonderes Problem darstellt (Bertelsmann Stiftung, Bertelsmann Stiftung’s Transformation Index (BTI) 2020 – Sierra Leone Country Report, Gütersloh, Bertelsmann Stiftung, 2020; Westphal in LIPortal, Sierra Leone, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Stand Dezember 2020). Staatliche oder nichtstaatliche finanzielle Fördermöglichkeiten wie Sozial- oder Arbeitslosenhilfe existieren nicht. Erwerbslose, Kranke, Behinderte und ältere Menschen sind ganz besonders auf die Unterstützung der traditionellen Großfamilie angewiesen. Auch nichtstaatliche oder internationale Hilfsorganisationen bieten in der Regel keine konkreten Hilfen zum Lebensunterhalt. Die Wirtschaft wird mit etwa 57,4% am Bruttoinlandsprodukt vom landwirtschaftlichen Sektor dominiert; der Dienstleistungssektor trägt mit 32,8% und der Industriesektor mit 5,6% zum Bruttoinlandsprodukt bei (FCDO ebd.). Die Mehrheit versucht mit Gelegenheitsjobs oder als Händler/in ein Auskommen zu erwirtschaften. Die Subsistenzwirtschaft wird in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 4.7.2018). Ungelernten Arbeitslosen gelingt es nur durch Hilfstätigkeiten, Gelegenheitsarbeiten (z.B. im Transportwesen), Kleinhandel (z.B. Verkauf von Obst, Süßigkeiten, Zigaretten) und ähnlichen Tätigkeiten etwas Geld zu verdienen und in bescheidenem Umfang ihren Lebensunterhalt sicher zu stellen (vgl. zu damals noch prekäreren Verhältnissen: OVG NRW, B.v. 6.9.2007 – 11 A 633/05.A – juris Rn 28). Die Lebensumstände in Sierra Leone sind also als äußerst schwierig zu bezeichnen. Es ist aber davon auszugehen, dass sich ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann in Sierra Leone ein Existenzminimum – wenn auch womöglich nur durch Gelegenheitsjobs – erwirtschaften kann (std. Rspr. des Gerichts; vgl. auch VG Regensburg, U.v. 11.02.2019 – RN 14 K 17.3514 – juris). Bei Frauen bedarf es einer differenzierten Betrachtungsweise unter besonderer Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse.
b) Die aktuelle Covid-19-Pandemie mit den diesbezüglich einhergehenden Einschränkungen steht dieser Annahme nicht entgegen.
Das Gericht nimmt in Auswertung der allgemein zugänglichen Erkenntnisquellen durchaus wahr, dass die zeitweilig auch in Sierra Leone verhängten Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie die Personen, die vom Kleinhandel auf der Straße und Gelegenheitsarbeiten leben, besonders trifft. So notiert das LIPortal, dass der Lockdown und die eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten für den Teil der Bevölkerung, der die täglichen Einnahmen direkt für Nahrungsmittel ausgibt und über keine finanziellen Ressourcen verfügt, bedrohlicher als die Infektionsgefahr gewesen seien; die Bedingungen der Armut hätten sich noch einmal verschärft (https://www.liportal.de/sierraleone/gesellschaft/#c10532). Inwieweit die nunmehr zurückliegenden Lockdowns in dieser Weise aber erheblich nachwirken, ist nicht ersichtlich. Es liegen jedenfalls keine Erkenntnisse darüber vor, dass das öffentliche Leben in Sierra Leone derzeit derart eingeschränkt ist, dass es einer jungen, gesunden, erwerbsfähigen Person nicht möglich wäre, bei Rückkehr seine Existenz mit den elementaren Grundbedürfnissen zu sichern.
c) Die tatsächlichen individuellen Umstände der Klägerin werden es ihr ermöglichen, trotz dieser humanitären und wirtschaftlichen Verhältnisse in Sierra Leone seinen Lebensunterhalt zu sichern. Dabei kann unterstellt werden, dass die Klägerin wegen der Nähe der Stiefmutter zu Bondo und des Onkels zu Gbangbani die Klägerin keine Nähe zu ihrer Familie sucht und ggf. keine Unterstützung erhält. Hingegen ist im Rahmen der Rückkehrprognose außer Betracht zu lassen, dass in Sierra Leone der Sohn der Klägerin lebt. Dieser lebt zur Zeit bei einer anderen Familie und es ist nach den klägerischen Angaben nicht ersichtlich, ob die Klägerin ihren Sohn „zurückbekommt“ oder er ihr durch den Ex-Mann und dessen Verwandtschaft vorenthalten wird. Auf sich alleine gestellt kann die gesunde Klägerin mit der überdurchschnittlichen Schulbildung nicht nur auf ihre Erfahrungen als Händlerin in Sierra Leone zurückblicken, sondern auch ihre – wenngleich noch geringen – beruflichen Erfahrungen im Gesundheitsbereich in der Bundesrepublik Deutschland. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung durchaus den Eindruck hinterlassen, sich ein eigenes Leben aufbauen zu wollen und auch zu können.
4. Aus der weltweiten Covid-19 Pandemie ergibt sich kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für die Klägerin. Unabhängig von der Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wonach es bei allgemeinen Gefahren einer – vorliegend nicht bestehenden – Anordnung nach § 60a Abs. 1 AufenthG bedürfte, wäre die Klägerin nicht über das allgemeine Risiko hinaus in besonderer Weise gefährdet, insbesondere nicht derart, dass sie „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2015 – 9 ZB 14.30457 – juris Rn. 11; OVG NRW, B.v. 17.12.2014 – 11 A 2468/14.A – juris Rn. 14).
Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aufgrund besonderer individueller Umstände in der Situation der Klägerin, insbesondere gesundheitlicher Art, sind im Übrigen vorliegend weder vorgetragen noch ersichtlich.
Der Bescheid des Bundesamtes vom 12. Juli 2017 ist daher rechtmäßig und die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).