Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsverbot wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung

Aktenzeichen  Au 8 K 16.31019

Datum:
7.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 34, § 38 Abs. 1

 

Leitsatz

Wer die Feststellung von Abschiebungsverboten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung wegen traumatisierender Erlebnisse im Herkunftsland begehrt und die Symptome erst längere Zeit nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vorträgt, muss in der Regel auch darlegen, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten verhandeln und über die Klage entscheiden, da die Ladung den Hinweis nach § 102 Abs. 2 VwGO enthielt.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt, dass auch wegen der Erkrankungen des Klägers zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nicht angenommen werden können. Aus den vorgelegten Attesten gehen zwar die Diagnosen hervor, allerdings liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Hierzu verhalten sich die vorgelegten Atteste nicht hinreichend deutlich, da nur allgemein von einer „deutlichen Verschlechterung“ bzw. einer „nicht auszuschließenden Dekompensation“ die Rede ist, ohne dass dies näher quantifiziert wird, zumal das Bezirkskrankenhaus … im Befundbericht vom 9. Mai 2017 keine Hinweise mehr auf akute Selbst- und Fremdgefährdung sieht. Nach dem Befund von … vom 26. Mai 2017 besteht ebenfalls kein Hinweis für eine akute Suizidalität. Hinzu kommt, dass, wenn wie hier das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt wird und die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen werden, in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich ist, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen (siehe zum Ganzen: BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8.07 – BVerwGE 129, 251 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 2.12.2013 – 11 ZB 13.30303 – juris Rn. 8; B.v. 17.10.2012 – 9 ZB 10.30390 – juris Rn. 7).
Diesen Anforderungen werden die vorgelegten Atteste nicht gerecht: Der Kläger ist vor fasst neun Jahren aus seiner Heimat aus- und nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Griechenland vor rund viereinhalb Jahren in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er hat aber erst im Zusammenhang mit der Ablehnungsentscheidung des Bundesamts und dem Entzug der Arbeitserlaubnis Erkrankungen auf dem psychiatrischen Gebiet geltend gemacht bzw. sich in Behandlung begeben. Eine tragfähige und schlüssige Begründung dafür, warum der Kläger seine auf (traumatisierende) Erlebnisse in seinem Heimatland zurückzuführende Erkrankungen nicht früher behandeln hat lassen und geltend gemacht hat, hat der Kläger nicht angegeben. Ferner entbehren die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen einer Abklärung, ob bzw. inwieweit die vom Kläger geschilderten Erlebnisse auf wirklich Erlebtem beruhen. Es fehlt an einer fundierten, ernsthaften und nachvollziehbaren Auseinandersetzung mit den Angaben des Klägers. Diese werden vielmehr als wahr unterstellt und zur Grundlage der Diagnose gemacht, ohne dass sich diese so aus dem Vortrag des Klägers im Asylverfahren ergeben hätten. Die Feststellung der behaupteten traumatisierenden Ereignisse aber ist Gegenstand der gerichtlichen Sachverhaltswürdigung und unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 17.10.2012 – 9 ZB 10.30390 – juris Rn. 7).
Das Bundesamt hat im Asylerstverfahren das vom Kläger geltend gemachte Vorfluchtgeschehen insgesamt als unglaubhaft eingestuft. Auch für das Gericht ergeben sich aus den im streitgegenständlichen Bescheid dargelegten Gründen erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des klägerischen Vorbringens. So ist es für das Gericht schlichtweg nicht nachvollziehbar, weshalb erst nach einem Zeitraum von 20 Jahren wegen Handlungen eines Onkels am Kläger Rache verübt werden soll, zumal dieser Onkel seinerseits bei einem Anschlag ums Leben gekommen sei. Schließlich sind auch die Darstellungen zu den weiteren Fluchtgründen unstimmig. So gab der Kläger zu Beginn der Anhörung an, neben den beiden namentlich genannten Geschwistern keine weiteren Brüder und Schwestern zu haben. Später erklärte er dann, dass zwei jüngere Brüder bei einem Bombenanschlag auf die Schule getötet worden seien. Dies deckt sich aber wiederum nicht zu den eigenanamnestischen Angaben in den ärztlichen Befundberichten. Dort ist einmal von drei getöteten Brüdern die Rede (…, vom 1.6.2017 S.2), an anderer Stelle wird von vier mittlerweile verstorbenen Geschwistern gesprochen (Bezirkskrankenhaus, vom 9.5.2017 S. 2). Außerdem wird nicht klar, ob sein Onkel seinerzeit Partei- oder Familienfeinde getötet habe (siehe hierzu bspw. BA-Akte Bl. 47; Bezirkskrankenhaus, vom 9.5.2017 S. 2). Schließlich sind auch die Angaben in zeitlicher Hinsicht widersprüchlich, da der Kläger im Jahr 2012 Opfer des Anschlagsversuchs gewesen sein will, vorher aber erklärte bereits im Juli 2008 sein Heimatland verlassen zu haben (BA-Akte Bl. 46). Es bestehen angesichts dieser konträren Schilderungen Zweifel an dem Vorliegen der behaupteten traumatisierenden Ereignisse.
Hinzu kommt, dass die ärztlicherseits festgestellten Symptome ihre Ursache (auch) in der derzeitigen Aufenthaltssituation inklusive der Trennung von der Familie haben. Indes führt eine mit der Erkenntnis der Aussichtslosigkeit eines Bleiberechts für Deutschland und einer bevorstehenden Rückkehr in das Heimatland einhergehende Gefährdung bzw. Verschlechterung des Gesundheitszustandes für sich genommen regelmäßig nicht zu einem Abschiebungsverbot. Indem das Asylverfahrensgesetz ebenso wie etwa das Aufenthaltsgesetz die Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, nimmt es in diesem Zusammenhang vielfach zu erwartende Auswirkungen auf den gesundheitlichen und insbesondere auf den psychischen Zustand der Betroffenen in Kauf und lässt diese nur beim Vorliegen besonderer Umstände, die durch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ihre Begrenzung erfahren, als Abschiebungsverbote gelten (vgl. zu inlandbezogenen Abschiebungsverboten: OVG NW, B.v. 15.9.2004 – 18 B 2014/04 – juris Rn. 8; B.v. 4.11.2005 – 18 B 94/05 – juris Rn. 7; B.v. 17.2.2006 – 18 B 52/06 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Das Gericht verkennt nicht, dass der Kläger gesundheitlichen Einschränkungen unterliegt. Allerdings ist bei den den Stellungnahmen zugrunde gelegten Symptomen nicht zu erkennen, wie hierdurch auch bei einer fehlenden Behandlungsmöglichkeit wesentliche oder lebensbedrohliche Gesundheitsbeeinträchtigungen hervorgerufen werden können. Auch bei Depressionen treten nicht zwangsläufig erhebliche Gefahren für Leib oder Leben ein, wenn die Behandlung nicht durchgeführt wird. Gleiches gilt für eine posttraumatische Belastungsstörung; auch diese stellt im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG für sich gesehen keine lebensbedrohliche oder ähnlich schwerwiegende Erkrankung dar, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründet (vgl. VG Stuttgart, U.v. 14.3.2017 – A 11 K 7407/16 – juris Rn. 69). Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern; eine abschiebungsschutzrelevante Verschlechterung des Gesundheitszustandes liegt deshalb nicht vor, wenn lediglich eine Heilung eines Krankheitszustandes des Ausländers im Abschiebungsfall nicht zu erwarten ist (vgl. OVG NW, B.v. 14.6.2005 – 11 A 4518/02.A – AuAS 2005, 189; B.v. 27.1.2015 – 13 A 1201/12.A – juris Rn 32 m.w.N.). Hinzu kommt, dass eine psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung nicht von vornherein ausgeschlossen ist (siehe Schweizer Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung, vom 5.4.2017). Angesichts der wirtschaftlichen Situation des Klägers (s.u.) steht nicht fest, dass der Kläger die erforderliche ärztliche und medikamentöse Behandlung in Afghanistan nicht erhalten wird.
Schließlich ergibt sich eine extreme allgemeine Gefahrenlage für den Kläger weder in seiner Heimatregion noch in Kabul als möglichem Zielort der Abschiebung im Hinblick auf die allgemeine Versorgungslage. Er ist volljährig, arbeitsfähig und mit den Lebensverhältnissen in Afghanistan vertraut. Die wirtschaftliche Situation der Familie wurde als gut geschildert. Der Kläger bzw. seine Eltern verfügen beispielsweise über Grundbesitz, welcher teilweise verpachtet wird. Zumindest Verwandte mütterlicherseits leben in Afghanistan. Das Gericht ist daher der Überzeugung, dass der Kläger jedenfalls in seiner Heimat ggf. mit Unterstützung seiner (Groß)Familie seinen Lebensunterhalt sicherstellen kann (vgl. BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309; B.v. 14.12.2016 – 13a ZB 16.30139 – Rn. 4, 6 m.w.N.). Im Übrigen sind unter Berücksichtigung der Auskunftslage insbesondere Rückkehrer aus dem Westen in einer vergleichsweise guten Position, die durchaus auch Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts eröffnet (vgl. BayVGH, U.v. 13.5.2013 – 13a B 12.30052 – juris Rn. 12). Schließlich stehen ihm auch Rückkehrhilfen zur Verfügung (vgl. VG Augsburg, U.v. 18.10.2016 – Au 3 K 16.30949 – juris Rn. 21 m.w.N.), die jedenfalls für die Anfangszeit einer Wiedereingliederung des Klägers in die afghanischen Verhältnisse sein Auskommen sichern, bis er aus eigener Kraft seinen Lebensunterhalt sichern kann (aus GARP-Mitteln 500 Euro je Erwachsener, aus ERIN-Mitteln ca. 700 Euro, näher dazu VG Augsburg, U.v. 18.10.2016 – Au 3 K 16.30949 – juris Rn. 21 m.w.N.).
Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34, § 38 Abs. 1 AsylG.
Nachdem sich auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG als rechtmäßig erweist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

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