Verwaltungsrecht

Kapazitätsberechnung für den Studiengang Humanmedizin

Aktenzeichen  7 CE 18.10053 u.a.

Datum:
10.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 260
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LUFV § 3 Abs. 8
VwGO § 123
HZV § 46 Abs. 1, § 59

 

Leitsatz

1 Ein Anordnungsanspruch im einstweiligen Rechtsschutz liegt nicht vor, da es rechtmäßig ist, wenn bei der Berechnung des Curricularfremdanteils geringfügig oberhalb einer Leitlinie zur Berechnung des Curricularwertes (hier sog. Marburger Analyse) in kapazitätsungünstiger Weise abgewichen wird, wenn dies angesichts der konkreten Verhältnisse der Hochschule sachlich gerechtfertigt ist, etwa im Hinblick auf Forschungsschwerpunkte, Eigenheiten der Fächer- und Organisationsstruktur oder ähnliche Besonderheiten. (Rn. 8 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Maßgeblich für die Kapazitätsberechnung ist die im Rahmen des Dienstrechts festgesetzte Lehrverpflichtung der Lehrpersonen (vgl. § 46 Abs. 1 HZV). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Ansatz eines eigenen Curricularanteils für die Betreuung von Studienabschlussarbeiten ist rechtmäßig. Der Betreuungsaufwand ist gem. § 3 Abs. 8 LUFV auf die Lehrverpflichtung des wissenschaftlichen Personals anzurechnen. Damit kann der dafür voraussichtlich anfallende Bedarf in den jährlichen Lehraufwand eingerechnet werden (BayVGH BeckRS 2008, 46608). (Rn. 13 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
4 Gruppengrößen bei Vorlesungen müssen so bemessen sein, dass im Ergebnis der normativ festgelegte Curricularnormwert von 2,42 nicht überschritten wird. Das Kapazitätsrecht verlangt keine Korrektur der Gruppengröße entsprechend der Ausbildungswirklichkeit (BayVGH BeckRS 2011, 31990). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 1 E HV 17.10105 u.a. 2018-04-19 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden der Antragstellerin und der Antragsteller werden zurückgewiesen.
III. Die Antragstellerin und die Antragsteller tragen jeweils die Kosten ihres Beschwerdeverfahrens.
IV. Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren wird auf jeweils 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin und die Antragsteller (im Folgenden: Antragsteller) begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin, 1. Fachsemester, an der Universität R. (UR) nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2017/2018 außerhalb, hilfsweise innerhalb der festgesetzten Zulassungszahl, jeweils hilfsweise beschränkt bis zum kapazitätsbestimmenden Engpass. Sie halten die Ausbildungskapazität der UR für nicht ausgeschöpft.
Das Verwaltungsgericht Regensburg hat ihre entsprechenden Anträge mit Beschluss vom 19. April 2018 abgelehnt.
Mit ihren Beschwerden verfolgen die Antragsteller ihr Rechtsschutzziel weiter. Sie machen im Wesentlichen geltend, die Berechnung des Dienstleistungsexports in die Lehreinheit Zahnmedizin entspreche nicht den Vorgaben des ZVS-Beispielstudienplans/der Marburger Analyse. Soweit der Senat diese Berechnungsmethode gleichwohl bereits gebilligt habe, überzeuge dies nicht. Im Übrigen sei weder nachzuvollziehen, ob die Berechnung der Anzahl der Semesterwochenstunden (SWS) korrekt erfolgt sei, noch sei der Dienstleistungsexport in sechs andere, der Lehreinheit Vorklinik nicht zugeordnete Studiengänge glaubhaft gemacht. Außerdem bemängeln die Antragsteller die Curricularberechnung im Hinblick auf den Bachelor-Studiengang Molekulare Medizin.
Der Antragsgegner widersetzt sich den Beschwerden und verteidigt den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerden haben keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), begründet die geltend gemachten Anordnungsansprüche der Antragsteller nicht.
Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die Universität ihre Ausbildungskapazität im Studiengang Humanmedizin (Vorklinik) ausgeschöpft hat und die Kapazitätsberechnung nicht zu beanstanden ist. Der Senat folgt den Gründen des streitgegenständlichen Beschlusses des Verwaltungsgerichts und nimmt darauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen zu bemerken:
1. a) Der Umstand, dass die UR den Dienstleistungsexport für den Studiengang Zahnmedizin mit einem Curricularfremdanteil von 0,8800, d.h. geringfügig oberhalb des in der Marburger Analyse angegebenen Werts von 0,8666, ansetzt, war bereits – worauf die Antragsteller selbst zutreffend hinweisen – Gegenstand der Überprüfung des Senats. In seinem Beschluss vom 25. Juli 2005 – 7 CE 05.10069 u.a. – (juris Rn. 37 m.w.N.) hat er dazu Folgendes ausgeführt:
„Soweit die Antragsteller speziell den Curricularanteil von 0,8800 für den Export an die Zahnmedizin in Frage stellen, ist zwar einzuräumen, dass damit von einer weit verbreiteten Berechnungspraxis abgewichen wird, die auf der Grundlage der sog. Marburger Analyse aus dem Jahr 1977 (dazu Zimmerling/Brehm, Hochschulkapazitätsrecht, Rn. 233 ff.) den auf dieses Fach entfallenden Dienstleistungsanteil der Lehreinheit Vorklinische Medizin mit 0,8666 beziffert. Nachdem es sich bei der Marburger Analyse um keinen „offiziellen“, von der ZVS autorisierten Beispielstudienplan handelt, ist aber bereits fraglich, ob ihr in gleicher Weise wie einem solchen Plan eine Indizwirkung bei der Ermittlung des notwendigen Dienstleistungsanteils zukommt. Selbst wenn dies jedoch angenommen und zudem unterstellt wird, dass die Erhöhung von 0,8666 auf 0,8800 mit der daraus rechnerisch verbundenen Verringerung der Studienplatzzahl um 0,6293 bereits eine „merkliche Abweichung“ zum Nachteil der Studienbewerber darstellt (zu diesem Kriterium BVerwG v. 18.5.1982, BVerwGE 65, 303/311), wäre die von der Universität vorgelegte Berechnung nach derzeitigem Erkenntnisstand im Ergebnis nicht zu beanstanden. Wie das Bundesverwaltungsgericht in der zitierten Entscheidung klargestellt hat, kann von den in einem Beispielstudienplan enthaltenen Leitlinien auch in kapazitätsungünstiger Weise abgewichen werden, wenn dies angesichts der konkreten Verhältnisse der Hochschule sachlich gerechtfertigt ist, etwa im Hinblick auf Forschungsschwerpunkte, Eigenheiten der Fächer- und Organisationsstruktur oder ähnliche Besonderheiten. Im vorliegenden Fall hat die Universität einen solchen Ausnahmefall hinreichend glaubhaft gemacht. Sie hat im Beschwerdeverfahren dargelegt, dass die Lehreinheit Humanmedizin ihre für den 1. Studienabschnitt vorgesehenen Lehrveranstaltungen für Human- und Zahnmediziner möglichst gemeinsam anbietet, um den mit einem eigenen Lehrangebot für Zahnmedizinstudenten verbundenen Zusatzaufwand zu vermeiden. Ein separates Ausbildungsprogramm würde nach ihrer Einschätzung sogar einen höheren Export aus der Vorklinik verursachen als bei dem jetzt praktizierten gemeinsamen Lehrprogramm. Dass diese Einschätzung unzutreffend wäre, ist nicht ersichtlich; sie erscheint vielmehr angesichts der vergleichsweise geringen Zahl von Studierenden in beiden Fächern durchaus nachvollziehbar. Unter diesen Umständen dient die Fortführung des Kooperationsmodells nicht lediglich der Verwaltungseffizienz, sondern zugleich dem Interesse der Studienplatzbewerber im Fach Humanmedizin, auch wenn damit der an anderen Universitäten häufig erreichbare Curricularanteil von 0,8666 für den Dienstleistungsexport an die Zahnmedizin in geringem Umfang überschritten wird.“
Daran wird auch angesichts des Umstands, dass die Antragsteller diese rechtliche Einschätzung des Senats nicht teilen, festgehalten. Eine Änderung der seiner damaligen Einschätzung zugrundeliegenden tatsächlichen Verhältnisse, die unter Umständen Anlass sein könnte, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
b) Auf die – nach Auffassung der Antragsteller nicht ausreichend nachvollziehbare – Berechnung der SWS kommt es nicht entscheidungserheblich an. Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat (B.v. 3.5.2013 – 7 CE 13.10053 u.a. – juris Rn. 15) ist maßgeblich für die Kapazitätsberechnung die im Rahmen des Dienstrechts festgesetzte Lehrverpflichtung der Lehrpersonen (vgl. § 46 Abs. 1 HZV). Der Umfang der Lehrverpflichtung wird in Lehrveranstaltungsstunden ausgedrückt (§ 2 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über die Lehrverpflichtung des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals an Universitäten, Kunsthochschulen und Fachhochschulen [Lehrverpflichtungsverordnung – LUFV] vom 14.2.2007 [GVBl S. 201, BayRS 2030-2-21-WFK], zuletzt geändert durch Verordnung vom 14.3.2013 [GVBl S. 166]). Eine Lehrveranstaltungsstunde umfasst mindestens 45 Minuten Lehrzeit pro Woche der Vorlesungszeit des Semesters (§ 2 Abs. 1 Satz 3 LUFV). Wie lange die Vorlesungszeit dauert, ist dabei ohne Belang. Dies gilt in gleicher Weise für die Berechnung des Dienstleistungsexports in sechs weitere, der Lehreinheit Vorklinik nicht zugeordnete Studiengänge.
2. Auch die Curricularberechnung zugunsten des Bachelor-Studiengangs Molekulare Medizin ist nicht zu beanstanden.
a) Der Ansatz eines eigenen Curricularanteils für die Betreuung der Bachelor-Arbeit im Umfang von zwei SWS ist rechtmäßig. Nach Nr. 1.4.7 der KMK-Vereinbarung über die Lehrverpflichtung an Hochschulen (ohne Kunsthochschulen) (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 12.6.2003) können Betreuungstätigkeiten für Diplomarbeiten, andere Studienabschlussarbeiten und vergleichbare Studienarbeiten unter Berücksichtigung des notwendigen Aufwandes bis zu einem Umfang von zwei Lehrveranstaltungsstunden angerechnet werden. Dementsprechend bestimmt § 3 Abs. 8 LUFV, dass Betreuungstätigkeiten für Diplom-, Bachelor- und andere Studienabschlussarbeiten sowie vergleichbare Studienarbeiten (Abschlussarbeiten) nur einmal je Studierendem unter Berücksichtigung des notwendigen Aufwands, insgesamt aber an Universitäten und Kunsthochschulen nur bis zu einem Umfang von zwei und an Fachhochschulen bis zu einem Umfang von drei Lehrveranstaltungsstunden angerechnet werden können. Diesbezüglich hat der Senat bereits Folgendes ausgeführt:
„Entgegen der Annahme der Antragsteller kann auch der Ansatz eines eigenen Curricularanteils für die Betreuung von Studienabschlussarbeiten im Bachelor- und Masterstudiengang Biomedizin nicht als rechtswidrig angesehen werden. Es handelt sich insoweit um eine Tätigkeit, die nach der ausdrücklichen Regelung des § 3 Abs. 8 LUFV auf die Lehrverpflichtung des wissenschaftlichen Personals anzurechnen ist, so dass der dafür voraussichtlich anfallende Bedarf in den jährlichen Lehraufwand eingerechnet werden darf (B.v. 17.10.2008 – 7 CE 08.10627 u.a. – juris Rn. 24 m.w.N.).“
Dies gilt auch vorliegend und unter Berücksichtigung des Einwands der Antragsteller, diese Vorschrift eröffne ein Ermessen der Universität, das erst nach ausdrücklicher Feststellung einer überdurchschnittlichen Belastung einzelner Lehrpersonen zum Tragen komme und auch dann nur ausnahmsweise eine Anrechnung auf deren Lehrverpflichtung erlaube. Denn der Wortlaut dieser Vorschrift des Bayerischen Landesrechts gibt für eine solche Auslegung – anders als möglicherweise der des von den Antragstellern zitierten Bremischen Hochschulgesetzes – nichts her. Da der für die Betreuung der Bachelorarbeit angesetzte Curricularanteil im Übrigen den Vorgaben des § 3 Abs. 8 Satz 2 Nr. 1 g LUFV entspricht, ist er nicht zu beanstanden.
b) Die Bedenken der Antragsteller hinsichtlich des in die Curricularwertberechnung des Studiengangs Molekulare Medizin B.Sc. eingestellten Stundenumfangs teilt der Senat ebenfalls nicht. Abgesehen davon, dass die Anzahl der eingestellten Stunden – wie die Antragsteller selbst einräumen – dem Modulkatalog entspricht, liegt der für die Molekulare Medizin errechnete Curricularwert mit 3,9869 vergleichsweise kapazitätsgünstig etwa in der Mitte der gemäß Anlage 8 zu § 59 HZV zulässigen Bandbreite von 3,35 bis 4,5 und gilt in dieser Höhe unverändert seit dem Jahr 2013. Seither ist er vom Senat außerdem mehrmals überprüft worden und jeweils unbeanstandet geblieben (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 11.9.2018 – 7 CE 18.10057 u.a. – juris Rn. 9 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund ist eine weitere Glaubhaftmachung im Hinblick auf die tatsächlich stattfindende Lehrnachfrage entbehrlich.
c) Auch mit der Gruppengröße bei Vorlesungen hat sich der Senat bereits in mehreren früheren Entscheidungen befasst (z.B. BayVGH v. 27.7.2006 – 7 CE 06.10037 u.a. – n.v.) und insoweit ausgeführt, die Gruppengröße von (damals 180) werde nicht durch den Umstand in Frage gestellt, dass mittlerweile an der UR eine darüber hinausgehende Zahl von Erstsemestern zum Studium zugelassen werde. Bei der Gruppengröße handele es sich um abstrakte und weitgehend normativ geprägte Betreuungsrelationen, deren Höhe so zu bestimmen sei, dass der ebenfalls normativ festgelegte Curricularnormwert eingehalten werden könne. Der hier üblicherweise angesetzte, aus dem Beispielstudienplan der ZVS entwickelte Wert g = 180 stelle insoweit für die Gesamtheit der angebotenen Vorlesungen eine Art Mittelwert dar, den der Verordnungsgeber bei der curricularen Aufteilungsentscheidung zugrunde gelegt habe und der daher im Rahmen der abstrakten Berechnung nach der Kapazitätsverordnung weiterhin Verwendung finden dürfe. Inzwischen hat die UR die in die Berechnung eingestellte Gruppengröße für Vorlesungen kapazitätsgünstig auf g = 200 angehoben. Nachdem die Gruppengrößen so bemessen sein müssen, dass im Ergebnis der normativ festgelegte Curricularnormwert von 2,42 nicht überschritten wird und das Kapazitätsrecht ohnehin keine Korrektur der Gruppengröße entsprechend der Ausbildungswirklichkeit verlangt, ist eine weitere Anhebung nicht geboten (BayVGH, B.v. 11.4.2011 – 7 CE 11.10004 u.a. – juris Rn. 26 f. m.w.N.).
Die seitens der Antragsteller von der Universität geforderte Darlegung, wie die UR die Gruppengröße berechnet habe, ist sonach nicht erforderlich, ebensowenig wie die verlangte Vornahme von „Anpassungen der Berechnung an die geänderten Bedingungen“.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zum Streitwert aus § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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