Verwaltungsrecht

Inländische Fluchtalternative für von Beschneidung bedrohten Frauen in Nigeria

Aktenzeichen  Au 9 K 17.32148

Datum:
2.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15922
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3a, § 3b, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Von Beschneidung bedrohte Frauen, die nicht in der Lage oder nicht willens sind, sich dem Schutz des Staates anzuvertrauen, können auf sichere Weise in einen anderen Teil Nigerias übersiedeln, wo es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie von ihren Familienangehörigen aufgespürt werden. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Einzelrichterin (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 29. April 2019 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung form- und fristgerecht geladen worden.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Ihnen ist weder der subsidiäre Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, noch liegen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vor (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamts ist auch hinsichtlich der Ausreiseaufforderung, der Abschiebungsandrohung und der Befristung des Einreiseund Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang auf die Gründe des angefochtene Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Neue Gesichtspunkte, die die getroffenen Entscheidungen des Bundesamts als rechtsfehlerhaft erscheinen lassen könnten, sind in der mündlichen Verhandlung von den Klägern nicht vorgebracht worden.
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen im Fall der Kläger nicht vor.
a) Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdi gung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag auf Grund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.
b) Gemessen an diesen Maßstäben ist asylrechtlich relevante Verfolgungsgefahr i. S.d. §§ 3, 3b AsylG für den Kläger zu 1 nicht festzustellen. Er hat Nigeria im Jahr 1990 aufgrund der allgemeinen schlechten Sicherheitslage verlassen. Eine eigene individuelle Verfolgungssituation hat er nicht geltend gemacht. Es lässt sich daher nicht feststellen, dass der Kläger zu 1 vor seiner Ausreise aus Nigeria im Jahr 1990 landesweit von politischer Verfolgung betroffen war. Es sind auch keine stichhaltigen Gründe dafür erkennbar, dass der Kläger bei einer Rückkehr im Jahre 2019, also nahezu 30 Jahre nach dem Verlassen Nigerias, einer Verfolgungshandlung ausgesetzt sein könnte. Gegen die Gefahr einer Verfolgung spricht ebenfalls, dass der Kläger im Jahr 2009 nach Nigeria zurückkehrte, um die Klägerin zu 2 zu heiraten. Eine Verfolgungssituation in diesem Zusammenhang wurde ebenfalls nicht vorgetragen. Die Klägerin zu 2 macht selbst keine Verfolgungsgründe geltend, sondern trug vor, dass sie Nigeria gemeinsam mit ihrem Ehemann verlassen habe. Es fehlt daher an einer individuellen Verfolgungshandlung im Sinn von § 3a AsylG.
c) Auch im Hinblick auf die für die Klägerinnen zu 3, 5 und 6 geltend gemachte Gefahr einer weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) führt die Klage nicht zum Erfolg. Zwar stellt eine solche zwangsweise Beschneidung einen asylerheblichen Eingriff dar, der vom Grundsatz her einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen kann, diese Gefahr ist vorliegend jedoch nicht beachtlich wahrscheinlich.
Unabhängig davon, dass in Nigeria nach wie vor – vor allem in ländlichen, von der dortigen Tradition beherrschten Gebieten – die weibliche Genitalverstümmelung stattfindet, ergibt sich für die Klägerinnen zu 3, 5 und 6 aus den nachfolgenden Gründen keine hinreichende Gefahr, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Folge geschlechtsbezogener Verfolgung führen könnte. Denn auf Grund der Erkenntnismittel und der Angaben der Eltern der Klägerinnen im behördlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung hat das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass die Durchführung einer Genitalverstümmelung bei der Klägerin im Falle der Rückkehr in ihr Heimatland nicht beachtlich wahrscheinlich ist.
Hinsichtlich der Gefahr weiblicher Genitalverstümmelung ist maßgeblich auf die jeweilige Volkszugehörigkeit abzustellen (vgl. Informationsbrief des Informationszentrums Asyl und Migration – Weibliche Genitalverstümmelung – Formen -Auswirkungen – Verbreitung – Asylverfahren vom April 2010). Die weibliche Genitalverstümmelung ist in, dem Heimatgebiet der Klägerin zu 2 und Mutter der Klägerinnen seit 1999 verboten. Erst am 7. Februar 2018, hat der Gouverneur von,, sich vehement gegen die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung ausgesprochen, deren Beendigung gefordert und die Medien aufgerufen, dieses Thema auf ihren Titelseiten zu behandeln (http://www…gov.ng/…/). Das Auswärtige Amt hat bereits im Jahr 2005 darüber hinaus Zweifel daran erhoben, ob bei Volkszugehörigen der Edo überhaupt noch weibliche Genitalverstümmelung (FGM) stattfindet (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 7. Juni 2005 an das Bundesamt, Az.: 508-516.80/43807). Sofern FGM noch stattfindet, erfolgt bei Volkszugehörigen der Edo (bzw. Bini oder Benin) diese regelmäßig nur zwischen dem 7. und 14. Tag nach der Geburt statt. Die Klägerin zu 2 trug selbst vor, dass in ihrer Volksgruppe normalerweise die Beschneidung im Babyalter durchgeführt wird. Nur bei ihr sei aufgrund gesundheitlicher Probleme diese erst im Alter von 15 Jahren durchgeführt worden. Das Gericht ist im Übrigen davon überzeugt, dass die Eltern der Klägerinnen in der Lage sind, die Beschneidung ihrer Töchter zu unterbinden. Diese haben in der Anhörung des Bundesamts selbst angegeben, gegen die Beschneidung zu sein. Die Klägerin zu 2 gab zusätzlich an, sie könne zum Beispiel nach … gehen. Die Angaben der Kläger in der mündlichen Verhandlung, sie könnten unter keinen Umständen die Beschneidung ihrer Töchter verhindern, hält das Gericht für asyltaktisch motiviert und nicht für glaubhaft.
Überdies ist es, wie aus den zitierten Erkenntnismaterialien hervorgeht, auch möglich in einem städtischen Gebiet zu leben, wo die Beschneidungspraxis nicht mehr derart verbreitet ist. Genitalverstümmelungen (FGM) werden generell in ländlichen Gebieten häufiger vorgenommen als in den Städten. Nach den Erkenntnissen von EASO – European Asylum Support Office – hängt die Betroffenheit bezüglich FGM von vielen Faktoren ab. So sind Mädchen in urbanen Gebieten und bei Eltern mit besserer Bildung deutlich weniger betroffen. Auch hängt die Entscheidung maßgeblich von beiden Eltern ab (EASO, Nigeria Country Focus, Juni 2017, S. 39). In großen Städten wie gilt die Durchführung der weiblichen Genitalverstümmelung sogar als absolute Ausnahme (vgl. zum Gesamten: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Informationszentrum Asyl und Migration – weibliche Genitalverstümmelung – Formen, Auswirkungen, Verbreitung, Asylverfahren – April 2010, S. 44; EASO, Nigeria Country Focus, Juni 2017, S. 37 – 41). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es für Frauen und Mädchen, die von Beschneidung bedroht sind, Schutz und/oder Unterstützung durch Regierungs- und NGO-Quellen gibt. Von Beschneidung bedrohte Frauen, die nicht in der Lage oder nicht willens sind, sich dem Schutz des Staates anzuvertrauen, können auf sichere Weise in einen anderen Teil Nigerias übersiedeln, wo es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie von ihren Familienangehörigen aufgespürt werden (BFA Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 7.8.2017, S. 49). Sie können sich am neuen Wohnort dem Schutz von Frauen-NGOs anvertrauen. Insgesamt ist zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass für die Familie ganz offensichtlich eine inländische Fluchtalternative bestehen würde bzw. interner Schutz zur Verfügung steht (§ 3e AsylG).
Nach allem war der Antrag der Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf der Grundlage der §§ 3 ff. AsylG abzulehnen.
2. Der beantragte (unionsrechtliche) subsidiäre Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG kommt ebenfalls nicht in Betracht.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei auch die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Die Art der Behandlung oder Bestrafung muss eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylG).
Die Kläger sind im Falle ihrer Rückkehr nicht einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) ausgesetzt, auch nicht wegen ihres Glaubens. Die immer wieder aufkommenden, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Gruppen, bzw. die Angriffe und Auseinandersetzung mit der Gruppierung „Boko Haram“ sind überwiegend regional begrenzt und weisen nicht die Merkmale eines innerstaatlichen Konflikts i.S. der Vorschrift und der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auf (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 2013 U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 -, U.v. 27. 4.2010 – 10 C 4/09 -, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 und U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – sowie B.v. 14.11.2012 – 10 B 22/12 – jeweils juris). Das Ausmaß dieser Konflikte ist in Intensität und Dauerhaftigkeit nicht mit Bürgerkriegsauseinandersetzungen, die in Nigeria (noch) nicht festzustellen sind, vergleichbar. Nach den allgemein zugänglichen Erkenntnismitteln (Tagespresse, Medien) und Erkenntnissen des Gerichts kam es zwar auch im Jahr 2017 und 2018 sehr häufig zu Anschlägen der Gruppe „Boko Haram“ und sind auch die Einsätze der nigerianischen Sicherheitskräfte mit Gewaltexzessen und willkürlichen Verhaftungen verbunden. Allerdings konzentrieren sich die Anschläge von „Boko Haram“ und die daraus folgenden Auseinandersetzungen immer noch hauptsächlich auf den Norden bzw. Nordosten Nigerias, während es im Süden und Südwesten des Landes nur vereinzelt zu Anschlägen bzw. Terrorakten gekommen ist. Eine landesweite Verübung von Terrorakten durch die Organisation „Boko Haram“ findet nicht statt (vgl. dazu: AA, Lageberichte von Nigeria vom 10. Dezember 2018, 21. Januar 2018, 26. November 2016, 28. November 2014, jew. Zusammenfassung S. 5 sowie II, 1.4., vom 28. August 2013, vom 6. Mai 2012, 7. März 2011, 11. März 2010 und vom 21. Januar 2009, jeweils Ziffer II.1.4).
Die Kläger sind daher in der Lage, diesen Konflikten durch Rückkehr in weniger gefährdete Gebieten im Sinne eines internen Schutzes (§ 4 Abs. 3, § 3e AsylG) aus dem Wege zu gehen. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Kläger selbst aus dem Süden Nigerias stammen. Dies zugrunde gelegt kommt auch eine Rückkehr nach Port Harcourt, Lagos bzw. Abuja als innerstaatliche Fluchtalternative, die den Klägern auch zuzumuten ist, in Betracht.
3. Auch (zielstaatsbezogene) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V.m. der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht erkennbar.
a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht nicht.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria – hier leben immer noch ca. 70% der Bevölkerung am Existenzminimum und sind von informellem Handel und Subsistenzwirtschaft abhängig (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria – Lagebericht – a.a.O. Nr. I.2.) – ebenso wie die Situation hinsichtlich der verschiedenen gewalttätigen Auseinandersetzungen und Übergriffe, z.T. auch durch die Sicherheitskräfte, und die damit zusammenhängenden Gefahren (s.o. und Lagebericht a.a.O. Nr. II.2 und 3.) grundsätzlich nicht zu einer individuellen, gerade dem Kläger drohenden Gefahr führt, sondern unter die allgemeinen Gefahren zu subsumieren ist, denen die Bevölkerung oder relevante Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist und die gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG durch Anordnungen gemäß § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind.
Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage eines Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen, wie zum Beispiel im Falle einer tödlichen Erkrankung in fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat keine Unterstützung besteht (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – BVerwGE 146, 12-31, juris, Rn. 23 ff. m.w.N.). Im Hinblick auf die Bewertung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK gelten dabei bei der Beurteilung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG die gleichen Voraussetzungen wie bei der Frage der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – a.a.O. – juris Rn. 22, 36).
b) Auch eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) für einen Betroffenen aufgrund allgemein für die Bevölkerung bestehender Gefahren, die über diese allgemein bestehenden Gefahren hinausgeht ist, nur im Ausnahmefall im Sinne eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (BVerwG, U. v. 31.1.2013 – a.a.O., juris Rn. 38). Ein Ausländer kann im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser allgemein bestehenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für die Betroffenen die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Betroffenen daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (zum Ganzen BVerwG, U. v. 31.1.2013 a.a.O., juris Rn. 38).
Für derartige besondere Gefahren aufgrund schlechter humanitärer oder wirtschaftlicher Verhältnisse ist hier nichts ersichtlich. Insbesondere kann im Falle der Kläger nicht davon ausgegangen werden, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria zu einem Abschiebungsverbot aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse führt, die im Ausnahmefall als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK qualifiziert werden könnten. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Kläger als sechsköpfige Familie nach Nigeria zurückkehren. Da die Geburtenrate in Nigeria im Jahr 2016 durchschnittlich 5,53 betrug, hebt sich die Situation der Kläger nicht dergestalt von anderen Familien in Nigeria ab. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zu 1 mit der ursprünglichen Profession als selbständiger Bauingenieur einen höheren Bildungsstand aufweist und sowohl in Libyen als in Europa in der Lage war, trotz gesundheitlicher Einschränkungen einer Arbeit nachzugehen. Die Bildung des Klägers zu 1 erweist sich für nigerianische Verhältnisse als überdurchschnittlich – die Analphabetenquote beträgt in Nigeria bei Männern 30%, bei Frauen sogar rund 50%.
Das Gericht geht daher davon aus, dass die Kläger auch nach ihrer Rückkehr in der Lage sein werden, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Überdies befinden sich im Heimatland noch mehrere Familienangehörige der Kläger. Es kann daher nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Kläger nach einer Rückkehr in existenzielle Not geraten werden. Vielmehr ist ihnen auch als Familie zuzumuten, in ihre Heimat zurückzukehren, auch wenn dies mit gewissen Schwierigkeiten verbunden ist. Eine mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende Extremgefahr ist unter Berücksichtigung der familiären Beziehungen der Kläger und den vormaligen beruflichen Betätigungen insbesondere des Klägers zu 1 nicht zu prognostizieren.
c) Ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt ebenfalls nicht in Betracht.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst dabei nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (st. Rspr., BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.96 – juris; BVerwG, U.v. 29.10.2002 – 1 C 1/02 – juris; BayVGH, U.v. 8.3.2012 – 13a B 10.30172 – juris; OVG NW, U.v. 27.1.2015 – 13 A 1201/12.A – juris Rn. 45). Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich dabei auch aus der Krankheit eines Ausländers ergeben, wenn diese sich im Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann, etwa weil er nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügt (BVerwG, U.v. 29.10.2002, a.a.O.; BayVGH, U.v. 8.3.2012, a.a.O.). Dabei setzt die Annahme einer erheblichen konkreten Gefahr voraus, dass sich der Gesundheitszustand des betroffenen Ausländers alsbald nach der Ankunft im Zielland der Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (BVerwG, U.v. 25.11.1997, a.a.O.). Durch Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) wurden hinsichtlich des krankheitsbedingten zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses durch § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG zusätzlich folgende Bestimmungen getroffen: Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln existiert in Großstädten eine medizinische Grundversorgung auch für Rückkehrer, allerdings in der Regel weit unter europäischem Standard. Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden, auch die meisten gängigen Medikamente sind erhältlich, wenn sie auch selbst finanziert werden müssen. Bluthochdruckmedikamente, sind erhältlich (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10. Dezember 2018, IV.1.4 S. 23).
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen im Sinne einer alsbaldigen schwerwiegenden oder gar lebensbedrohlichen Verschlimmerung der Krankheit lässt sich aus dem vorgelegten orthopädischen und kardiologischen Attesten nicht entnehmen. Im Attest vom 25. April 2018 (richtig: 2019) wird ausgeführt, dass trotz prinzipiell guter Gelenkfunktion eine schleichende Lockerung der Endoprothese nicht ganz sicher ausgeschlossen werden könne. Bei gleichbleibender Symptomatik sei eine jährliche Kontrolluntersuchung erforderlich, intermittierende Kontrollen seien je nach Bedarf und Symptomatik durchzuführen. In einem ärztlichen Attest vom 25. April 2019 wird ausgeführt, dass sich der Kläger zu 1 in allgemeinärztlicher Behandlung befinde und aufgrund kardiologischen und orthopädischen Erkrankungen regelmäßig Termine bei Fachärzten wahrnehmen müsse. Die in den Attesten geschilderte gesundheitliche Situation des Klägers zu 1 erfüllt unter keinen Umständen die Anforderungen an ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen. Insbesondere ergibt sich kein Anhaltspunkt auf eine konkrete, also zeitlich absehbare Gefahr bei Behandlung mit den in Nigeria erhältlichen Medikamenten. Dass der Kläger Medikamente gegen seinen Bluthochdruck benötigt, steht nach den vorliegenden Attesten außer Frage. Da Bluthochdruckmedikamente jedoch erhältlich sind, ergibt sich allein aus der Tatsache der Behandlungsbedürftigkeit des Blutdrucks keine Abschiebungshindernis. Gleiches gilt bezüglich des vorgelegten ärztlichpsychologischen Berichts der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie vom 11. April 2019 bezüglich des Klägers zu 4, in dem diesem eine emotionale Störung des Kindesalters, eine knapp durchschnittliche Intelligenz und eine in adäquate intrafamiliäre Kommunikation sowie verschiedene familiäre Belastungsfaktoren durch Migrationshintergrund attestiert wird.
d) Zur Überzeugung der Einzelrichterin kann ausgehend von dieser Erkenntnislage im vorliegenden Fall nicht von einer Extremgefahr für den Kläger aufgrund seiner Krankheit ausgegangen werden.
Vorab ist festzuhalten, dass hier nicht nur der Kläger im streitgegenständlichen Verfahren, sondern die ganze Familie in die Betrachtung und Bewertung miteinzubeziehen ist. Denn unter Berücksichtigung der Bedeutung, welche die deutsche Rechtsordnung dem Schutz der Ehe und Familie, insbesondere verfassungsrechtlich in Art. 6 des Grundgesetzes (GG) beimisst, ist bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Heimatstaat drohen, regelmäßig von einer gemeinsamen Rückkehr der Familienangehörigen auszugehen (vgl. BVerwG, U.v. 21.9.1999 – 9 C 12/99 -BVerwGE 109, 305; BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197, juris).
Zur Überzeugung des Gerichts ist auch davon auszugehen, dass sich der Kläger zu 1 – auch unter Berücksichtigung seiner Verpflichtungen gegenüber Frau und Kindern – diese Medikation in Nigeria finanziell leisten kann. Nach eigenen Angaben hat er zunächst eine relativ gute Schulbildung erhalten und konnte sowohl in Nigeria als auch in den fremden Ländern, in denen er sich aufgehalten hatte, seinen Lebensunterhalt sichern. Trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen ist er aktuell als Reinigungskraft tätig. Auch seine Frau ist gesund und arbeitsfähig. Auch unter Berücksichtigung der familiären Situation kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass die Kläger nicht in der Lage sein werden, benötigte Medikamente zu finanzieren.
4. Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung nach Nigeria gemäß § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist ebenfalls rechtmäßig, weil den Klägern die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wurde, kein subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen und sie auch keinen asylunabhängigen Aufenthaltstitel besitzen. Die Ausreisefrist von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.
5. Rechtliche Bedenken gegen das in Nr. 6 des Bescheids angeordnete Einreiseund Aufenthaltsverbot bestehen im Hinblick auf § 11 Abs. 1 AufenthG ebenfalls nicht. Das Bundesamt hat bei seiner Entscheidung das ihm zustehende Ermessen erkannt und ordnungsgemäß ausgeübt. Die gemäß § 114 VwGO beschränkte gerichtliche Ermessensüberprüfung bleibt ohne Beanstandung.
6. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen haben die Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.

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