Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsverbot allein wegen den allgemein harten Lebensbedingungen in Nigeria

Aktenzeichen  M 21 S 17.42910

Datum:
10.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 30 Abs. 1, § 36 Abs. 4, § 77 Abs. 2
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7, § 60a Abs. 2c S. 1
VwGo § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Die allgemein harten Lebensbedingungen in Nigeria stellen für sich gesehen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG dar. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine in der Vergangenheit erfolgreich überstandene Krebserkrankung, hinsichtlich welcher regelmäßige Nachsorgeuntersuchungen erforderlich sind, kann aufgrund der ausreichenden medizinischen Behandlungs- und Untersuchungsmöglichkeiten in Nigeria, insbesondere in Lagos, ein von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG erfasstes gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot nicht begründen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die nicht ausgewiesenen Antragstellerinnen sind nach Angaben der Antragstellerin zu 1) nigerianische Staatsangehörige. Die Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der 2014 in Italien geborenen Antragstellerin zu 2). Die Antragstellerinnen sind am 19. März 2016 von Italien kommend, wo sie 9 Jahre gelebt haben, in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und haben am 18. April 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag gestellt.
In ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 30. November 2016 erklärte die Antragstellerin zu 1) zur Begründung ihres Asylbegehrens, sie habe vor ihrer Ausreise aus Nigeria bei ihrer Tante gelebt. Sie habe zwölf Jahre die Schule besucht und als Sekretärin in Lagos gearbeitet. 2007 sei sie mit einem Arbeitsvisum nach Italien geflogen. Nigeria habe sie wegen wirtschaftlicher Probleme verlassen. In Italien sei sie wegen Brustkrebs behandelt worden. Sie müssen hier zu Nachsorgeuntersuchungen. In Nigeria habe sie noch Kontakt zu ihrem Vater. Sie fürchte aber, dort keine medizinische Versorgung zu haben, wenn der Krebs wiederkomme.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Die Antragstellerinnen wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Nigeria angedroht. Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, die Antragstellerin zu 1) habe ihr Heimatland aus rein wirtschaftlichen Gründen verlassen. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG lägen entsprechend der allgemeinen Lage in Nigeria und unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Antragstellerinnen nicht vor. Insbesondere drohe den Antragstellerinnen keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Die Krebserkrankung der Antragstellerin zu 1) sei behandelt worden. Es seien regelmäßige gynäko-onkologische Nachsorgeuntersuchungen angeraten worden. Vor diesem Hintergrund sei nicht erkennbar, dass für die vorgetragene Erkrankung eine erforderliche medizinische Behandlung nicht gewährleistet sei oder aus finanziellen Gründen scheitern könne. Es handele sich lediglich um Nachsorgeuntersuchungen und laut Angaben der Antragstellerin sei der Brustkrebs bereits in Nigeria diagnostiziert worden, so dass davon ausgegangen werden könne, dass die medizinischen Behandlungs- und Untersuchungsmöglichkeiten in Nigeria hierfür ausreichend seien. Zudem verfüge die Antragstellerin über ein umfangreiches familiäres Netzwerk, die für die möglicherweise aufkommenden Behandlungs- und Untersuchungskosten aufkommen können.
Die Antragstellerinnen haben am 29. Mai 2017 durch ihren Bevollmächtigten Klage erhoben (M 21 K 17.42910), mit der sie (sinngemäß) beantragen, den Bescheid vom 22. Mai 2017 mit Ausnahme der Ziffer 2 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig beantragen sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Eine angekündigte Begründung erfolgte nicht.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 7. Juni 2017 die Akten vorgelegt und sich weder zu der Klage noch zu dem Antrag geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach– und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Es besteht vorliegend insbesondere kein greifbarer Anhaltspunkt für die Annahme eines Abschiebungsverbots. Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen insbesondere in Nigeria allgemein hart sind, stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die Abschiebung wäre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls auszusetzen, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – NVwZ 2002, 101), also im Falle einer schlechten Lebensmittelversorgung, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, a.a.O.).
Das ist bei einer jungen, gesunden Frau wie der Antragstellerin zu 1) nicht an-zunehmen, da sie einerseits eine 12jährige Schulbildung genossen und bereits vor ihrer Ausreise als Sekretärin in Nigeria gearbeitet hat und andererseits nach eigenen Angaben auch Familienangehörige, wie etwa ihren Vater, in Nigeria hat, die ihr bei ihrer Rückkehr finanziell oder etwa durch Übernahme der Betreuung der Antragstellerin zu 2) unter die Arme greifen können, zumal die Antragstellerin zu 1) bereits bei ihrer Ausreise mit einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand von ihrer Familie unterstützt worden ist.
Die Antragstellerin zu 1) kann sich überdies nicht mit Erfolg auf ein von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasstes gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot berufen. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der Fassung des am 17. März 2016 in Kraft getretenen Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390) liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 bis 3 AufenthG in derselben Gesetzesfassung wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Die Antragstellerin zu 1) hat in der Vergangenheit eine Krebserkrankung erfolgreich überstanden. Nach dem einzigen von ihr vorgelegten Attest besteht aufgrund dieser Erkrankung kein Behandlungsbedarf mehr. Allerdings werden regelmäßige Nachsorgeuntersuchungen empfohlen. Damit steht derzeit jedenfalls keine Erkrankung im des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG ihrer Abschiebung nach Nigeria entgegenstehen. Hinsichtlich der erforderlichen Nachsorgeuntersuchungen teilt das Gericht die Überzeugung des Bundesamtes, wonach die medizinischen Behandlungs- und Untersuchungsmöglichkeiten in Nigeria, insbesondere in Lagos, wo die Antragstellerin zu 1) bis zu ihrer Ausreise gelebt hat, hierfür ausreichend sind. Dies gilt erst Recht vor dem Hintergrund, dass die frühere Krebserkrankung der Antragstellerin zu 1) bereits vor mehr als zehn Jahren ebenfalls in Nigeria diagnostiziert worden ist.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Ge-richtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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