Aktenzeichen 10 ZB 19.1004
Leitsatz
Eine (Wiederholungs-)Gefahr iSd § 53 Abs. 1 AufenthG entfällt nicht etwa (allein) wegen einer Unterbringung des Betroffenen nach § 63 StGB (Bestätigung von BayVGH, BeckRS 2019, 2253). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 25 K 17.3610 2019-03-13 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine gegen den Bescheid der Beklagten vom 12. Juli 2017 (in der in der mündlichen Verhandlung am 13. März 2019 geänderten Fassung) gerichtete Klage weiter, mit dem diese seine Ausweisung verfügt, Anträge auf Erteilung einer Niederlassungs- bzw. einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt, das Einreise- und Aufenthaltsverbot unter der Bedingung der Straf- und Drogenfreiheit sowie Alkoholabstinenz auf fünf Jahre ab Ausreise befristet und seine Abschiebung in den Kosovo angedroht hat.
Der zulässige Antrag ist unbegründet, weil sich aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ergeben.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Der gegen die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts gerichtete Einwand, der Kläger sei wegen der bei ihm diagnostizierten paranoiden Schizophrenie gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht und die Fortdauer dieser Unterbringung mit Beschluss des Amtsgerichts R. vom 25. April 2019 angeordnet worden, weshalb er keine strafbaren Handlungen außerhalb des Maßregelvollzugs begehen werde und eine Gefährdung der Allgemeinheit derzeit ausgeschlossen sei, greift nicht durch. Zum einen hat der Senat bereits entschieden, dass eine (Wiederholungs-)Gefahr im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG schon wegen des unterschiedlichen Prognosehorizonts nicht etwa (allein) wegen einer Unterbringung des Betroffenen nach § 63 StGB entfällt (vgl. eingehend BayVGH, B.v. 1.2.2019 – 10 ZB 18.2455 – juris Rn. 7 ff.). Zum anderen hat das Verwaltungsgericht seine Bewertung, der weitere Aufenthalt des Klägers gefährde im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG die öffentliche Sicherheit, daneben auf generalpräventive Erwägungen gestützt, mit denen sich der Zulassungsantrag jedoch nicht auseinandersetzt.
Auch die Rüge, das Verwaltungsgericht habe bei der (nach § 53 Abs. 1 AufenthG erforderlichen) Interessenabwägung das Bleibeinteresse des Klägers nicht ausreichend gewürdigt und gewichtet, zeigt keine ernstlichen Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung auf. Der Kläger macht insoweit geltend, das Bundesamt habe in seiner Stellungnahme gegenüber der Ausländerbehörde im Ausweisungsverfahren ein Abschiebungsverbot (nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) für den Fall bejaht, dass im Kosovo die aufgrund seiner psychischen Erkrankung erforderliche Betreuung durch Familienangehörige nicht sichergestellt sei. Es gebe dort aber keine Verwandten, die diese erforderliche Betreuung übernehmen würden. Er sei krankheitsbedingt nicht in der Lage, sich im Kosovo allein zurechtzufinden. Das Verwaltungsgericht sei diesbezüglich von falschen Tatsachen ausgegangen. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts sei er faktischer Inländer, weil er lediglich krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen sei, seine Existenz selbst zu sichern.
Zunächst verkennt der Kläger dabei, dass die Frage eines inlandsbezogenen oder zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots die Rechtmäßigkeit der hier angegriffenen Ausweisungsverfügung unberührt lässt (vgl. z.B. BayVGH a.a.O. Rn. 10). Zudem hat das Verwaltungsgericht zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG beim Kläger ungeachtet der bei ihm bestehenden paranoiden Schizophrenie und aktuell angeordneten Betreuung aufgrund der im Kosovo gegebenen Behandlungsmöglichkeiten psychischer Erkrankungen, der dort vorhandenen staatlichen Pflege- und Fürsorgeeinrichtungen sowie der – wenn auch auf niedrigem Niveau – gewährleisteten Sozialhilfe verneint. Bei dieser Bewertung ist das Erstgericht nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass eine Beendigung der derzeitigen Unterbringung des Klägers nach § 63 StGB erst nach einer entsprechenden Stabilisierung seines psychischen Zustands erfolgen wird und die dann gegebenenfalls noch erforderliche Betreuung im Kosovo auch durch die dort lebenden Familienangehörigen möglich ist. Der im Zulassungsverfahren wiederholten pauschalen Behauptung, es gebe im Kosovo keine Angehörigen, die die erforderliche Betreuung des Klägers übernehmen würden, musste das Verwaltungsgericht vor diesem Hintergrund keine entscheidende Bedeutung beimessen. Mit diesen prognostischen Erwägungen des Verwaltungsgerichts setzt sich das Zulassungsvorbringen jedoch nicht hinreichend auseinander.
Auf die Frage, ob der im Bundesgebiet geborene und aufgewachsene Kläger aufgrund seiner erheblichen Straffälligkeit, eines fehlenden Arbeitsplatzes sowie fehlender eigener Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhalts nicht als faktischer Inländer anzusehen ist, kommt es schon deshalb nicht entscheidungserheblich an, weil das Verwaltungsgericht selbständig tragend festgestellt hat, dass auch die Annahme der Stellung eines faktischen Inländers angesichts der abgeurteilten (Gewalt-)Straftaten und der bestehenden Wiederholungsgefahr nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisungsverfügung führen würde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).