Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf länderübergreifende Umverteilung nach Hessen

Aktenzeichen  B 3 K 17.32322

Datum:
31.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 51, § 55, § 61, § 77 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Volljärige Familienangehörige unterfallen nicht dem Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 AsylG iVm § 26 Abs. 1 – 3 AsylG. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Frage, ob außerhalb der Kernfamilie sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht, zB wegen besonderer Betreungsbedürftigkeit, gegeben sind, lässt sich nur im Einzelfall beantworten (BayVGH BeckRS 2002, 32218; VG München, Gerichtsbescheid v. 13.11.2015 – M 24 K 15.2129). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört. Der Beklagte erklärte sich mit Schreiben vom 27.07.2017 mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden.
II.
Das klägerische Schreiben vom 18.06.2017, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 20.06.2017, ist gem. § 88 VwGO als (Versagungsgegen-) Klage gegen die mit Bescheid vom 08.06.2017 abgelehnte länderübergreifende Umverteilung nach Hessen auszulegen.
III.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf länderübergreifende Umverteilung nach Hessen (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Grundsätzlich hat ein Ausländer, der um Asyl nachsucht, keinen Anspruch darauf, sich in einem bestimmten Land oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG). Nach § 51 Abs. 1 AsylG ist jedoch, wenn der Ausländer nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, der Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen im Sinne des § 26 Abs. 1 – 3 AsylG, also von Ehegatten oder Lebenspartnern sowie Eltern und ihren minderjährigen ledigen Kindern, oder sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht auch durch länderübergreifende Umverteilung Rechnung zu tragen.
1. Ein Anspruch des Klägers auf Umverteilung nach Hessen ergibt sich nicht vor dem Hintergrund der Herstellung einer Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen im Sinne des § 26 Abs. 1 – 3 AsylG. Zwar leben seine Eltern mit drei minderjährigen Geschwistern in …, der Kläger selbst ist jedoch volljährig und unterfällt daher nicht dem Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 26 Abs. 1 – 3 AsylG.
2. Auch sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht sind vorliegend nicht erkennbar. Geht es dem Ausländer, wie vorliegend, um die Aufnahme von familiären Beziehungen außerhalb der Kernfamilie, müssen diese ein vergleichbares Gewicht aufweisen. Dies kann der Fall sein, wenn die betreffende Person auf Lebenshilfe der anderen aufgrund von Krankheit, Schwangerschaft, Alter, Gebrechlichkeit oder sonstiger besonderer Betreuungsbedürftigkeit angewiesen ist. Die Frage, ob sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht gegeben sind, lässt sich nur Einzelfall beantworten (BayVGH, B.v. 12.9.2002 – 25 ZB 02.31330 – juris; VG München, Gerichtsbescheid v. 13.11.2015 – M 24 K 15.2129 – juris).
Gemessen hieran stellt der generelle Wunsch des Klägers, seine Familie durch den Alltag zu begleiten und bei den alltäglichen Aufgaben zu unterstützen, keinen sonstigen humanitären Grund von vergleichbarem Gewicht dar.
Auch die geschilderte Erkrankung der Mutter begründet nach Auffassung der Kammer keinen Anspruch auf Umverteilung nach Hessen. Nach den vorgelegten Unterlagen des … vom 04.07.2017 besteht bei der 1973 geborenen Mutter des Klägers der Verdacht auf Myome (gutartige Wucherungen in der Muskelschicht der Gebärmutter) bzw. der Verdacht auf Corpuspolyp (regelmäßig gutartiger Polyp der Gebärmutterschleimhaut). Eine operative Entfernung der Wucherungen im Bereich der Gebärmutter ist geplant. Die diagnostizierte Krankheit entwickelt sich meist zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr. In Europa ist jede vierte bis sechste Frau im gebärfähigen Alter davon betroffen (vgl. https://www.frauenaerzte-im-netz.de/de_myom-was-ist-ein-myom-_388.html). Es handelt sich daher um keine schwerwiegende oder gar lebensbedrohliche Erkrankung der Mutter des Klägers, sondern um einen Standardeingriff bei Frauen. Es ist davon auszugehen, dass nach Durchführung des operativen Eingriffes zeitnah eine vollständige Genesung erfolgen wird und die Mutter des Klägers nicht dauerhaft auf Hilfe angewiesen ist. Im Übrigen und in der Zwischenzeit können auch der Vater und die Geschwister des Klägers unterstützend zur Seite stehen.
Letztlich ergibt sich kein sonstiger humanitärer Grund von vergleichbarem Gewicht im Sinne des § 51 Abs. 1 AsylG daraus, dass der Kläger Aussicht auf eine Beschäftigung beim „ …“, …, hat. Zwar bestätigt der Arbeitgeber, dass der Kläger dort beschäftigt werden soll. Die Aufnahme der Erwerbstätigkeit bedarf aber – neben der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit – erst der Gestattung durch die zuständige Ausländerbehörde (vgl. § 61 Abs. 2 AsylG). Da gegenwärtig weder die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit noch die Erlaubnis der zuständigen Ausländerbehörde vorliegt, kann schon deswegen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht von einem sonstigen humanitären Grund von vergleichbarem Gewicht ausgegangen werden. Sollte dem Kläger eine Beschäftigungserlaubnis nach § 61 Abs. 2 AsylG erteilt werden, steht es diesem frei, erneut die Umverteilung nach Hessen zu beantragen und ggf. wiederum Klage zu erheben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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