Aktenzeichen M 4 S 16.32388
Leitsatz
In sachgerechter Auslegung des Antrags ist davon auszugehen, dass sich ein Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht gegen das auf § 11 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AufenthG gestützte Aufenthalts- und Einreiseverbot richtet, da ein derartiger Antrag mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig wäre. (redaktioneller Leitsatz)
Ernstliche Zweifel im Sinne des § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen , dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand hat. (redaktioneller Leitsatz)
Auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen, ist zum Gegenstand der Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu machen; die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG gebieten die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG. (redaktioneller Leitsatz)
Die allgemein harten Lebensbedingungen im Senegal eröffnen keine Berufung auf den Schutz aus § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
1. Der Antragsteller gibt an, ein am … Januar 1984 geborener senegalesischer Staatsangehöriger zu sein. Unter dem Künstlernamen … sei er in seinem Heimatland ein berühmter Musiker gewesen, der in kritischen Songs auch die Regierung angegriffen habe. In einen Lied von ihm sei auch ein Vampir vorgekommen. Man habe möglicherweise gedacht, er sei tatsächlich ein Vampir. Die Menschen hätten den Kunstgriff nicht verstanden. Wegen dieses Songs hätten die Leute vielleicht gedacht, dass in seiner Familie ein Vampir lebe. Sie seien dann zu ihm nach Hause gekommen, hätten sie angeschrien und Steine geworfen. Seine Mutter habe deswegen einen tödlichen Herzinfarkt erlitten. Er selbst sei geschlagen, getreten und mit Steinen beworfen worden. Es könne auch sein, dass das Leute von … gewesen seien, den er in seinen Songs immer kritisiert habe. Er wisse aber nicht sicher, wer wirklich verantwortlich gewesen sei. Deswegen habe er den Senegal verlassen. Am Flughafen sei ein hilfsbereiter Mann gewesen, der seine Alben gekauft hätte. Er habe ihn nicht sehr gut gekannt, aber habe ihm geholfen das Land zu verlassen. Die genaue Position dieses … kenne er nicht, aber er sei ein bekannter Politiker. In seiner Anhörung zur Feststellung des zuständigen Mitgliedstaates gab der Antragsteller an, er sei am … Oktober 2015 mit einem französischen Kurzbesuchsvisum mit einer Gültigkeit von fünf Tagen nach Frankreich geflogen und am … Oktober 2015 nach Deutschland eingereist. In seiner Anhörung vor dem Bundesamt gab er demgegenüber an, er sei nach zweitägigen Aufenthalt nach Spanien geflogen, wo er sich für etwa 12 Tage aufgehalten habe. Danach sei er mit dem Bus nach Deutschland gefahren. Sein Pass sei ihm in einem Camp in Deutschland gestohlen worden.
Mit Bescheid vom 17. August 2016, lehnte das Bundesamt sowohl den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter (Ziffer 2. des Bescheids) als auch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1. des Bescheids) als offensichtlich unbegründet ab, ebenso wurde der Antrag auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus als abgelehnt (Ziffer 3. des Bescheids). Das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurde verneint (Ziffer 4. des Bescheids), der Antragsteller wurde zur Ausreise aufgefordert, die Abschiebung wurde bei nicht fristgerechter Ausreise angedroht (Ziffer 5. des Bescheids). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG wurde auf zehn Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Ziffer 6. des Bescheids), das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet ab dem Tag der Abschiebung auf 30 Monate (Ziffer 7. des Bescheids).
Der Antragsteller stamme aus einem sicheren Herkunftsland im Sinne von § 29a Abs. 2 AsylG. Er habe nichts vorgetragen, was ein Abweichen von dieser allgemeinen Einschätzung gebieten würde. Er mache auch keine staatliche Verfolgung geltend. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sei als offensichtlich unbegründet, die Zuerkennung des subsidiären Schutzes als unbegründet abzulehnen. Auch individuelle Gefahren, die das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes begründen könnten, seien nicht erkennbar.
Auf die Begründung des Bescheids wird im Einzelnen verwiesen.
2. Am 24. August 2016 erhob der Antragsteller gegen den Bescheid des Bundesamtes fristgerecht Klage (M 4 K 16.32387).
Mit dieser wird unter Aufhebung des Bescheids die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung des Antragstellers als Asylberechtigten bzw. ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen begehrt. Weiter hilfsweise die Feststellung des Vorliegens des subsidiären Schutzes sowie des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG geltend gemacht.
Über die Klage ist noch nicht entschieden.
Gleichzeitig wurde im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen auf den Vortrag des Antragstellers vor dem Bundesamt verwiesen.
Die Antragsgegnerin hat sich im Verfahren nicht geäußert, sie hat die Behördenakten vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte des Bundesamtes Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bleibt erfolglos.
Die Ablehnung des Asylbegehrens sowie der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als jeweils offensichtlich unbegründet und die Ablehnung des subsidiären Schutzes unterliegen jedenfalls keinen durchgreifenden Bedenken. Auch das Vorliegen von Abschiebungsverboten ist nicht erkennbar, so dass eine Aussetzung der Abschiebung im Ergebnis nicht geboten ist.
1. Das Gericht geht gemäß § 122 Abs. 1 i. V. m. § 88 VwGO in sachgerechter Auslegung des Antrags davon aus, dass sich der Eilantrag nicht gegen das auf § 11 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) gestützte Aufenthalts- und Einreiseverbot nach der Abschiebung (Ziffer 7. des Bescheids) richtet. Ein derartiger Antrag wäre mangels Rechtsschutzinteresse unzulässig (NdsOVG, B.v. 14.12.2015 – 8 PA 199/15 – juris Rn. 5; ausführlich ebenso VG München, B.v. 19.1.2016 – M 21 S 16.30019 – S. 8 f. des BA zur Notwendigkeit einer Verpflichtungsklage für die Befristungsentscheidung m. umfangr. Nachw.).
Ansonsten ist der Eilantrag in der Sache darauf gerichtet, dass das Gericht die kraft Gesetzes nach § 75 Asylgesetz (AsylG; ohne weitere Übergangsregelung auch für die vorher anhängig gewordenen Asylverfahrens in Kraft seit 24.10.2015 aufgrund von Art. 1, 15 Abs. 1 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20.10.2015, BGBl I S. 1722) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung (Ziffer 5. Satz 2 des Bescheids) und die nach § 84 Abs. 1 Satz 2 AufenthG kraft Gesetzes ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen das auf § 11 Abs. 7 AufenthG gestützte Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziffer 6. des Bescheids) nach § 80 Abs. 5 VwGO anordnen soll.
Dieser Antrag ist zulässig, insbesondere wurde er innerhalb der gesetzlichen Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt.
2. Der Antrag bleibt erfolglos.
a) Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG i. V. m. § 30 Abs. 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen, in denen der Asylantrag und der Antrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sind, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Diese ernstlichen Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (grundlegend zur Ablehnung des Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“ und zum Umfang der gerichtlichen Prüfung: BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/189 ff. = juris Rn. 86 ff.).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur Rechtslage nach dem dem Abschiebungsverbot gemäß § 60 AufenthG entsprechenden § 51 Ausländergesetz 1990: BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
b) Nach der Maßgabe dieser Grundsätze bestehen vorliegend keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen, an die Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) anknüpfenden Abschiebungsandrohung. Das Gericht folgt zunächst den Ausführungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird ausgeführt:
aa) Im Antragsvorbringen ist zur Frage der Ablehnung des Asylbegehrens des Antragstellers nichts vorgetragen, was eine Abweichung von der gesetzlichen Wertung in Art. 16a Abs. 3 GG, § 29a Abs. 1 AsylG begründen könnte.
Der Senegal ist in der Anlage II zu § 29a Abs. 2 AsylG als sogenannter sicherer Herkunftsstaat gelistet. Vom Antragsteller sind keine Tatsachen oder Beweismittel angegeben, die eine von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat abweichende Bewertung rechtfertigen (vgl. § 29a Abs. 1 AsylG). Der Asylantrag war somit nach § 29a Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Die gleiche Beurteilung gilt für die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet.
Die vorgetragene Verfolgungsgeschichte ist unglaubwürdig. Auch würde sie – auch wenn man sie als wahr unterstellt – nicht für eine asylrelevante Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure genügen.
Es mag durchaus sein, dass der Antragsteller ein relativ bekannter Musiker im Senegal ist. Jedenfalls kann ihm schon nicht darin gefolgt werden, mittels eines französischen Fünf-Tage-Visums ausgereist zu sein. Hierbei ist insbesondere auf die widersprüchlichen zeitlichen Angaben hinzuweisen, die der Antragsteller im Rahmen zweier Anhörungen gemacht hat. In seiner ersten Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates war von einem 12tägigen Aufenthalt in Spanien und einer anschließenden Busfahrt nach Deutschland nicht die Rede. Das Gericht glaubt dem Antragsteller auch nicht, dass seine Personalpapiere in einer deutschen Flüchtlingsunterkunft gestohlen wurden. Schon die Einlassung, ein unbekannter Fan habe ihm am Flughafen mit einem französischen Fünf-Tage-Visum ausgestattet, entbehrt jeglicher Glaubwürdigkeit. Auch die vom Kläger im Eilverfahren vorgelegten Übersichten über Wahllisten und Kandidaten im Senegal sind nicht geeignet, sein Vorbringen zu untermauern. Es handelt sich hierbei lediglich, soweit ersichtlich, um Biografien und Kurzportraits von Kandidaten verschiedener Parteien des Senegal.
Unabhängig davon bleibt das Begehren des Antragstellers auf Asylanerkennung bzw. auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aber jedenfalls deshalb ohne Erfolg, weil ihm in Anwendung von § 3d, § 3e AsylG ausreichender interner Schutz bei einer Rückkehr in den Senegal zur Verfügung steht. Es ist nach der Auskunftslage davon auszugehen, dass der senegalesische Staat willens und in der Lage ist, seine Staatsangehörigen zu schützen. Jedenfalls finden sie innerhalb der Großstädte des Landes ausreichende Ausweichmöglichkeiten (Bericht des Auswärtigen Amtes, a. a. O. S. 12 f.).
bb) Die Ablehnung mit der Folge des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung erfasst auch die Verneinung des Vorliegens von (nationalen) Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der weiter geltend gemachte subsidiäre Schutzstatus ist erkennbar nicht einschlägig.
Auch zum Vorliegen von Abschiebungsverboten hat der Antragsteller bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung nichts vorgetragen, was ein Abweichen von der Bewertung im angegriffenen Bescheid rechtfertigt.
(1) Die allgemein harten Lebensbedingungen im Senegal eröffnen keine Berufung auf den Schutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Zwar ist nach der Auskunftslage (Bericht des Auswärtigen Amtes im Hinblick auf die Einstufung der Republik Senegal als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG vom 21.11.2015 (Stand August 2015), dort zu Ziffer IV.1 – S. 15) davon auszugehen, dass die Versorgungslage im Senegal schlecht ist. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen kann der zurückkehrende Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aber nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei seiner Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, d. h. gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt
ist (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5/01 – BVerwGE 115, 1 m. w. N.; BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24/10 – NVwZ 2012, 451 Rn. 20).
(2) Das kann beim Antragsteller nicht angenommen werden.
Dieser ist als junger arbeitsfähiger Mann in der Lage, wie jeder andere dort Lebende in der vergleichbaren Situation, seinen Lebensunterhalt im Senegal durch eigene Tätigkeit sicherzustellen. Eine drohende Lebensgefahr ist bei einer Rückkehr nach der Auskunftslage nicht erkennbar
cc) Damit ist insgesamt die nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassenen Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden. Die gesetzte Ausreisefrist entspricht der Regelung in § 36 Abs. 1 AsylG.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).