Verwaltungsrecht

Kein Absehen vom Visumverfahren nach Geburt eines Kindes wegen des Fehlens einer Duldung

Aktenzeichen  10 C 18.1497

Datum:
30.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21841
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 10 Abs. 3 S. 1, 3, § 25 Abs. 5 S. 1, § 27 Abs. 3 S. 2, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 54 Abs. 2 Nr. 9, § 60a
AufenthV § 39 S. 1 Nr. 5
GG Art. 6

 

Leitsatz

1 § 39 S. 1 Nr. 5 AufenthV soll nur diejenigen Ausländer privilegieren, die sich mit einer Duldung im Bundesgebiet aufhalten und sodann hier die Ehe schließen, nicht aber diejenigen, denen eine Duldung nur erteilt wird, um ihnen die zeitlich unmittelbar bevorstehende Eheschließung oder die Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft zu ermöglichen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der von § 39 S. 1 Nr. 5 AufenthV vorausgesetzten Aussetzung der Abschiebung muss es sich um eine solche handeln, die wegen anderer Abschiebungshindernisse als der (bevorstehenden) Eheschließung erteilt worden ist (vgl. NdsOVG BeckRS 2018, 1067, HmbOVG BeckRS 2014, 52410, OVG Bln-Bbg BeckRS 2013, 47326). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 K 17.5329 2018-06-11 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Dem Kläger wird für seine Klage auf Verpflichtung der Beklagten zu 1, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zu erteilen, Prozesskostenhilfe bewilligt und seine Prozessbevollmächtigte … … …, zu den Bedingungen eines im Bezirks des Verwaltungsgerichts München niedergelassenen Rechtsanwalts bewilligt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens zur Hälfte.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine gegen die Beklagte zu 1 und den Beklagten zu 2 gerichtete (Untätigkeits-)Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG bzw. § 25 Abs. 5 AufenthG weiter.
Der Kläger ist gambischer Staatsangehöriger. Er reiste am 9. November 2014 in das Bundesgebiet ein und führte unter den Aliaspersonalien „Ceesay Prince, geb. 11.11.1994, malischer Staatsangehöriger“ ein Asylverfahren durch. Er ist seit 11. Februar 2016 in Besitz eines gambischen Nationalpasses mit seinen zutreffenden Personalien, den er erst nach Abschluss des Asylverfahrens im März 2017 im ausländerrechtlichen Verfahren vorgelegt hat. Der Kläger ist Vater eines am 29. Dezember 2016 geborenen Kindes, für das er die Vaterschaft anerkannt hat und das gemeinsame Sorgerecht zusammen mit seiner Lebensgefährtin besitzt.
Das Asylverfahren wurde mit Beschluss vom 28. März 2017 eingestellt, nachdem der Kläger seinen Asylantrag zurückgenommen hatte.
Am 18. Juli 2017 erteilte die Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern dem Kläger eine Duldung und die Erlaubnis zum vorübergehenden Verlassen des Bereichs einer räumlichen Beschränkung, damit er seine Lebensgefährtin und seinen Sohn besuchen könne. Mit Bescheid vom 18. September 2017 übertrug die Zentrale Ausländerbehörde die Zuständigkeit auf die Beklagten zu 1, nachdem ihr der Kläger mit Bescheid vom 15. September 2017 zugewiesen worden war. Da die Beklagte zu 1 zunächst die Übernahme verweigerte, verlängerte die Zentrale Ausländerbehörde im September 2017 nochmals die Duldung des Klägers. Seit dem 18. Dezember 2017 wird die Duldung jeweils von der Beklagten zu 1 verlängert.
Am 10. November 2017 erhob der Kläger Untätigkeitsklage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Antrag, die Beklagten zu verpflichten, seine Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu bescheiden und bei Zuständigkeit eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, hilfsweise nach § 25 Abs. 5 AufenthG, zu erteilen. Zugleich beantragte er, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Mit Bescheid vom 2. Mai 2018 lehnte die Beklagte zu 1 die Anträge vom 19. und 22. Juni 2017 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Sie sei nicht zuständig, da der Kläger in München keinen Wohnsitz begründet habe. Er lebe zusammen mit seiner Lebensgefährtin und dem Kind in H. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG bestehe nicht, weil er nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist sei. § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthG greife nicht. Auch aus § 25 Abs. 5 AufenthG ergebe sich kein Anspruch.
Das Verwaltungsgericht München lehnte den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers mit Beschluss vom 11. Juni 2018 ab. Die Beklagte zu 1 sei zwar zuständig, dem Anspruch aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG stehe jedoch bereits § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG greife nicht ein, da der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe. Es bestehe ein Ausweisungsinteresse, weil er seinen Pass nicht vorgelegt und sein Asylverfahren unter falschen Personalien geführt habe. Zudem erfülle er die Visumpflicht des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht. Ein Absehen nach § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthG sei nicht möglich, weil er die Duldung gerade wegen der Geburt des Kindes erhalten habe. Auch die Voraussetzungen für die Erteilung eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG lägen nicht vor, da sich aus Art. 6 GG keine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise ergebe. Ein besonders ungewöhnlicher Einzelfall läge nicht vor, da die Lebensgemeinschaft des Klägers mit seinem Sohn aktuell nur in sehr eingeschränktem Umfang möglich sei. Der Beklagte zu 2 sei nicht passivlegitimiert.
Im Beschwerdeverfahren beantragt der Kläger,
ihm unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung Prozesskostenhilfe zu bewilligen und seine Prozessbevollmächtige beizuordnen.
Es dürfte unstreitig sein, dass zwischen ihm und seinem Sohn eine familiäre Lebensgemeinschaft bestehe. Es sei zweifelhaft, ob Ausweisungsinteressen nach § 54 Abs. 2 Nr. 8b und 9 AufenthG vorlägen. Es stehe weder fest, dass die Nichtvorlage des Passes einen nicht nur geringfügigen Verstoß darstelle, noch sei geklärt, ob der Kläger über die Folgen von Falschangaben belehrt worden sei. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene einschränkende Auslegung des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV finde im Gesetz keine Stütze. Die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Sohn stelle jedenfalls ein Ausreisehindernis im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG dar. Die zwangsweise Durchsetzung der Ausreise könne sich als unvereinbar mit Art. 6 GG erweisen. Der Kläger sei eine feste Bezugsperson für das Kind. Es werde auch nicht deutlich, welche Dauer die Trennung zur Durchführung eines Visumverfahrens habe und ob dies mit Art. 6 GG vereinbar sei. Auch die Annahme des Gerichts, die familiäre Lebensgemeinschaft sei derzeit nur in eingeschränktem Umfang möglich, treffe nicht zu. Im Zeitpunkt der Erhebung der Klage hätten beide Beklagte die Bearbeitung des Antrags abgelehnt.
Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.
II.
Die Beschwerde des Klägers gegen den seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 11. Juni 2018 ist zulässig, hat jedoch nur teilweise Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Verbescheidungs- bzw. Verpflichtungsklage des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zu Recht abgelehnt, weil sie voraussichtlich weder im Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (Nov. 2017) noch zu einem späteren Zeitpunkt hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (1). Soweit der Kläger hilfsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG begehrt, sind die Erfolgsaussichten seiner Klage gegen die Beklagte zu 1 zumindest offen. Insoweit ist ihm daher Prozesskostenhilfe zu bewilligen und seine Prozessbevollmächtigte beizuordnen (2.).
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
1. Nach der im Prozesskostenhilfeverfahren unter Berücksichtigung des Zwecks der Prozesskostenhilfe (vgl. BVerfG, B.v. 8.7.2016 – 2 BvR 2231/13 – juris Rn. 10 ff. m.w.N.) nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage steht dem Kläger der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Bestimmung des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG voraussichtlich nicht zu.
Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG steht das Titelerteilungsverbot des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen, nachdem der Kläger seinen Asylantrag zurückgenommen und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Asylverfahren mit Bescheid vom 28. März 2017 eingestellt hat.
Nach § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG findet die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung. Anspruch in diesem Sinne ist aber nur ein gesetzlicher Anspruch (vgl. insoweit zur Inhaltsidentität von § 10 Abs. 1 und § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG: BVerwG, U. v. 16.12.2008 – 1 C 37.07 – juris Rn. 23). Ein gesetzlicher Anspruch im Sinne dieser Regelungen muss sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Ein derart strikter Rechtsanspruch setzt voraus, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, weil nur dann der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen hat (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 1 C 31.14 – juris Rn. 20; U.v. 12.7.2016 – 1 C 23.15 – juris Rn. 21; U.v. 10.12.2017 – 1 C 15.14 – juris Rn. 15; U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – UA Rn. 19). Ansprüche aufgrund einer Ermessensvorschrift führen hingegen nicht zu einem gesetzlichen Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG, und zwar auch dann nicht, wenn das Ermessen im Einzelfall „auf Null“ reduziert ist. Dies gilt auch für Regelansprüche und Ansprüche aufgrund von Sollvorschriften (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2016, a.a.O.; U. v. 17.12.2015, a.a.O.).
Nach diesen Maßgaben steht dem Kläger ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht zu. Er erfüllt zwar die besonderen Erteilungsvoraussetzungen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, wonach die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen Deutschen zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Es mangelt aber an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.
In der Person des Klägers besteht bei summarischer Prüfung jedenfalls ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Durch die langjährige Täuschung über seine Identität im Asylverfahren (Antragstellung im November 2014) und beharrliche Nichtvorlage des Passes hat er den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m § 49 Abs. 2 AufenthG und damit ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG erfüllt. Es trifft nicht zu, dass der Kläger seinen Asylantrag „wenig später“ zurückgenommen habe. Er war bereits seit Februar 2016 in Besitz eines gambischen Nationalpasses, seinen Asylantrag hat er erst nach der Geburt seines Sohnes im Januar 2017 zurückgenommen. Selbst wenn der Kläger insoweit einen Ausnahmefall für sich in Anspruch nehmen könnte, der schon auf der Tatbestandsseite ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfordern würde, fehlte es an einem gesetzlichen Anspruch i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG (vgl. NdsOVG, B.v. 5.9.2017 – 13 A 129/17 – juris Rn. 17 m.w.N.). Ob er durch die falschen Angaben bezüglich Vornamen, Geburtsdatum und Nationalität im Asylverfahren auch den Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 8a AufenthG erfüllt hat, kann daher offen bleiben; es kommt somit nicht darauf an, ob der Kläger belehrt worden ist oder überhaupt die Notwendigkeit einer Belehrung bestand (vgl. hierzu SächsOVG, B.v. 15.1.2018 – 3 B 356/17 – juris Rn. 9)
Der Kläger ist zudem ohne (das erforderliche) Visum in das Bundesgebiet eingereist; er erfüllt daher auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht. Er ist auch nicht nach § 39 Nr. 5 AufenthV berechtigt, die Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einzuholen.
§ 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV erfordert, dass die Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und der Ausländer auf Grund einer Eheschließung, der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Diese Bestimmung soll nur diejenigen Ausländer privilegieren, die sich mit einer Duldung im Bundesgebiet aufhalten und sodann hier die Ehe schließen, nicht aber diejenigen, denen eine Duldung nur erteilt wird, um ihnen die zeitlich unmittelbar bevorstehende Eheschließung oder die Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft zu ermöglichen. Bei der von § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV vor-ausgesetzten Aussetzung der Abschiebung muss es sich folglich um eine solche handeln, die wegen anderer Abschiebungshindernisse als der (bevorstehenden) Eheschließung erteilt worden ist (vgl. NdsOVG, B.v. 2.2.2018 – 13 PA 12/18 – juris Rn. 11; OVG Hamburg, B.v. 10.4.2014 – 4 Bf 19/13 – juris Rn. 62; OVG Bln-Bbg, B.v. 12.2.2013 – OVG 7 N 63.13 – juris Rn. 4; B. v. 17.1.2011 – 11 S 51.10 – juris Rn. 10); dies gilt ebenso für die Fälle, in denen die Duldung wegen der bevorstehenden Geburt eines Kindes oder zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem Kind erteilt wird, weil die Ausgangslage dieselbe ist – Privilegierung nur der Personen, die sich bereits mit Duldung im Bundesgebiet aufhalten, wenn die anspruchsbegründenden Voraussetzungen eintreten. Dem Kläger wurde erstmals – nach Einstellung des Asylverfahrens im März 2017 – am 17. Juli 2017 eine Duldung erteilt, weil er geltend gemacht hatte, dass er nach H. zu seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn ziehen wolle. Andere Duldungsgründe als die im Bundesgebiet mit dem Sohn gelebte familiäre Lebensgemeinschaft sind nicht ersichtlich.
Im Übrigen hat der Kläger auch nicht, wie von § 39 Nr. 5 AufenthV weiter gefordert, auf Grund der Geburt seines Sohnes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben. Denn er erfüllt die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, der ein Absehen von den Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfordert, oder der Beklagte verpflichtet ist, im Ermessenswege nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen abzusehen, kann hier dahinstehen. Denn sowohl das Vorliegen eines Ausnahmefalls auf Tatbestandsseite als auch eine Ermessensreduzierung auf der Rechtsfolgenseite vermitteln dem Kläger nach dem eingangs dargestellten Maßstab keinen gesetzlichen Anspruch im Sinne des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthG (s. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 30).
2. Ob der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG beanspruchen kann, ist im Zeitpunkt der Bewilligungsreife seines Prozesskostenhilfeantrags als offen zu beurteilen. Es ist derzeit noch nicht hinreichend absehbar, ob er die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG und die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG erfüllt und eine Verpflichtung der Beklagten zu 1 besteht, die beantragte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Dem Erfolg seiner Klage steht jedenfalls nicht das Verbot des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen, da es sich bei der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG um eine solche nach dem Fünften Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes handelt. Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Unter „Ausreise“ im Sinne dieser Vorschrift ist sowohl die zwangsweise Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise zu verstehen (vgl. BVerwG, U.v. 10.11.2009 – 1 C 19.08 – juris Rn. 12, U.v. 27.6.2006 – 1 C 14.05 – juris Rn. 15 jeweils m.w.N.).
Eine freiwillige Ausreise ist, da tatsächliche Hindernisse beim Kläger nicht vorliegen, im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen unter anderem auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind, als auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten (z.B. nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG; vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2006 – 1 C 14.05 – juris Rn. 17). Bei Bestehen solcher Abschiebungsverbote hat nicht nur die zwangsweise Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben, sondern es ist ihm in aller Regel auch eine freiwillige Rückkehr in sein Heimatland aus denselben rechtlichen Gründen nicht zuzumuten und damit unmöglich im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (BVerwG a.a.O. Rn. 17).
Eine freiwillige Ausreise ist aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn sie mit Art. 6 GG unvereinbar wäre. Zwar gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei ihren aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen die familiären Bindungen des den weiteren Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familienrechtlichen Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (stRspr des BVerfG, vgl. z.B. B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehöriger und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen. Eine auch nur vorübergehende Trennung kann nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine Vorstellung davon entwickelt, welchen Trennungszeitraum es für zumutbar erachtet. Ein hohes gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (BVerfG a.a.O. Rn. 13 f.; BayVGH, B.v. 20.6.2017 – 10 C 17.744 – juris Rn. 9).
Gemessen an diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen lässt sich nicht ausschließen, dass die (freiwillige) Ausreise des Klägers wegen Unvereinbarkeit mit dem Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG rechtlich unmöglich ist. Entgegen der Auffassung des Klägers ist es zwar grundsätzlich mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie vereinbar, ihn auf die Einholung des erforderlichen Visums für eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zum minderjährigen deutschen Sohn (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) zu verweisen, weil die damit zwangsläufig verbundene Trennung als zumutbar anzusehen ist, wenn sie eine gewisse Dauer nicht überschreitet oder keine besonderen Umstände (z.B. Pflegebedürftigkeit) vorliegen. Die (nachträgliche) Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug ist auch nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerksverfahren im Heimatland durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris Rn. 11). Der Kläger hat es zudem durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seine Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er z.B. eine Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde nach § 31 AufenthV einholt (BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5). Es liegt im Verantwortungsbereich des Klägers die Nachholung des Visumverfahrens so familienverträglich wie möglich zu gestalten. Allerdings ist im vorliegenden Fall derzeit weder die Dauer des Visumverfahrens absehbar noch ist ausreichend geklärt, welche Ausländerbehörde für die Erteilung der Zustimmung nach § 31 AufenthV zuständig ist und ob dem Kläger das Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG entgegen gehalten kann oder ob eine Ausnahmefall vorliegt. Das Verwaltungsgericht konnte sich daher noch keine Vorstellung von der Dauer der voraussichtlichen Trennung machen und hat vielmehr darauf abgestellt, dass derzeit nur eine eingeschränkte familiäre Lebensgemeinschaft möglich sei. Dies trifft aber tatsächlich so (wohl) nicht zu, weil der Kläger überwiegend in H. bei seinem Sohn lebt.
Die Klage gegen den Beklagten zu 2 wird wegen dessen fehlender Passivlegitimation keinen Erfolg haben. Der Kläger wurde bereits vor Klageerhebung mit Bescheid vom 15. September 2017 der Beklagten zu 1 zugewiesen, so dass sich die Zuständigkeit der Beklagten zu 1 im Verhältnis zum Beklagten zu 2 aus § 5 Abs. 1 Satz 2 ZustVAuslR ergibt. Die Klage war somit ab diesem Zeitpunkt gegen die Beklagte zu 1 zu richten. Der zwischen der Beklagten zu 1 und dem Beklagten zu 2 bestehende Zuständigkeitsstreit hätte auch im Rahmen eines nur gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Klageverfahrens geklärt werden können.
Die Entscheidung über die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers beruht auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO. Die dabei vorgenommene kostenmäßige Beschränkung ist nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 3 ZPO regelmäßig gerechtfertigt. Anhaltspunkte, die ausnahmsweise eine kostenmäßig unbeschränkte Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts rechtfertigen könnten (besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Beteiligten und dem auswärtigen Rechtsanwalt, Erfordernis einer besonders qualifizierten rechtlichen Beratung, die nicht ein im Gerichtsbezirk ansässiger, sondern nur ein auswärtiger Rechtsanwalt gewährleisten kann, Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 166 Rn. 141 m.w.N.), sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gebühr aus Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) wird nach Ermessen um die Hälfte ermäßigt, da die Beschwerde nur teilweise zurückgewiesen wurde.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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