Verwaltungsrecht

Im Irak besteht kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt

Aktenzeichen  M 4 K 16.31888

Datum:
22.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 3
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1. § 60a Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Die angespannte Sicherheitslage im Irak resultiert aus inneren Unruhen und Spannungen, die aber aufgrund der relativ geringen Opferzahlen nicht die Intensität und Dauerhaftigkeit eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts aufweisen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2016 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist, da in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-). Die Parteien sind form- und fristgerecht geladen worden.
I.
Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Asylanerkennung oder auf Gewährung internationalen Schutzes, weil die Voraussetzungen der §§ 2 und 3 Abs. 1 AsylG sowie des § 4 Abs. 1 AsylG nicht vorliegen. Auch Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben. Das Gericht folgt den Ausführungen der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid und sieht insofern von einer eigenen Begründung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird ausgeführt:
1. Soweit die Kläger ihre Anerkennung als Flüchtlinge nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG beantragen, hat dieser Antrag keinen Erfolg.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951 (Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (vgl. hierzu die Legaldefinition in § 3b AsylG), außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende vielfach hinsichtlich asylbegründender Vorgänge außerhalb des Gastlandes in einem gewissen, sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich dieser Vorgänge für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung.
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, Urteil vom 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 135; Beschluss vom 21.07.1989, Buchholz a.a.O., Nr. 113).
Gemessen daran haben die Kläger keinen Anspruch auf die Gewährung des Flüchtlingsschutzes nach § 3 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Gericht folgt allerdings, ebenso wie wohl das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid, im Wesentlichen den Schilderungen, die der Kläger zu 1), seine Ehefrau, die Klägerin zu 2) in der mündlichen Verhandlung abgegeben haben. Das Gericht geht infolge dessen davon aus, dass der Kläger zu 1) als Mitarbeiter einer staatlichen Behörde mit der Betreuung eines Krankenhausprojektes in … betraut war. Der Kläger zu 1) hat glaubhaft geschildert, was seine Aufgaben vor Ort gewesen sind und welche Mängel und Mehrkosten er bei dem Bauprojekt entdeckt und dokumentiert hat. Glaubhaft hat er dem Gericht geschildert, dass er in … Elektrotechnik studiert hat. Auch ist davon auszugehen, dass er, wie er dies angegeben hat, ungefähr im April oder Mai 2015 von zwei Männern an seinem Arbeitsplatz aufgesucht und diese ihn bedroht hätten für den Fall, dass er die aufgezeigten Missstände weiterhin nach oben meldet. Am 9. September 2015 ist das Projekt demzufolge endgültig gestoppt worden mit der Begründung, es fehlten Haushaltsgelder. Ob sich der geschilderte Vorfall am 10. September auf dem Rückweg von dem Arzttermin in … tatsächlich so abgespielt hat wie geschildert, kann vorliegend dahinstehen. Die übereinstimmenden Schilderungen des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2) hierzu wirkten jedenfalls in sich stimmig und glaubhaft. Auch haben die Kläger auf das Gericht einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Das Gericht geht daher davon aus, dass sich der Kläger zu 1) aufgrund seiner beruflichen Funktion mit einflussreichen bzw. kriminellen Kreisen/Milizen angelegt hat und deshalb tatsächlich bedroht wurde.
Das Gericht kommt allerdings zu der Einschätzung, dass die Kläger, insbesondere auch der Kläger zu 1) und seine Frau, die Klägerin zu 2), im Falle einer Rückkehr aufgrund der geschilderten Vorfälle nunmehr nicht mehr an Leib und Leben bedroht sind. Zum einen hat der Kläger zu 1) angegeben, dass sein Dienstverhältnis mittlerweile erloschen sei. Zum anderen schilderte er, dass er neben seiner Tätigkeit beim Gesundheitsministerium noch mit seinem Schwager zusammen Jura und Politik studiert und im Juni 2015 die Prüfungen erfolgreich abgelegt habe. Dem Kläger zu 1) und seiner Familie ist es zuzumuten, in anderen von Schiiten bewohnten Landesteilen, namentlich in …, eine neue Existenz zu gründen. Der Kläger zu 1) kann hierbei auf seine juristische Ausbildung zurückgreifen, auch gab er an, als weitere Nebentätigkeit einem Freund bei der Buchhaltung in dessen Unternehmen geholfen zu haben. Der Kläger zu 1) verfügt also über vielseitige juristische, technische und buchhalterische Kenntnisse, die es ihm ermöglichen, in einem anderen Landesteil von Irak beruflich wieder Fuß zu fassen. Da das Krankenhausbauprojekt mittlerweile ohnehin eingestellt wurde, ist kein Grund ersichtlich, weswegen der Kläger zu 1) weiterhin im Kreuzfeuer krimineller Kreise stehen sollte.
Auch eine Gefährdung durch seine Teilnahme an verschiedenen Demonstrationen führt nach Einschätzung des Gerichts nicht dazu, dass der Kläger zu 1) oder seine Familie im Irak gefährdet sind. Dem aktuellen Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, aber auch den Vorberichten, lässt sich entnehmen, dass die wöchentlichen Demonstrationen gegen Korruption seit August 2015 bis in die zweite Jahreshälfte 2016 weitgehend ungestört stattfinden konnten. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger als Demonstrationsteilnehmer in irgendeiner Art und Weise derart individualisierbar ist, dass er das Ziel staatlicher Verfolgung aufgrund Oppositionstätigkeit werden könnte. Insgesamt ist kein Grund dafür erkennbar, weshalb flüchtlingsrechtlich relevante Kreise auch jetzt noch an einer Beseitigung des Klägers zu 1) interessiert sein sollten. Für seine Familie gelten diese Befürchtungen noch viel weniger.
2. Aus den genannten Gründen scheidet auch die Gwährung von politischem Asyl nach Art. 16a GG aus.
3. Den Klägern steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (Todesstrafe), § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) oder § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) in Bezug auf den Irak zu.
Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG liegen (siehe oben) nicht vor. Auch die Voraussetzungen der Schutzregelung des § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG, wonach einem Ausländer subsidiärer Schutz zusteht, wenn er in seinem Herkunftsland als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre, liegen nicht vor.
Dass nicht gleichsam jede Zivilperson im Irak allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist, folgt bereits daraus, dass bei einer Gesamtbevölkerung mit etwa 32 bis 34 Millionen Einwohnern (vgl. http: …www.asien-auf-einen-blick.de/irak/, http: …www.auswaerti-ges-amt.de/DE/ Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Laender/Irak.html) die Zahl der zivilen Todesopfer im Jahr 2015 mit insgesamt 17.502 (vgl. https: …www. iraqbo-dy-cou-nt.org/database/ vom 29.09.2016) angegeben ist. Auch wenn danach die Opferzahlen angestiegen sind, reicht die abstrakte Gefahr, angesichts von Kampfeshandlungen in einigen Bereichen im Irak Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen zu werden, für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht aus. Eine Rückkehr nach … erscheint unter diesen Gesichtspunkten möglich.
Aus aktuellem Anlass ist noch darauf hinzuweisen, dass die Situation im Irak derzeit unübersichtlich und in einigen Gebieten durch die Kampfhandlungen der ISIS offenbar gefährlich ist. Doch reicht diese bisherige Entwicklung für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (vgl. BVerwG vom 27.04.2010 – Az. 10 C 4/09 – juris) nicht aus. Festzustellen ist, dass … von den Kämpfen selbst nicht betroffen war/ist. Die stattgefundenen Kampfhandlungen drangen bislang nicht bis in die Stadt … vor. Dies ergibt sich aus der täglichen Berichterstattung der Medien.
4. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben/vorgetragen.
Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht ersichtlich.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Iraks auf Grund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Az. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3. März 2014 bekannt gegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehörigen grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und ihr Aufenthalt wie bisher weiterhin im Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – NVwZ 2001, 1420).
Sonstige Gefahren i.S. des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die nicht von den Anordnungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern erfasst werden, sind nicht ersichtlich.
§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll den Ausländer nur von einer erheblichen konkreten Gesundheits- oder Lebensgefahr schützen. Diese liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist, § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG.
5. Der Bescheid des Bundesamtes gibt auch hinsichtlich seiner Ziffer 5, wonach die Kläger unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert sind, keinerlei Anlass zu Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Vollzug aufenthalts-beendender Maßnahmen gegenüber den Klägern entgegenstünden, nicht ersichtlich, denn sie sind weder als Asylberechtigte oder Flüchtlinge anzuerkennen, noch stehen ihnen subsidiärer Schutz oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu (siehe oben); sie besitzen auch keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Voll-streckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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