Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsverbot wegen Krankheit und Todesdrohungen Dritter

Aktenzeichen  M 16 K 15.31611

Datum:
12.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 2, S. 4

 

Leitsatz

Weder ein Kaposi-Sarkom noch eine psychische Erkrankung oder ein gebrochenes Sprunggelenk begründen – weder für sich genommen noch in der Gesamtschau – ein Verbot der Abschiebung nach Tschetschenien, da dort für sämtliche geltend gemachten Erkrankungen eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klagen werden abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten nach § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) darauf verzichtet haben.
Die zulässigen Klagen sind unbegründet.
Den Klägern stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Die Bescheide vom 19. November 2015 sind daher zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG) rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Anerkennung der Gewährung eines subsidiären Schutzstatus. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Das Gericht nimmt insoweit zunächst entsprechend § 77 Abs. 2 AsylG Bezug auf die zutreffenden Gründe der Bescheide des Bundesamts vom 19. November 2015, denen es folgt.
I.
Der Kläger hat sich insbesondere auf seine Erkrankungen berufen, die in seiner Heimat nicht ausreichend behandelt werden könnten. Vor allem stützt der Kläger sich auf das bei ihm diagnostizierte Kaposi-Sarkom.
Grundsätzlich kann eine Erkrankung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot darstellen. Nach der nunmehr aktuellen Fassung des § 60 Abs. 7 Satz 2 bis Satz 4 AufenthG wird im Falle einer Erkrankung ein Abschiebungsverbot nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, angenommen. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Die vom Kläger geltend gemachten Erkrankungen erfüllen diese Anforderungen nicht. Auch hier verweist das Gericht zunächst auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids. Entgegen der Behauptung des Klägers hat sich die Beklagte auch mit der Herzerkrankung und dem Hautkrebs /Kaposi-Sarkom des Klägers auseinandergesetzt. Das Gericht erkennt zudem nicht, wieso hinsichtlich des beim Kläger vorhandenen Kaposi-Sarkoms eine lückenlose Überwachung erforderlich sein soll, wenn das vorgelegte Attest lediglich eine Untersuchung in einem Abstand von drei Monaten für erforderlich ansieht. Dem Kläger ist es insbesondere zumutbar, sich in einen bestimmten Teil des Zielstaats zu begeben, in dem für ihn eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet ist. Nach der vom Kläger nicht bestrittenen Feststellung der Beklagten befindet sich in Grosny /Tschetschenien ein Onkologie-Zentrum, in dem Krebserkrankungen behandelt werden können. Diese Behandlung erfolgt kostenfrei (Danish Immigration Service, Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations, January 2015, p. 62). Im Falle des Klägers ist wegen seiner Krebserkrankung momentan nur eine Untersuchung notwendig, die lediglich alle drei Monate stattfinden muss, so dass auch insoweit keine erhebliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Klägers nach Rückkehr in seine Heimat erkennbar ist. Eine solche trägt der Kläger selbst auch konkret nicht vor, er stellt lediglich ohne nähere Substantiierung fest, dass er einer erheblichen Gesundheits- und Lebensgefährdung in der Russischen Föderation ausgesetzt wäre. Woraus sich diese Gefährdung ergeben soll, legt der Kläger nicht dar. Auch die Bescheinigung von Handicap International hilft insoweit nicht weiter. Zum einem stützt diese sich auf ungeprüft übernommene Aussagen der Klägerin. Zum anderen stellt diese fest, dass eine bestmögliche Versorgung für den Kläger wünschenswert wäre. Letzteres ist nach der Konzeption des Gesetzgebers im Fall des § 60 Abs. 7 Satz 2 bis Satz 4 AufenthG jedoch nicht Grundlage für ein Abschiebungsverbot – erforderlich ist lediglich, dass das Kaposi-Sarkom ausreichend medizinisch behandelbar ist, was in Grosny der Fall ist.
Gleiches gilt für die nunmehr vorgetragenen psychischen Erkrankungen des Klägers und dessen gebrochenes Sprunggelenk. Unterstellt, diese Erkrankungen lägen vor, wäre nicht erkennbar, wieso sich diese Erkrankungen aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise zu verschlimmern drohten, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führten und diese erhebliche Verschlimmerung alsbald nach der Rückkehr des Kläger zu erwarten sei. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung der psychischen Erkrankung in der Heimat des Klägers mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Sie muss lediglich in einem Teil von Tschetschenien bzw. der Russischen Föderation gewährleistet sein. Ambulante Behandlungen von psychischen Erkrankungen sind im Republican Psychoneurological Dispensary in Grosny möglich. Dort sollen auch Fachpersonen der klinischen Psychologie und Sozialarbeitende arbeiten (Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Themenpapier vom 8. September 2015, Tschetschenien: Gesundheitswesen und Behandlung psychischer Erkrankungen und Störungen, S. 9). Es besteht in der (übrigen) Russischen Föderation zumindest in großen Städten Zugang zur Behandlung von psychischen Erkrankungen – kostenfrei oder mit geringen Zuzahlungen (Deutsches Ärzteblatt, Heft 11, November 2008, Seite 519, 521). Mithin ist die psychische Erkrankung des Klägers in Tschetschenien und /oder in der Russischen Föderation ausreichend medizinisch behandelbar. Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land, ist es – wie für alle Bürger der Russischen Föderation – auch für Tschetschenen möglich, bei Krankheiten, die in Tschetschenien nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Russische Föderation, 13. April 2015, S. 79). Es ist nach der Intention des § 60 Abs. 7 Satz 2 bis Satz 4 AufenthG dem Kläger zuzumuten, sich zur Behandlung nach Grosny oder in eine andere große Stadt in der Russischen Föderation zu begeben. Das gebrochene Sprunggelenk des Klägers dürfte in absehbarer Zeit heilen und ohne weiteres in Tschetschenien oder der Russischen Föderation behandelbar sein.
II.
Die Klägerin hat vor allem Gründe (Vergewaltigung und Todesdrohung durch ihre Familie) für das Verlassen ihres Heimatlandes vorgetragen, die ein individuelles Verfolgungsschicksal nicht belegen können. Vielmehr liegt nahe, dass es sich – das Vorbringen der Klägerin als zutreffend unterstellt – um eine kriminelle Tat gehandelt hat, die nicht an besondere Merkmale der Klägerin anknüpft. Damit liegen zunächst die Voraussetzungen der – von der Klägerin nicht begehrten – Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG offensichtlich nicht vor. Auch die Voraussetzungen für die Gewährung des von der Klägerin begehrten subsidiären Schutzes (vgl. § 4 AsylG) sind nicht gegeben. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Ein Abschiebungsverbot ergibt sich – ebenso wie im Fall des Klägers – auch nicht aus der nunmehr vorgetragenen psychischen Erkrankung. Auch die Todesdrohungen durch die Familie oder die Vergewaltigung begründen nicht den begehrten subsidiären Schutz oder das begehrte Abschiebungsverbot. Die Klägerin kann sich insoweit an die örtlichen Sicherheitsbehörden wenden. Anhaltspunkte dafür, dass die Polizei der Klägerin nicht weiterhelfen würde, sind nicht erkennbar. Die Polizei bleibt lediglich in Fällen häuslicher Gewalt gegen Frauen häufig passiv und geht zum Beispiel Anzeigen nicht mit genügendem Nachdruck oder zuweilen gar nicht nach (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, Januar 2016, S. 16). Da die Klägerin nach eigener Aussage gegenüber der Beklagten in Tschetschenien lediglich mit ihrem Bruder zusammen gewohnt hat, liegt im Fall der Todesdrohung kein Fall häuslicher Gewalt vor. Die Vergewaltigung ist nach dem Vortrag der Klägerin nicht von Familienangehörigen begangen worden.
III.
Vor diesem Hintergrund ist auch die nach Maßgabe des § 34 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung im Fall beider Kläger nicht zu beanstanden. Die Ausreisefrist wurde mit 30 Tagen an der oberen Grenze des § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG angesetzt. Ebenfalls rechtmäßig ist das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG. Auch die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung ist nicht zu beanstanden. Die Entscheidung, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist ermessensfehlerfrei innerhalb der von § 11 Abs. 3 Satz 2 und 3 AufenthG aufgezeigten gesetzlichen Grenzen getroffen worden. Das Vorliegen besonderer Umstände ist von den Klägern weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Die in der Mitte des von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgezeigten Rahmens vorgenommene Befristung auf 36 Monate begegnet keinen Bedenken.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 159 VwGO i. V. m. § 100 Zivilprozessordnung (ZPO). Nach § 83b AsylG ergeht die Entscheidung gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil können die Beteiligten die Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. Dem Antrag sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts Dr. K. aus Landshut wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO)).

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