Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung wegen der Einleitung von Abschiebungsmaßnahmen

Aktenzeichen  Au 1 E 18.1267

Datum:
9.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24978
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4, Abs. 6

 

Leitsatz

1 Eine Duldung zum Zweck der Berufsausbildung darf dann nicht mehr erteilt werden, wenn die Ausländerbehörde sich durchgängig bemüht hat, alle für die Aufenthaltsbeendigung erforderlichen Schritte zeitnah und ohne Unterbrechung durchzuführen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2 Sobald ein abgelehnter Asylbewerber für einen Rückflug gemeldet ist, stehen Abschiebemaßnahmen bevor, auch wenn er möglicherweise nicht dem zunächst ins Auge gefassten Flug zugeteilt wird. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3 Bloße Kapazitätsprobleme bei der Rückführung können noch nicht dazu führen, dass dem Wunsch nach einer Berufsausbildung grds. Vorrang vor dem staatlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung eingeräumt wird. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, ein afghanischer Staatsangehöriger, begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm einstweilen die Aufnahme einer Berufsausbildung zu gestatten.
Er reiste im Februar 2016 in die Bundesrepublik ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Diesen Antrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Juli 2017 ab, die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos (U.v. 27.11.2017 im Verfahren Au 3 K 16.31387). In der Folge wurde der Antragsteller geduldet.
Anfang Juni 2018 beantragte der Antragsteller unter Vorlage seiner Tazkira beim afghanischen Generalkonsulat die Ausstellung eines Reisepasses. Am 27. Juni 2018 reichte die Regierung von * einen TPR-Antrag (Transit Pass for Returning to Afghanistan) beim Generalkonsulat für den Antragsteller ein.
Am 27. Juni 2018 reichte die Firma * bei der Ausländerbehörde einen Berufsausbildungsvertrag zwischen ihr und dem Antragsteller ein (Ausbildung zum Hochbaufacharbeiter ab 3.9.2018).
Mit Bescheid vom 29. Juni 2018 lehnte die Zentrale Ausländerbehörde bei der Regierung von * den Antrag auf Ausübung einer Beschäftigung und den Antrag auf Ausbildungsduldung ab. In den Gründen ist ausgeführt, beim Antragsteller seien aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet worden. Heimreisedokumente könnten ausgestellt werden. Ein Duldungsgrund sei nicht mehr gegeben.
Am 20. Juli 2018 ließ der Antragsteller hiergegen Klage erheben, über welche noch nicht entschieden ist (Au 1 K 18.1265). Vorliegend begehrt er den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zur Begründung macht seine Bevollmächtigte geltend, der Antragsteller habe einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsgenehmigung und als Folge davon auf Erteilung einer Ausbildungsduldung. Sein Ausbildungsvertrag sei bereits am 25. Juni 2018 bei der IHK eingetragen worden. Zu diesem Zeitpunkt hätten noch keine konkreten Abschiebemaßnahmen vorgelegen, weil zu dem Zeitpunkt noch der faktische Abschiebestopp für Nicht-Straftäter bestanden habe. Im Übrigen habe keine Ermessensausübung stattgefunden. Auch sei derzeit das Folgeverfahren des Antragstellers wegen psychischer Erkrankungen anhängig. Aufgrund der Situation des Antragstellers, dass er sich kooperativ gezeigt habe, seine Tazkira vorgelegt und seinen Pass beantragt habe, die Wirtschaft dringend Lehrlinge brauche und es einen absoluten Fachkräftemangel gebe, überwiege sein Interesse am weiteren Verbleib die staatlichen Interessen.
Der Antragsteller beantragt,
Der Antragsgegner wird verpflichtet, die beantragte Ausbildungsgenehmigung zu erteilen und die Ausbildungsduldung zu erteilen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Zur Begründung trägt die Zentrale Ausländerbehörde vor, der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Beschäftigungsgenehmigung im Rahmen einer Berufsausbildung sowie einer Ausbildungsduldung. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen seien bereits am 20. bzw. 21. Februar 2018 eingeleitet worden, indem der Antragsteller zum Ausreisegespräch vorgeladen worden sei. Am 30. April 2018 sei die Ausstellung eines entsprechenden Heimreisescheines bei der Regierung von * (Zentrale Passbeschaffung) beantragt worden. Ein TPR-Antrag durch die Zentrale Passbeschaffung Bayern sei am 27. Juni 2018 beim Generalkonsulat eingereicht worden.
Der Antrag auf Genehmigung der Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Ausbildung sei erstmals mit Einreichung des Berufsausbildungsvertrages am 26. Juni 2018 gestellt worden.
Ergänzend wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte.
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Gegenstand des Antrags ist die vom Antragsteller begehrte Verpflichtung des Antragsgegners, ihm vorläufig eine Beschäftigungserlaubnis zur beantragten Ausbildung sowie eine vorläufige Ausbildungsduldung zu erteilen. Der Antrag konnte in entsprechender Anwendung des § 88 VwGO dahingehend ausgelegt werden, da das Ziel, dem Antragsteller zeitnah eine Ausbildung zu ermöglichen, eindeutig erkennbar ist.
2. Der Antrag ist zulässig, insbesondere steht einer Verpflichtung des Antragsgegners im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht entgegen, dass möglicherweise die Hauptsache vorweg genommen wird.
Eine solche Vorwegnahme der Hauptsache liegt dann vor, wenn die Entscheidung und ihre Folgen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen auch nach der Hauptsacheentscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt das Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache jedoch dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes notwendig ist, d.h., wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären.
So liegt der Fall auch hier. Ein weiteres Zuwarten hätte zur Folge, dass der Antragsteller seine Ausbildung nicht beginnen könnte, er würde möglicherweise seinen Berufsausbildungsplatz verlieren (siehe hierzu Hessen VGH, B.v. 15.2.2018 -3 B 2137/17). Hierzu kommt, dass dann, sollte der Antragsteller in der Hauptsache erfolglos bleiben, die möglicherweise begonnene Ausbildung alsbald wieder beendet werden könnte.
3. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dann begründet, wenn aufgrund einer summarischen Prüfung der in § 123 Abs. 1 VwGO genannten Voraussetzungen grundsätzlich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds spricht (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, Rn. 23 zu § 123 VwGO).
a) Ein Anordnungsgrund ist hinsichtlich des Antrags auf Erteilung einer vorläufigen Ausbildungsduldung gegeben. Der Antragsteller hat (noch) die Möglichkeit, eine Ausbildung zum Hochbaufacharbeiter zu beginnen. Diese Möglichkeit besteht nicht unbegrenzt. Die Lehrstelle ist, soweit erkennbar, derzeit noch nicht besetzt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie, sollte der Antragsteller das Hauptsacheverfahren abwarten müssen, dann nicht mehr zur Verfügung stünde.
b) Dem Antragsteller steht aber kein Anordnungsanspruch zur Seite. Er hat nach der hier nur möglichen summarischen Prüfung keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung.
Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt, die Voraussetzungen nach § 60a Abs. 6 AufenthG nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen.
Diese tatbestandlichen Voraussetzungen sind vorliegend nicht sämtlich erfüllt.
Aus dem vom Antragsteller bzw. seinem Ausbildungsbetrieb vorgelegten Berufsausbildungsvertrag ergibt sich zwar die Absicht des Antragstellers, eine qualifizierte Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf aufzunehmen. Auch die Ausschlussgründe des § 60a Abs. 6 AufenthG liegen nicht vor. Insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass beim Antragsteller aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können. Soweit erkennbar ist, ist der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen.
Im maßgeblichen Zeitpunkt der Beantragung der Ausbildungsduldung Ende Juni 2018 standen aber bereits konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevor.
Nach der Gesetzesbegründung zur Änderung des § 60a AufenthG (Drucksache 18/9090) soll in den Fällen, in denen die Abschiebung absehbar ist, der Durchsetzung der Ausreisepflicht Vorrang vor der Erteilung einer Ausbildungsduldung eingeräumt werden. Eine Duldung zum Zweck der Berufsausbildung darf dann nicht mehr erteilt werden. Hiervon ist im Fall des Antragstellers auszugehen.
Zunächst kann sich der Antragsteller nicht mehr mit Erfolg darauf berufen, zu dem Personenkreis zu gehören, für den die Abschiebungen nach Afghanistan ausgesetzt gewesen sind. Bis Ende Mai 2016 konnten nach einer Verständigung der Bundesministerien des Inneren und des Auswärtigen nur Straftäter, Gefährder sowie Personen, die sich hartnäckig der Identitätsfeststellung verweigerten, zurückgeführt werden. Im Rahmen einer Regierungsbefragung im Bundestag am 6. Juni 2018 wurde dann aber eine Änderung dieser Praxis angekündigt, so dass am 4. Juli 2018 erstmals wieder eine Rückführung stattfand, die sich nicht auf diese drei Personengruppen beschränkte. An dieser Praxis hat der Freistaat Bayern bis zum heutigen Tag auch festgehalten.
Beim Antragsteller ist zudem eine Abschiebung nach Afghanistan derzeit auch absehbar. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen.
Bereits am 30. April 2018 übersandte die Regierung von * der Zentralen Passbeschaffung Bayern bei der Regierung von * den Request for Transit Pass for Returning to Afghanistan (TPR-Antrag) neben den entsprechenden Lichtbildern für den Antragsteller. Der Antrag wurde von der Regierung von * am 27. Juni 2018 beim afghanischen Generalkonsulat eingereicht. Folge hiervon ist, dass bis einschließlich 26. Juli 2018 das Generalkonsulat die Möglichkeit hat, ein entsprechendes Dokument auszustellen. Sollte, wie dies üblicherweise der Fall ist, das Generalkonsulat dies nicht tun, so ist die zuständige Behörde befugt, ein (EU) Laissez-Passer zu erstellen. Ein solches Papier hat allerdings nur eine begrenzte zeitliche Gültigkeit, so dass die Ausstellung regelmäßig erst kurz vor dem geplanten Abschiebetermin erfolgt. Dies bedeutet im Fall des Antragstellers, dass seit Ende Juli nunmehr die Möglichkeit besteht, ein Einreisedokument auszustellen und ihn für einen der nächsten Flüge nach Kabul anzumelden. Die für den Antragsteller beabsichtigten und eingeleiteten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung wurden damit in letzter Zeit durchgängig und ohne relevante Unterbrechung durchgeführt.
Ob ein solches Laissez-Passer tatsächlich auch beantragt und ausgestellt wurde, ist dem Gericht allerdings nicht bekannt. Entsprechende Angaben finden sich, wie dies in Fällen vergleichbarer Art üblich ist, auch nicht in den vorgelegten Behördenakten. Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob die Ausländerbehörde grundsätzlich gehalten ist, die Ausstellung eines solchen Dokuments in ihren Behördenakten festzuhalten bzw. dem Gericht mitzuteilen. Diese Frage kann letztlich wohl erst im Rahmen des Hauptsacheverfahrens geklärt werden. Dabei wird zu entscheiden sein, ob es der Ausländerbehörde obliegt, die Ausstellung oder Beantragung eines solchen Papiers dem Gericht (und damit auch dem betroffenen Ausländer) mitzuteilen. Hierfür spricht, dass dann eindeutig und unzweifelhaft für alle Beteiligten erkennbar ist, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen anstehen. Dagegen spricht, dass damit vielfach der Zweck der Maßnahme vereitelt werden könnte. Letztlich darf eine solche mögliche Forderung auch nicht dazu führen, dass praktisch jeder Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung dazu führt, dass eine solche Duldung erteilt werden muss und die Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen von vorneherein ausscheidet, weil die Maßnahmen der Ausländerbehörde zeitlich nicht hinreichend konkret vorab mitgeteilt werden können.
In gleicher Weise können Kapazitätsprobleme bei der Rückführung nach Afghanistan nicht dazu führen, dass einem Antrag auf Ausbildungsduldung generell stattzugeben ist. Sobald ein abgelehnter Asylbewerber für einen Rückflug gemeldet ist, stehen Abschiebemaßnahmen bevor, auch wenn er möglicherweise nicht dem zunächst ins Auge gefassten Flug zugeteilt wird. Bloße Kapazitätsprobleme bei der Rückführung können noch nicht dazu führen, dass dem Wunsch nach einer Berufsausbildung grundsätzlich Vorrang vor dem staatlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung eingeräumt wird.
Maßgebend für die vorliegend zu treffende Entscheidung zu Ungunsten des Antragstellers ist, dass sich die Ausländerbehörde durchgängig bemüht hat, alle für die Aufenthaltsbeendigung erforderlichen Schritte zeitnah und ohne Unterbrechung durchzuführen. Von Ende April 2018 an bis zum heutigen Tag sind keine relevanten Zeitunterbrechungen festzustellen. Es ist dem gesamten Verfahrensablauf in den letzten Monaten eindeutig zu entnehmen, dass im Fall des Antragstellers eine Aufenthaltsbeendigung durchgeführt werden soll. Das Laissez-Passer wird möglicherweise, weil es nur eine beschränkte Gültigkeitsdauer hat, erst kurz vor Durchführung der Abschiebung ausgestellt. Es bestehen ansonsten im Fall des Antragstellers keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass bei ihm keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durchgeführt werden sollen. Es ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass er für einen der nächsten Flüge nach Afghanistan gemeldet wird. Ob er dann tatsächlich zu dem Personenkreis gehört, der von der Regierung von * letztlich für den nächsten Flug oder einen der folgenden Flüge vorgesehen wird, kann dahingestellt bleiben.
Etwas anderes würde vermutlich dann gelten, wenn nach Einreichung des TPR-Antrags mehrere Monate vergehen und sich damit eine deutliche Zäsur bei den Rückführungsbemühungen aufzeigt. In diesem Fall wäre wohl zu unterstellen, dass eine Aufenthaltsbeendigung nicht mehr „absehbar“ ist. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Das Gericht geht somit davon aus, dass angesichts der Gesamtumstände des Einzelfalls damit zu rechnen ist, dass der Antragsteller für einen der nächsten Flüge nach Afghanistan gemeldet wurde und eine Aufenthaltsbeendigung damit absehbar ist.
4. Die Kostenentscheidung für das gerichtliche Verfahren folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterlegender Teil hat der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen.
5. Die Festsetzung des Streitwerts folgt den Vorgaben der §§ 52 Abs. 2 und 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Die Kammer hat sich an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit orientiert.

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