Aktenzeichen M 17 S 16.30332
Leitsatz
Bei einer Gefahr für Leib und Leben durch nichtstaatliche Dritte kann auf die Hilfe durch die zuständigen Behörden in Indien verwiesen werden. Zumindest besteht eine inländische Fluchtalternative. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der am … Dezember 1995 geborene Antragsteller ist Staatsangehöriger Indiens und Angehöriger der Religionsgemeinschaft der … Er reiste nach eigenen Angaben auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 30. Juli 2012 Asylantrag.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … Januar 2015 gab er im Wesentlichen an, dass er und seine Familie von … nach … beides Distrikt …, umgezogen seien, weil sein Vater einen Streit um die Miete für ihr Haus gehabt habe. Sie hätten sich aber nicht wohl gefühlt und seien wieder zurück nach … in ein anderes Haus gezogen. Wie er von seinem Bruder erfahren habe, sei sein Vater im Gefängnis, da er Probleme mit einem Grundstück bzw. Land gehabt und bei Männern gewohnt habe, die ebenfalls Probleme gehabt hätten. Der Vater habe nicht mehr bei seiner Familie gewohnt, da er sich von jemanden Geld geliehen habe und dann immer wieder deswegen belästigt worden sei. Am … Januar 2015 habe der Antragsteller im Fernsehen bzw. im Internet gesehen, dass auf die Person, mit der sein Vater zusammengelebt habe und auch zusammen im Gefängnis gewesen sei, geschossen worden sei. Der Gläubiger des Vaters habe die Familie ständig belästigt; er habe den Antragsteller und seinen Bruder auf dem Weg zur Schule immer wieder aufgehalten. Mit der Person, mit der sein Vater zusammengelebt habe, habe dieser immer wieder illegale Sachen gemacht und dann sei die Polizei zu ihnen gekommen. Sein Vater sei drogenabhängig gewesen.
Mit Bescheid vom 8. Februar 2016, per Einschreiben am 10. Februar 2016 zur Post gegeben, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und auf Asylanerkennung (Nr. 2) als offensichtlich unbegründet ab, lehnte den Antrag auf subsidiären Schutz ab (Nr. 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Indien oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter offensichtlich nicht vorlägen. Aus dem Vorbringen des Antragstellers ergäben sich auch nicht ansatzweise Anhaltspunkte dafür, dass er sich aus begründeter Furcht vor politischer Verfolgung außerhalb seines Herkunftsstaates aufhalte bzw. als Flüchtling im Sinne des Asylrechts seine Heimat verlassen habe. Er habe nicht dargelegt, warum und inwiefern gerade er Opfer politischer Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG geworden bzw. ihm solches bei Rückkehr drohe. Seine Angaben seien nichtssagend, verschwommen, pauschal, vage und damit in jeder Hinsicht so infundiert, also unpräzise und unklar gehalten, dass sich beim besten Willen nicht plausibel nachvollziehen lasse, was, wann, wo, unter welcher Beteiligung welcher Personen wie und warum geschehen sei und den Antragsteller schließlich zur Flucht motoviert habe. Sein Verweis, dass sein Vater Schulden gehabt und viele Probleme gemacht habe, könne eine politische Verfolgung des Antragstellers nicht begründen, selbst wenn er tatsächlich von den Gläubigern seines Vaters befragt worden sei oder die Polizei bei ihnen zu Hause nach dem Vater gefragt habe. Denn offensichtlich handele es sich bei Nachfragen des Gläubigers um dessen Recht, sein Geld wiederzuerlangen und denjenigen der Polizei um Ermittlungen gegen den Vater, was keine politische Verfolgung darstelle. Zudem könne sich jeder, der sich verfolgt fühle, in anderen Landesteilen niederlassen. Es bestehe kein staatliches Melde- und Registriersystem, so dass ein unbehelligtes Leben jedenfalls in ländlichen Gegenden anderer Landesteile möglich sei, ohne die Identität verbergen zu müssen. Die Inanspruchnahme einer inländischen Fluchtalternative sei dem Antragsteller auch zumutbar, da es ihm möglich sei, außerhalb seiner Heimatregion eine das Existenzminimum sichernde Lebensgrundlage zu finden. Bei einer Rückkehr nach Indien könne im Allgemeinen von der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausgegangen werden; die indische Regierung bemühe sich nach Kräften, Armut zu bekämpfen. Gegenteiliges habe der junge und gesunde Antragsteller nicht konkret darlegen können, seine Ausführungen stützten sich lediglich auf unsubstantiierte Behauptungen, die zudem nicht der allgemeinen Lebenserfahrung entsprächen.
Die … gehörten zu den anerkannten religiösen Minderheiten in Indien und stellten zudem einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Sie seien daher grundsätzlich keinen flüchtlingsschutzrelevanten Repressionen ausgesetzt. Auch der Antragsteller habe nicht dargelegt, wegen seiner Religionszugehörigkeit im Blickfeld der indischen Behörden zu stehen. Er habe nur auf die Probleme seines Vaters abgestellt.
Auch die Voraussetzungen für subsidiären Schutz seien nicht gegeben. In Bezug auf drohende Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung habe der Antragsteller eine individuelle Betroffenheit und die zu einer Schutzgewährung führenden Befürchtungen nicht glaubhaft machen können.
Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Es seien keine Anhaltspunkte glaubhaft dargelegt worden, die darauf schließen ließen, dass es dem Antragsteller entgegen der allgemeinen Auskunftslage nicht möglich sein sollte, sein Existenzminimum zu sichern. Dem Antragsteller drohe keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben und Passersatzpapiere würden durch die indischen Auslandsvertretungen ausgestellt.
Gegen die Nrn. 3 bis 6 des Bescheids erhoben die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit Schriftsatz vom 23. Februar 2016, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, Klage (M 17 K 16.30331) und beantragten gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bescheids vom 8. Februar 2016 nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Eine Begründung erfolgte bisher nicht.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 K 16.30331 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antragsteller möchte erreichen, dass die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 8. Februar 2016 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
I.
Der Antrag ist bereits unzulässig, da dieser nicht innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt wurde.
Nach dieser Vorschrift sind Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Im vorliegenden Fall wurde der streitgegenständliche Bescheid am 10. Februar 2016 per Einschreiben zur Post gegeben, so dass er gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG am 13. Februar 2016 als zugestellt gilt. Die Wochenfrist endete damit mit Ablauf des 22. Februar 2016 (§ 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1, 2 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1, § 193 BGB), so dass der am 23. Februar 2016 bei Gericht eingegangene Antrag verfristet ist.
Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
II.
Im Übrigen ist der Antrag aber auch unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (vgl. Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylG).
1. Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i. S. v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.), was nach ständiger Rechtsprechung aber nicht anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B. v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – Inf-AuslR 1993, 196).
2. An der Rechtmäßigkeit der insoweit seitens des Bundesamts getroffenen Entscheidungen bestehen hier keine derartigen ernstlichen Zweifel.
2.1 Das Bundesamt hat zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt. Das Gericht folgt insoweit der zutreffenden Begründung der Antragsgegnerin im angegriffenen Bescheid, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Ungeachtet der Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Ausführungen des Antragstellers muss sich dieser gegebenenfalls auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes verweisen lassen. Er hätte bei einer Rückkehr in sein Heimatland die Möglichkeit, sich in einem anderen Landesteil niederzulassen, wenn er an seinem Herkunftsort weitere Belästigungen durch den Gläubiger des Vaters befürchtet. Es wäre ihm auch zuzumuten, sich etwaigen Bedrohungen durch eine Flucht innerhalb Indiens zu entziehen, insbesondere ist davon auszugehen, dass der mittlerweile volljährige Antragsteller durch die Aufnahme einer Arbeit bei entsprechendem Einsatz seiner Arbeitskraft in der Lage ist, sich in einem anderen Landesteil Indiens eine wirtschaftliche Existenzgrundlage aufzubauen und seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Es steht auch nicht zu befürchten, dass der Gläubiger ihn in anderen Landesteilen Indiens aufspüren könnte. Denn nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien vom 24. April 2015 (S. 16) ist innerhalb des Landes volle Bewegungsfreiheit gewährleiste. Es gebe kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem und selbst bei laufender strafrechtlicher Verfolgung sei nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen müsse. Auch der Antragsteller legte nicht substantiiert dar, dass in Indien keine wirksame und dauerhafte Sicherheit gewährleistet sei.
2.2 Die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ist nach alledem ebenfalls nicht zu beanstanden.
III. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Klage gegen Nr. 6 des Bescheids das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Denn in dieser Nummer wird lediglich das sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG zeitlich befristet. Die schlichte Aufhebung der Nr. 6 des Bescheids aufgrund einer Anfechtungsklage (bzw. die Anordnung der aufschiebenden Wirkung) beträfen lediglich die getroffene Befristungsentscheidung als solche, so dass ein erfolgreiches Rechtsmittel zur Folge hätte, dass das – unmittelbar kraft Gesetz geltende – Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten würde. Die Rechtsstellung des Antragstellers wäre somit nicht verbessert. Das Ziel einer kürzeren Befristung der gesetzlichen Sperrwirkung nach § 11 Abs. 2 AufenthG müsste, ebenso wie die (vorläufige) Erteilung einer Betretenserlaubnis gemäß § 11 Abs. 8 AufenthG, im Wege der Verpflichtungsklage (bzw. im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes über einen Antrag nach § 123 VwGO) erstritten werden (vgl. NdsOVG, B. v. 14.12.2015 – 8 PA 199/15 – juris Rn. 5; VG München, B. v. 12.1.2016 – M 21 S 15.31689 – UA S. 8; VG Ansbach, B. v. 20.11.2015 – AN 5 S 15.01667 – juris Rn. 2; B. v. 18.11.2015 – AN 5 S 15.01616 – UA S. 2; VG Aachen, B. v. 30.10.2015 – 6 L 807/15.A – juris Rn. 8; Funke/Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand Dezember 2015, § 11 Rn. 183, 190, 193, 196; a.A. wohl VG München, U. v. 9.12.2015 – M 2 K 15.31158 – UA S. 14).
Der (gerichtskostenfreie, § 83b AsylG) Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.
…