Verwaltungsrecht

Identität eines Einbürgerungsbewerbers

Aktenzeichen  5 C 18.2372

Datum:
4.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32464
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StAG § 10 Abs. 1
AufenthG § 25 Abs. 3
VwGO § 166

 

Leitsatz

1 Die Klärung der Identität des Einbürgerungsbewerbers ist grundsätzlich zwingende Voraussetzung einer Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es bestehen ernsthafte und aufklärungsbedürftige Zweifel an der Identität des Einbürgerungsbewerbers, solange geeignete Identitätsdokumente seines Herkunftsstaates fehlen oder wenn er gefälschte Urkunden vorlegt hat.  (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3 Somalische Personenstandsurkunden sind lediglich geeignet, Anhaltspunkte zur Identität des jeweiligen Antragstellers und Indizien für die Klärung der Identität zu geben. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 18.202 2018-10-18 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
Die Beschwerde der Antragstellerin richtet sich gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ihre Klage auf Einbürgerung.
Die Antragstellerin ist somalische Staatsangehörige. Sie reiste am 11. Februar 1995 mit Hilfe von Schleppern auf dem Luftweg illegal nach Deutschland ein und stellte am 13. Februar 1995 einen Asylantrag, der mit Bescheid vom 23. März 1995 abgelehnt wurde. Bereits am Tag nach der Asylantragstellung reiste die Antragstellerin in die Niederlande weiter, wo sie unter anderen Personalien ebenfalls Asyl beantragte. Im Jahr 2003 ersuchte sie in Schweden unter Verwendung einer weiteren Identität erneut um Asyl und verwendete bei ihrer Einreise in das Bundesgebiet im Jahr 2004 wiederum andere Personaldaten. Im Februar 2008 wurde der Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt; seit Oktober 2015 ist sie im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Die Aufenthaltstitel wurden jeweils unter dem bei der Ersteinreise in das Bundesgebiet angegebenen Namen ausgestellt. Im Rahmen ihres Antrags auf Einbürgerung legte die Antragstellerin erstmals eine somalische Geburtsurkunde vor, die am 19. September 2017 von der Botschaft der Bundesrepublik Somalia in Berlin ausgestellt wurde. In dieser Urkunde werden die von der Antragstellerin gegenüber den Behörden der Bundesrepublik Deutschland angegebenen Personalien hinsichtlich ihres Namens, Vornamens, Ort und Geburtsdatum bestätigt.
Mit Bescheid vom 15. Februar 2018 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Einbürgerung ab, weil angesichts der unterschiedlichen verwendeten Personalien die Identität der Antragstellerin auch unter Berücksichtigung der vorgelegten Geburtsurkunde nicht geklärt sei.
Den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein gegen den Ablehnungsbescheid beabsichtigtes Klageverfahren lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Oktober 2018 wegen fehlender Erfolgsaussichten ab, weil die Identität der Antragstellerin nicht ausreichend geklärt sei. Da die Antragstellerin in der Vergangenheit wiederholt unter verschiedenen Identitäten im Rechtsverkehr aufgetreten sei und im Rahmen ihrer Anhörung im Asylfolgeverfahren eingeräumt habe, im Jahr 1995 bewusst falsche Aussagen zu ihrer Herkunft gemacht zu haben, seien die Angaben zu ihrer Identität als unglaubhaft zu bewerten. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der vorgelegten somalischen Geburtsurkunde, weil diesem Dokument wenig Aussagekraft zukomme. Eine Anfrage der Antragsgegnerin bei der zentralen Passbeschaffungsstelle habe ergeben, dass somalische Dokumente mangels einer funktionsfähigen Verwaltung teilweise ohne Bezugnahme auf Register ausgestellt würden. Ein förmliches Überprüfungsverfahren für somalische Urkunden gebe es derzeit nicht. Zwar sei dieser Beweisnotstand für somalische Staatsangehörige bei der Frage, ob die Identität des Betroffenen ausreichend geklärt ist, zu berücksichtigen; das gelte jedoch nicht, wenn wie hier konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die angegebenen Personalien falsch sein könnten.
Mit Schriftsatz vom 2. November 2018 erhob der Bevollmächtigte der Antragstellerin die angekündigte Klage und legte Beschwerde gegen den Beschluss vom 18. Oktober 2018 ein. Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die von der Antragsgegnerin vorgelegten Akten verwiesen.
II.
1. Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1, § 147 Abs. 1 VwGO) hat keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Klage auf Einbürgerung zu Recht abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Identität der Antragstellerin ist nach gegenwärtigem Sachstand nicht geklärt. Dies ist jedoch Voraussetzung für den geltend gemachten Einbürgerungsanspruch.
Die Klärung der Identität eines jeden Einbürgerungsbewerbers ist grundsätzlich zwingende Voraussetzung einer Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG, weil die Einbürgerung nicht dazu dient, einer Person eine vollkommen neue Identität oder eine zusätzliche Alias-Identität zu verschaffen. Es besteht ein erhebliches staatliches Interesse daran zu verhindern, dass ein- und dieselbe Person im Rechtsverkehr mit mehreren unterschiedlichen Identitäten und amtlichen Ausweispapieren auftreten kann (BayVGH, B.v. 13.11.2014 – 5 ZB 14.1356 – juris Rn. 9; BVerwG, U.v. 1.9.2011 – 5 C 27.10 – BVerwGE 140, 311 = juris Rn. 11 f.). Diesen unverzichtbaren Nachweis hat der Einbürgerungsbewerber in der Regel durch Vorlage seines nationalen Reisepasses oder eines anderen Dokuments seines Heimatstaates mit Identifikationsfunktion zu führen. Hingegen bestehen ernsthafte und aufklärungsbedürftige Zweifel an der Identität, solange geeignete Identitätsdokumente seines Herkunftsstaates fehlen oder wenn er gefälschte Urkunden vorlegt (OVG NW, B.v. 13.9.2018 – 19 E 728/17 – juris Rn. 5). Wegen der erheblichen Missbrauchsgefahren bei einer völlig ungeprüften Übernahme der Identitätsangaben eines Antragstellers entfällt die Notwendigkeit der Identitätsprüfung im Einbürgerungsverfahren sogar bei anerkannten Flüchtlingen nicht, obwohl bei diesem Personenkreis typischerweise Beweisschwierigkeiten in Bezug auf ihre Identität bestehen. Dem wird lediglich durch Erleichterungen bei der Beweisführung, nicht aber durch einen generellen Verzicht auf die Identitätsfeststellung Rechnung getragen (BVerwG, U.v. 1.9.2011 – 5 C 27.10 – juris Rn. 16). Ist die Identität des Einbürgerungsbewerbers nicht geklärt, geht dies nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen zu dessen Lasten (BayVGH, B.v. 13.11.2014 – 5 ZB 14.1356 – juris Rn. 7; BVerwG, U.v. 27.7.2006 – 5 C 3.05 – BVerwGE 126, 283; OVG NW, U.v. 10.12.2015 – 19 A 2132/12 – juris Rn. 59).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Identität der Antragstellerin gegenwärtig trotz Vorlage der am 19. September 2017 von der Botschaft der Bundesrepublik Somalia in Berlin ausgestellten Geburtsurkunde als ungeklärt anzusehen. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens zur besonderen Situation in Somalia angesichts des Fehlens von effektiver Staatsgewalt und staatlichen Strukturen. Bei der Beurteilung, ob die Identität der Antragstellerin geklärt ist, ist zwar zu berücksichtigen, dass somalische Bürger Schwierigkeiten haben, ihre Identität nachzuweisen, weil keine Möglichkeit besteht, über amtliche Register verlässliche Auskünfte zu erhalten (vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amts zur asyl- und abschieberelevanten Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 7. März 2018 [Stand: Januar 2018], S. 22). Da Dokumente und Bestätigungen der somalischen Botschaft in der Regel nur auf Grundlage der Angaben der Antragsteller ausgestellt werden, werden diese von Einbürgerungsbehörden zumeist nicht für die Klärung der Identität von Einbürgerungsbewerbern anerkannt (s. auch Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zur rechtlichen Lage von somalischen Staatsbürgern in Deutschland, BT-Drs. 19/4022 vom 27. August 2018, S. 3 und 9). Ein förmliches Überprüfungsverfahren für somalische Urkunden besteht derzeit nicht (vgl. Auswärtiges Amt, Deutsche Botschaft in Kenia, Somalia und den Seychellen, Urkundenüberprüfung, https://nairobi.diplo.de/ke-de/service/urkundenueberpruefung/1510466). Unter diesen Umständen sind somalische Personenstandsurkunden lediglich dazu geeignet, Anhaltspunkte zur Identität des jeweiligen Antragstellers und Indizien für die Klärung des Sachverhalts zu geben. Es ist im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden, ob die Identität des Einbürgerungsbewerbers auf der Grundlage der persönlichen Angaben des Betroffenen und der gegebenenfalls vorgelegten Dokumente als geklärt angesehen werden kann.
Hiervon kann bei der Antragstellerin jedoch nicht ausgegangen werden. Angesichts der insgesamt vier verschiedenen Identitäten, mit denen die Antragstellerin in verschiedenen europäischen Ländern im Rahmen ihrer Asylanträge auftrat, bestehen erhebliche Zweifel an der Richtigkeit ihrer im Einbürgerungsverfahren angegebenen Personalien. Diese Zweifel können durch die Vorlage der Geburtsurkunde nicht ausgeräumt werden, weil die Angaben der Antragstellerin weder überprüft werden können noch die inhaltliche Richtigkeit der Urkunde festgestellt werden kann. Dass die Geburtsurkunde der Antragstellerin auf die von ihr bei der erstmaligen Einreise nach Deutschland angegebenen Personalien ausgestellt ist, erhöht deren Beweiswert nicht. Zum einen kann aus der Wiederholung bereits gemachter Angaben nicht auf deren Richtigkeit geschlossen werden, zum anderen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Personalien die wahre Identität der Antragstellerin wiedergeben. Zudem reiste sie illegal und mit Hilfe von Schleusern nach Deutschland ein, so dass nicht auszuschließen ist, dass die Einreise der Antragstellerin mittels auf falsche Personalien ausgestellter Einreisedokumente erfolgte. Die Identität der Antragstellerin wird auch nicht durch die am 20. Oktober 2015 von der Ausländerbehörde erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis nachgewiesen. Zwar entfaltet ein Verwaltungsakt mit der in ihm verbindlich mit Wirkung nach außen getroffenen Regelung Bindungswirkung auch gegenüber anderen Behörden (sog. Tatbestandswirkung). Diese beschränkt sich für den erteilten Aufenthaltstitel jedoch darauf, dass mit ihm die Rechtmäßigkeit des dauerhaften Aufenthalts der Antragstellerin begründet wird. Hingegen nimmt die Richtigkeit der in den Bescheiden festgehaltenen Personalien als bloße Vorfrage nicht an der Tatbestandswirkung teil (BVerwG, U.v. 1.9.2011 – 5 C 27.10 – BVerwGE 140,311 = juris Rn. 20).
Da somit die Identität der Antragstellerin als Einbürgerungsbewerberin (noch) nicht geklärt ist, geht dies nach den allgemeinen Beweislastgrundsätzen zu deren Lasten. Auf die Frage, ob die übrigen Voraussetzungen für die beantragte Einbürgerung vorliegen, kommt es daher nicht mehr an.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO. Eine Streitwertfestsetzung war im Hinblick auf Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) entbehrlich.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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