Aktenzeichen M 19 K 17.35954
Leitsatz
1 Eine grundsätzliche Schutzunwilligkeit oder Schutzunfähigkeit des pakistanischen Staates gegenüber Bedrohungen durch nichtstaatliche Akteure liegt in Pakistan nicht vor. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Pakistan gibt es kein funktionierendes Meldewesen. Auch die Taliban verfügen nicht über ein engmaschiges Verbindungsnetz in alle Landesteilen. Daher ist es grundsätzlich möglich, in einer der größeren Städte der Aufmerksamkeit der Behörden oder eines potentiellen Verfolgers zu entgehen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Person, die vor einem Konflikt mit Taliban flieht, kann relativ sicher in einer pakistanischen Stadt in den Provinzen Sindh oder Punjab leben, soweit es sich nicht um eine Person handelt, die aus Sicht der Taliban unter allen Umständen gefunden werden muss. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen oder zu seinen Gunsten das Vorliegen der Voraussetzungen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung (Nr. 5) sowie der Befristungsentscheidung (Nr. 6) bestehen keine Zweifel. Zur Begründung wird auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylG) verwiesen.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung nach § 3 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich
a) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
b) außerhalb des Landes befindet aa) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder bb) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungsbzw. Schutzakteuren regeln die §§ 3 a bis d AsylG.
Gemessen an diesen Kriterien liegen hinsichtlich des Klägers die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor. Denn das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr in Pakistan landesweit Verfolgung droht. Für die Beurteilung dieser Frage gilt der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris Rn. 24; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33/07 – juris Rn. 23; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – juris Rn. 17).
Nach den vom Kläger im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Gründen, die er im Rahmen der mündlichen Verhandlung ergänzt hat, geht das Gericht davon aus, dass der Kläger sein Heimatland nicht wegen einer asyl- oder flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgung oder Gefährdung verlassen hat. Individuelle Probleme mit staatlichen Behörden oder deren Vertretern hat er nicht vorgetragen. Aus dem Vorbringen des Klägers bei der Anhörung vor dem Bundesamt ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine irgendwie geartete asylerhebliche Verfolgung oder Bedrohung. Soweit der Bevollmächtigte des Klägers rügt, dass die Anhörung äußerst knapp und unvollständig gewesen sei, findet sich hierfür in der Niederschrift über die Anhörung kein Beleg. Die Anhörung hat 70 Minuten gedauert. Der Kläger hatte umfassend Gelegenheit, seine Fluchtgründe zu schildern. Dies hat er mit seiner Unterschrift zur Niederschrift über die Anhörung bestätigt. Er hat selbst keinerlei Verfolgungshandlungen geschildert. Probleme mit den Taliban, die erstmals im gerichtlichen Verfahren vorgetragen wurden, hat er nicht einmal im Ansatz erwähnt. Insbesondere bei der Frage, was er im Falle der Rückkehr befürchte, hat er alleine auf die wirtschaftliche Situation abgestellt. Erstmals in der mündlichen Verhandlung am 22. November 2017 hat er detaillierte Angaben zu Problemen mit den Taliban gemacht. Aus dem Vortrag des Klägers ist allerdings nicht ersichtlich, dass die Probleme mit den Taliban an ein asylrechtsrelevantes Merkmal des Klägers angeknüpft hätten. Der Kläger hat hierzu keine individuellen Gründe vorgetragen. Die Taliban wollten nach dem Vortrag des Klägers die Räumlichkeiten seines Chefs überlassen haben. Zwar kann eine relevante Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die staatlichen Strukturen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (§ 3c Nr. 3 AsylG). Eine grundsätzliche Schutzunwilligkeit oder Schutzunfähigkeit des pakistanischen Staates gegenüber Bedrohungslagen, wie sie der Kläger geschildert hat, liegt in Pakistan nicht vor. Kein Staat ist in der Lage, lückenlosen Schutz vor kriminellen Übergriffen Dritter zu bieten. Dies wird – unter Hinweis auf bestehende Defizite – auch durch die vorliegenden Erkenntnismittel bestätigt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Lagebericht), Stand Mai 2016, S. 10 f.).
Im Ergebnis kann dies jedoch vorliegend offen bleiben, da sich der Kläger auf die Möglichkeiten einer inländischen Fluchtalternative (§ 3e AsylG) verweisen lassen muss. Nach der aktuellen Erkenntnislage (Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand Mai 2016, S. 21) können potentiell Verfolgte in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Peshawar oder Multan aufgrund der dortigen Anonymität unbehelligt leben. In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan (Fläche 880.000 m², ca. 200 Mio. Einwohner) ohne funktionierendes Meldewesen ist es grundsätzlich möglich, in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden oder eines potentiellen Verfolgers – auch der Taliban – zu entgehen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme an VG Leipzig vom 15.1.2014). Es ist auch nicht zu befürchten, dass dem Kläger überall in Pakistan Verfolgung durch die Taliban droht. Denn diese verfügen nicht über ein engmaschiges Verbindungsnetz in alle Landesteile (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Stuttgart, 22.8.2011). Zwar wird auch darüber berichtet, dass es schwierig sein könne, sich zu verstecken, wenn die Taliban eine Person gezielt suchten. Gemäß einer Auskunft von Accord führt der Ermittlungsbericht des Vertrauensanwalts der österreichischen Botschaft in Islamabad vom Juli 2013 jedoch aus, dass selbst eine Person, die vor einem Konflikt mit Taliban fliehe, relativ sicher in einer pakistanischen Stadt in den Provinzen Sindh oder Punjab leben könne. Hinsichtlich der Sicherheit würden in Pakistan – schon aufgrund der Größe des Landes – interne Fluchtalternativen bestehen Es sei möglich, sich aufgrund der Größe Pakistans aus dem „Radar der Taliban“ zu begeben (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Pakistan, 5.2.2015, S. 2). Es sind hier keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass es sich beim Kläger aus Sicht der Taliban um eine Person handelt, die unter allen Umständen gefunden werden muss. Der Kläger war nur Mitarbeiter der Firma, deren Räumlichkeiten die Taliban haben wollten. Es ist daher weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Kläger eine derart exponierte, landesweit bekannte Persönlichkeit sei, dass es ihm unmöglich wäre, in der Anonymität einer der pakistanischen Millionenstädte leben zu können.
2. Auch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zuerkennung des subsidiären Schutzes hat die Beklagte zutreffend verneint. Dabei hat sie die Erkenntnisse über die aktuelle Situation in Pakistan umfassend zu Grunde gelegt. Das Gericht schließt sich diesen Ausführungen an (§ 77 Abs. 2 AsylG). Änderungen der Sachlage haben sich zwischen dem Erlass des Bescheids und der mündlichen Verhandlung nicht ergeben.
3. Die Voraussetzungen für ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Der Kläger ist ein junger, offenbar gesunder und arbeitsfähiger Mann mit Arbeitserfahrung, von dem zu erwarten ist, dass er seinen Lebensunterhalt in Pakistan wird sichern können.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).