Aktenzeichen 10 ZB 18.30896
Leitsatz
1 Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen dafür angeben, dass die Feststellungen und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ist nach den angeführten Erkenntnisquellen die Erkrankung der Sichelzellenanämie in Nigeria behandelbar, ist es gemäß § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG nicht entscheidungserheblich, ob die in Deutschland eröffnete medizinische Versorgung qualitativ besser oder effektiver ist. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3 Nur wenn die Entscheidung keinerlei Begründung enthält oder in keiner Weise erkennen lässt, welche Gründe für die Entscheidung erheblich gewesen sind, liegt der Berufungszulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG vor. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 7 K 17.35372 2018-03-07 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und des Vorliegens eines nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO beachtlichen Verfahrensfehlers weder hinreichend dargelegt sind (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) noch vorliegen.
Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zuzulassen.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Seeger in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.8.2018, § 78 AsylG Rn. 18 ff; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 78 AsylG Rn. 11 ff.). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 – 11 ZB 17.30602 – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/ 17.A – juris Rn. 5; B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 7 m.w.N.).
Die von den Klägern als grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage, „ob im Rahmen eines Abschiebungsverbotes i.S.d. § 60 Abs. 7 AufenthG eine homozygote Erkrankung eines nigerianischen Kindes an der Sichelzellenkrankheit eine erheblich konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen bejaht werden muss, da schon durch ihr Vorliegen gegebenenfalls eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vorliegt“, rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht.
Die Klagepartei nimmt insofern zur weiteren Begründung Bezug auf erstinstanzliche Gerichtsentscheidungen, die sich mit der Frage, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen einer Sichelzellenkrankheit besteht, auseinandergesetzt haben. Beim Kläger komme hinzu, dass er unter der „homozygoten Form“ der Erkrankung, also einer besonders schwerwiegenden und lebensbedrohlichen Krankheit, leide, welche bereits für sich genommen eine erhebliche gesundheitliche Gefahr für Leib und Leben mit sich bringe.
Aus den Darlegungen der Kläger ergibt sich bereits nicht, dass die aufgeworfene Tatsachenfrage einer über den Einzelfall hinausgehenden Klärung zugänglich ist. Ob im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben aus gesundheitlichen Gründen wegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, muss stets individuell auf die Person des Betroffenen bezogen untersucht und ggf. festgestellt werden und kann nicht Gegenstand einer Grundsatzrüge sein. Überdies betreffen die vom Kläger angeführten drei Gerichtsentscheidungen neben Nigeria auch andere Zielstaaten (Angola und Senegal), so dass auch nicht von einer divergierenden bzw. uneinheitlichen (erstinstanzlichen) Rechtsprechung ausgegangen werden kann. Zudem ist die von den Kläger als grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage nicht entscheidungserheblich, weil das Verwaltungsgericht durch seine Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gemäß § 77 Abs. 2 AsylG (siehe UA Rn. 46) und damit auf die von diesem herangezogenen Erkenntnisquellen davon ausgehen konnte, dass die Erkrankung in Nigeria tatsächlich behandelbar ist und der Kläger zu 2 auch die Möglichkeit des Zugangs zu einer effektiven Behandlung hat. Das Verwaltungsgericht stellte demnach auch darauf ab, dass der Kläger zu 2 eine den Maßstäben des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gerecht werdende medizinische Behandlung in Nigeria erhalten kann und dass sich deshalb seine Erkrankung nicht durch die Abschiebung in sein Heimatland lebensbedrohlich oder schwerwiegend verschlechtern werde. Ob die ihm derzeit in Deutschland eröffnete medizinische Versorgung (siehe hierzu Ärztliche Bescheinigung des Universitätsklinikums Ulm vom 27.6.2018) qualitativ besser oder effektiver ist als die in Nigeria zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten, ist dabei gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AsylG nicht entscheidungserheblich. Im Übrigen ist nach den angeführten Erkenntnisquellen die Erkrankung der Sichelzellenanämie in Nigeria behandelbar (Home Office, UK Border Agency, Nigeria, Country of Origin Information (coi) Report, vom 3.2.2014, Ziff. 26.08, 26.32 – juris, dort u.a. unter Verweis auf: Sickle Cell Foundation Nigeria, http://www.sicklecellfoundation.com/).
Der Berufungszulassungsgrund der fehlenden Gründe einer Entscheidung nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 6 VwGO ist ebenfalls nicht gegeben. Er liegt nur dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung tatsächlich entweder überhaupt keine Gründe enthält oder aber diese Gründe so unverständlich sind, dass sie in keiner Weise erkennen lassen, welche Gründe für die Entscheidung erheblich gewesen sind. Das ist nur der Fall, wenn die Gründe so unbrauchbar sind, dass sie die Entscheidung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt tragen können. Bloße Knappheit, Oberflächlichkeit oder Unklarheit hingegen kann die Zulassung der Berufung nicht herbeiführen (BeckOK AuslR/Seeger, 19. Ed. 1.8.2018, AsylG § 78 Rn. 37). Gemessen hieran begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, wenn das Verwaltungsgericht in seinen Entscheidungsgründen im Wesentlichen auf die Ausführungen im Bundesamtsbescheid sowie in seinem Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren verweist, nachdem der Klägerbevollmächtigte ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Sitzung am 7. März 2018 ausdrücklich bestätigte (siehe dort, S. 2), dass keine Änderung der Sachlage, die dem Beschluss vom 17. Dezember 2017 zugrunde liegt, eingetreten ist. Entgegen seinem Vorbringen im Berufungszulassungsverfahren wurden weder mit der Klagebegründung vom 22. November 2017 noch sonst im gerichtlichen Verfahren neue (fach)ärztliche Atteste, Bescheinigungen o.ä. vorgelegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).