Verwaltungsrecht

Inländische Fluchtalternative in Indien

Aktenzeichen  M 17 K 17.35421

Datum:
8.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 3e
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

In Indien besteht innerhalb des Landes volle Bewegungsfreiheit; ein staatliches Melde- oder Registrierungssystem existiert nicht. Selbst bei andauernden strafrechtlichen Ermittlungen ist ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich ohne dass die betreffende Person ihre Identität verbergen muss. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar

Gründe

Über die Klage kann nach vorheriger Anhörung der Klägerseite durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO). Die Beklagte hat auf die Anhörung zu Entscheidungen durch Gerichtsbescheid generell verzichtet (s. Schreiben v. 25.02.2016).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, da der Bescheid vom 29. März 2017 rechtmäßig ist und den Kläger daher nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Das Bundesamt hat zu Recht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) und des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) als offensichtlich unbegründet abgelehnt und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint. Das Gericht folgt insoweit der zutreffenden Begründung der Beklagten im angegriffenen Bescheid, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
1. Abgesehen davon, dass die Ausführungen des Klägers sehr pauschal und detailarm und damit wenig glaubhaft sind, ist ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling rechtfertigen würde, vorliegend aus dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar. Vielmehr hat er sich lediglich auf einen Konflikt seines Vaters mit nicht näher bezeichneten Personen berufen. Dies begründet aber bereits mangels Anknüpfung an die dort genannten Merkmale keine Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG.
Im Übrigen muss sich der Kläger gegebenenfalls auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes verweisen lassen (vgl. § 3e AsylG). Er hätte bei einer Rückkehr in sein Heimatland die Möglichkeit, sich in einem anderen Landesteil niederzulassen, wenn er an seinem Herkunftsort Übergriffe durch die nicht näher bezeichneten Personen, mit denen sein Vater angeblich Streit hatte, befürchtet. Es steht auch nicht zu befürchten, dass die fraglichen Personen, auch wenn diese Geld besitzen, ihn in anderen Landesteilen Indiens aufspüren könnten. Denn nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien vom 16. August 2016 (S. 15) ist innerhalb des Landes volle Bewegungsfreiheit gewährleistet. Es gebe kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem und selbst bei laufender strafrechtlicher Verfolgung sei nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen müsse. Die Gefahr, dass der Kläger aufgespürt werden könnte, ist daher nicht beachtlich wahrscheinlich. Dieser hat auch nicht substantiiert dargelegt, dass in ganz Indien keine wirksame und dauerhafte Sicherheit gewährleistet sei.
Es wäre ihm auch zuzumuten, sich etwaigen Bedrohungen durch eine Flucht innerhalb Indiens zu entziehen, insbesondere ist davon auszugehen, dass der mittlerweile volljährige Kläger durch die Aufnahme einer Arbeit bei entsprechendem Einsatz seiner Arbeitskraft in der Lage ist, sich in einem anderen Landesteil Indiens eine wirtschaftliche Existenzgrundlage aufzubauen und seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Eine andere rechtliche Beurteilung ergibt sich insoweit auch nicht aus den geltend gemachten gesundheitlichen Problemen des Klägers. Dass dieser nicht arbeitsfähig sei, wurde weder behauptet noch durch Atteste o.ä. belegt.
2. Die Erkrankungen des Klägers können auch kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
2.1 Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis kann aber gegeben sein, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a. – juris; BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56).
Diese Rechtsprechung hat nunmehr auch in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG seinen Niederschlag gefunden, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vorliegt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
2.2 Demnach kann hier von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis nicht ausgegangen werden:
Abgesehen davon, dass die gesundheitlichen Probleme nicht durch (aktuelle) Atteste o.ä. belegt wurden, hat der Kläger lediglich Sehschwierigkeiten und Kopfschmerzen geltend gemacht. Eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung und damit eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist dem nicht zu entnehmen.
3. Nach alledem ist die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ebenfalls nicht zu beanstanden.
4. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG in Nr. 6 des Bescheids vom 29. März 2017 keinen rechtlichen Bedenken.
Die Ermessenserwägungen der Beklagten sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal die Klägerseite diesbezüglich keine substantiierten Einwendungen vorgebracht und insbesondere kein fehlerhaftes Ermessen gerügt hat.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.

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