Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Asylfolgeverfahren

Aktenzeichen  M 24 E 16.30471

Datum:
18.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG §§ 3 ff., § 13 Abs. 2, § 71 Abs. 1, Abs. 3
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO VwGO § 123
VwVfG VwVfG § 51 Abs. 1-3

 

Leitsatz

Hat das BAMF im ersten Asylverfahren unanfechtbar festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht bestehen, so ist eine erneute Befassung mit § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG erst dann zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (hier verneint; vgl. BVerwG BeckRS 2000 30102578 und BeckRS 2001, 31351146). Sind die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht erfüllt, hat das BAMF nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die bestandskräftige Entscheidung zurückgenommen oder widerrufen wird; insoweit besteht ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (hier ebenfalls verneint; vgl. BVerwG BeckRS 2001, 31351146). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der am … 1982 geborene Antragsteller ist seinen Angaben im Asylverfahren zufolge mazedonische Staatsangehörige islamischen Glaubens und gehört zur Volksgruppe der Türken.
Er beantragte erstmals am 19. September 2012 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Diesen Antrag begründete er im Wesentlichen damit, in Mazedonien keine Arbeit gehabt zu haben. Er habe Flaschen und Abfälle gesammelt, was ihm die Polizei aber verboten habe. Er habe in Mazedonien nichts, ihm sei nie geholfen worden. Er habe auch Nierensteine und einen schiefen Mund und wolle in Deutschland operiert werden. Mit Urteil vom 5. Dezember 2012 (M 24 K 12.30913) wurde die Klage des Antragstellers gegen den ablehnenden Bundesamtsbescheid vom … Oktober 2012 (Az. …) als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
Am 27. August 2015 beantragte der Antragsteller erneut seine Anerkennung als Asylberechtigter. Hierzu gab er an, am 18. August 2015 erneut nach Deutschland eingereist zu sein. Er habe in Mazedonien gelebt; die Christen in Mazedonien würden keine Moslems mögen, ihnen kein Geld geben und nicht für sie sorgen. Er besitze kein eigenes Wohneigentum und wolle lieber in Deutschland bleiben. Wenn er nach Mazedonien zurückgehe, brächten sie ihn um. Zudem legte der Antragsteller einen „Befund und Meinung über die Art und Stufe der körperlichen und geistigen Behinderung“ des öffentlichen Krankenhauses … vom … März 2004 mit, wonach er eine leichte geistige Behinderung und einen IQ von 67 und eine Hörbehinderung habe.
Mit Bescheid vom … Februar 2016 (Az. …) lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Nr. 1) und den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom … Oktober 2012 (Az. …) bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) (Nr. 2) ab.
Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lägen nicht vor. Der Sachvortrag des Antragstellers sei nicht substantiiert genug, um die Befürchtung zu bejahen, dass der Antragsteller nach einer Rückkehr in sein Heimatland Verfolgungshandlungen oder einem ernsthaften Schaden ausgesetzt sei. Seine Todesangst sei nicht plausibel; sie werde nur behauptet, jedoch in keinerlei Weise substantiiert begründet. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien ebenfalls nicht gegeben. Das fachärztliche Attest vom 18. März 2004 hätte bereits im Erstverfahren vorgelegt werden können. Gründe, die unabhängig vom Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG rechtfertigen würden, lägen ebenfalls nicht vor. Vom Erlass einer erneuten Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung wurde gemäß § 71 Abs. 5 des Asylgesetzes (AsylG) abgesehen.
Am 7. März 2016 erhob der Antragsteller Klage und beantragte, den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom … Februar 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig wurde beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweilen Anordnung zu verpflichten, von einer Mitteilung an die Ausländerbehörde gemäß § 71 Abs. 5 AsylG abzusehen bzw. eine solche zu widerrufen.
Zur Begründung der Klage und des Antrags wurde auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug genommen. Im Übrigen wies der Antragsteller darauf hin, dass er „Zigeuner“ sei und deshalb in Mazedonien nicht akzeptiert und diskriminiert werde. Er befürchte, im Falle einer Rückkehr wegen seiner früheren politischen Betätigung dort verhaftet zu werden.
Am 11. März 2016 übersandte die Antragsgegnerin die Behördenakte zum Asylfolgeverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakten des Eil- und Klageverfahrens des Antragstellers (M 24 E 16.30471 und M 24 K 16.30470) und die vorgelegte Behördenakte des Bundesamtes Bezug genommen.
II.
1. Der streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes vom … Februar 2016 enthält keine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung, hinsichtlich derer die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet werden könnte. Deshalb ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO mit dem Inhalt, die Antragsgegnerin zu verpflichten von einer Mitteilung an die Ausländerbehörde gemäß § 71 Abs. 5 AsylG abzusehen bzw. eine solche zu widerrufen, der statthafte Rechtsbehelf, um das Ziel, bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht abgeschoben zu werden, zu erreichen (§ 123 Abs. 5 VwGO).
2. Für die Entscheidung über diesen Antrag ist das Verwaltungsgericht München als Gericht der Hauptsache insbesondere örtlich zuständig, weil der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit seinen Aufenthalt nach dem AsylG im Regierungsbezirk Oberbayern (Stadt …) und damit im Gerichtsbezirk zu nehmen hatten (§ 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO, § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO, Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO). Zur Entscheidung über den Antrag nach § 123 VwGO ist der Berichterstatter als Einzelrichter berufen (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
3. Der insoweit zulässige Antrag hat jedoch keinen Erfolg, weil der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO). Anordnungsanspruch ist der materiellrechtliche Anspruch, der im Hauptsacheverfahren geltend zu machen ist und der im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig gesichert oder geregelt werden soll. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er einen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (vgl. § 71 Abs. 1, § 13 Abs. 2 AsylG) oder auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hat.
3.1. Es bestehen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens hat.
§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG bestimmt unter anderem, dass im Falle eines Folgeantrags nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asyl(erst)antrages ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen ist, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen. Gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die Sach- und Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind. § 71 Abs. 3 Satz 1 AsylG verpflichtet den Ausländer zu Angaben über seine Anschrift sowie zu Tatsachen und Beweismitteln, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG ergibt.
Gemäß § 71 Abs. 4 Halbs. 1 AsylG sind die §§ 34, 35 und 36 AsylG entsprechend anzuwenden, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen. Zwar befassen sich §§ 34, 35 und 36 AsylG mit Fällen der Abschiebungsandrohung, die im streitgegenständlichen Bescheid im Hinblick auf § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG gerade nicht ausgesprochen worden ist. Die entsprechende Anwendung ist in solchen Fällen aber gleichwohl im Hinblick auf § 36 Abs. 4 AsylG insoweit von Bedeutung, als der Gesetzgeber dadurch den Maßstab der gerichtlichen Prüfung spezialgesetzlich vorgegeben hat. Das Verwaltungsgericht darf einstweiligen Rechtsschutz nur gewähren, wenn es ernstliche Zweifel daran hat, dass die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen (vgl. BVerfG, B. v. 16.3.1999 – 2 BvR 2131/95 – juris Rn. 1 und 22).
Der Vortrag des Antragstellers enthält keine Angaben, die darauf schließen lassen, dass die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 und 3 AsylG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG gegeben sind. Neue Beweismittel oder Dokumente, die belegen könnten, dass ihm im Herkunftsland Gefahren drohen würden, wurden nicht vorgelegt. Es fehlt somit an einem glaubhaften Vortrag des Antragstellers, dass Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf seine Anerkennung als Asylberechtigter oder auf Zuerkennung internationalen Schutzes (vgl. § 13 Abs. 2, § 1 Abs. 1 AsylG, § 3 ff. AsylG) vorliegen.
Das Gericht folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes im Bescheid vom … Februar 2016 (§ 77 Abs. 2 AsylG). Soweit der Antragsteller nunmehr im gerichtlichen Verfahren erstmals vorgetragen hat, dass er im Falle seiner Rückkehr wegen seiner früheren politischen Betätigung dort verhaftet werde, ist auch dieses Vorbringen zu unsubstantiiert, als dass sich hieraus Wiederaufgreifensgründe ergeben könnten.
3.2. Auch im Hinblick auf die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wurde kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es bestehen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hat.
Hat das Bundesamt im ersten Asylverfahren unanfechtbar festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht bestehen, so ist eine erneute Befassung mit § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG erst dann zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (vgl. BVerwG, U. v. 21.03.2000 – 9 C 41/99 – juris Rn. 9; BVerwG, B. v. 15.01.2001 – 9 B 475.00 – juris Rn. 5). Sind die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht erfüllt, hat das Bundesamt nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die bestandskräftige Entscheidung zurückgenommen oder widerrufen wird; insoweit besteht ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (BVerwG vom 15.01.2001, a.a.O, Rn. 5).
Auch in Bezug auf § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ist das Bundesamt in seinem Bescheid vom … Februar 2016 zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 VwVfG i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG weder vorgetragen noch ersichtlich sind. Eine maßgebliche Änderung oder Verschlechterung der Verhältnisse im Heimatland gegenüber dem vorherigen Asylfolgeantrag wurde nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Neue Beweismittel hat der Antragsteller nicht vorgelegt.
Das Bundesamt lehnte es auch ermessensfehlerfrei (§ 114 VwGO) ab, die bestandskräftige frühere Entscheidung über das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten zurückzunehmen oder zu widerrufen (vgl. § 51 Abs. 5 i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG). Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG erfordern würden, wurden weder geltend gemacht noch sind sie sonst ersichtlich.
Auch insoweit folgt das Gericht den Ausführungen im Bescheid des Bundesamtes vom … Februar 2016 (§ 77 Abs. 2 AsylG).
4. Der Antrag ist mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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