Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf rückwirkende Aufhebung einer bestandskräftigen Baueinstellungsverfügung

Aktenzeichen  1 ZB 14.1609

Datum:
22.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 103755
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 75 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 lit. a
BayVwVfG Art. 43 Abs. 2, Art. 48 Abs. 1 S. 1
BayVwZVG Art. 23 Abs. 1, Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 31, Art. 36, Art. 37 Abs. 4 S. 1, S. 2
VwGO § 43, § 113 Abs. 1 S. 4, Abs. 5

 

Leitsatz

1. Die Voraussetzungen für die Baueinstellung (Art. 75 BayBO) müssen nicht nur im Zeitpunkt des Erlasses der Baueinstellungsverfügung, sondern während der gesamten Geltungsdauer der verfügten Baueinstellung vorliegen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Von der Baueinstellung sind auch Abschlussarbeiten, die zu einer weiteren Verfestigung des illegalen Vorhabens führen – und daher auch mit ihr zusammenhängende Zwangsgeldandrohungen – umfasst.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 13.1158, M 11 K 13.1202, M 11 K 13.1203, M 11 K 13.1297, M 11 K 13.1983 2014-04-30 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 117.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten zur rückwirkenden Aufhebung einer bestandskräftigen Baueinstellungsverfügung. Sie wendet sich zudem gegen die in diesem Zusammenhang erfolgten Zwangsgeldandrohungen und die Fälligstellungen der Zwangsgelder. Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Baueinstellungsverfügung gerichtete Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass der insoweit zuletzt gestellte Antrag auf Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet sei, den Bescheid vom 6. Februar 2013 ab dem 7. Februar 2013 aufzuheben, keinen Erfolg habe, weil er sowohl als Forstsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 5 VwGO) als auch als Feststellungsklage (§ 43 VwGO) bereits unzulässig sei. Eine Erledigung sei zwar für die Zeit ab Erteilung der Tekturgenehmigung bzw. ab Erteilung der Baufreigabe am 7. Mai 2013 zu bejahen, nicht jedoch für den davor liegenden Zeitraum, in dem die Bauarbeiten untersagt worden seien, da die Verfügung die Rechtsgrundlage für mehrere Vollstreckungsmaßnahmen in Form von bereits fällig gestellten Zwangsgeldern bilden würde. Die gegen die Zwangsgeldandrohungen und die Fälligstellung der Zwangsgelder gerichteten Klagen hat das Verwaltungsgericht mit der Begründung abgewiesen, dass die angegriffenen Zwangsgeldandrohungen rechtmäßig seien. Die Höhe der angedrohten Zwangsgelder sei nicht zu beanstanden. Auch das Verhalten des Landratsamts sei verhältnismäßig gewesen. Die fällig gestellten Zwangsgelder seien sämtlich fällig geworden, da wiederholt gegen die Baueinstellungsverfügung verstoßen worden sei.
1.1 Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass eine rückwirkende Erledigung im Sinn des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nicht eingetreten ist und der zuletzt gestellte Feststellungsantrag unzulässig ist. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht von einer Erledigung durch „Zurücknahme oder anders“. Auch nach Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Die Baueinstellung nach Art. 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a BayBO, die aufgrund einer Abweichung bei der Ausführung eines genehmigungspflichtigen Bauvorhabens von den genehmigten Bauvorlagen unabhängig von dem Umfang der Abweichung ausgesprochen wurde, enthält das Verbot, die Bauarbeiten weiterzuführen. Die Voraussetzungen für die Baueinstellung müssen nicht nur bei ihrem Erlass, sondern während ihrer gesamten Geltungsdauer vorliegen (vgl. Molodovsky/Famers, Kommentar zur BayBO, Stand November 2016, Art. 75 Rn. 52). Eine zeitlich vor der Baufreigabe liegende Erledigung durch Zeitablauf oder auf andere Weise ist nicht erkennbar. Ungeachtet dessen, dass sich die Klägerin dazu nicht verhält, kann dies insbesondere weder der vorgelegten E-Mail der Architektin der Klägerin vom 7. Februar 2013, in der diese zur vermeintlichen Zulässigkeit der Bescheinigung durch das Vermessungsbüro bei der Einmessbescheinigung und zu den nicht korrekten Schnittdarstellungen in der Eingabeplanung ausführte, noch der in der vorgenannten E-Mail angekündigten Tektur vom 8. Februar 2013 entnommen werden. Denn die letztendlich genehmigten Pläne zur Höhentektur, die zur Baufreigabe führten, lagen erst am 3. Mai 2013 bzw. 8. Mai 2013 vor. Bis zur Baufreigabe stellte die Baueinstellung daher verbindlich den geforderten Stillstand der Bauarbeiten fest und wirkte zudem als Rechtsgrundlage für Vollstreckungsmaßnahmen. Demgegenüber überzeugen die Ausführungen der Klägerin nicht, die unter Bezugnahme auf Art. 37 Abs. 4 Satz 1 und 2 BayVwZVG darauf abstellt, dass die Baueinstellungsverfügung sich erledigt habe. Die Klägerin verkennt, dass die Tekturgenehmigung zwar zur Erledigung der Baueinstellung ab dem Zeitpunkt der Genehmigung, nicht aber zur Erledigung für den in der Vergangenheit liegenden Zeitraum führt. Art. 37 Abs. 4 Satz 2 BayVwZVG, der eine Fortsetzung der Zwangsvollstreckung bei Verstößen gegen Unterlassungspflichten wie der Baueinstellung trotz späterem Wohlverhalten anordnet, lässt sich gerade keine rückwirkende Erledigung, sondern ein Fortwirken der Regelungswirkungen der Baueinstellung entnehmen. Hat sich aber die Baueinstellungsverfügung nicht erledigt, so ist auch der Feststellungsantrag nach § 43 VwGO unzulässig.
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass es auf die weiteren Ausführungen der Klägerin, insbesondere zur Frage der Rücknahme der Baueinstellung nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG, zur Rechtmäßigkeit der Baueinstellungsverfügung sowie zur Ermessensausübung im vorliegenden Fall nicht mehr entscheidungserheblich ankommt.
1.2 Das angefochtene Urteil begegnet auch nicht insoweit ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit, weil allein die in den Bauakten dokumentierten Veränderungen entgegen der (bestandskräftigen) Baueinstellungsverfügung ausreichten, um die angedrohten Zwangsgelder fällig zu stellen und jeweils – zum Teil gesteigerte – Zwangsgelder anzudrohen. Die im Einzelnen für die Fälligstellungen nach Art. 23 Abs. 1, Art. 31 Abs. 3, Art. 36 BayVwZVG und für die weiteren Zwangsgeldandrohungen nach Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 Abs. 1 und 2, Art. 36, Art. 37 BayVwZVG zu beachtenden Voraussetzungen lagen jeweils in den Zeitpunkten der Bescheidserlasse vor. Dem Einwand der Klägerin, hierfür habe „kein Anlass mehr“ bestanden, weil keine unzulässigen Bauarbeiten im Sinn des Art. 75 Abs. 2 BayBO durchgeführt worden seien, vermag der Senat nicht beizutreten. Selbst wenn die planabweichende Bauausführung im Kern bereits beendet war, sind auch noch Abschlussarbeiten, die zu einer weiteren Verfestigung des illegalen Vorhabens führen, von der Baueinstellung und daher auch von den mit ihr zusammenhängenden Zwangsgeldandrohungen umfasst. Entgegen der Auffassung der Klägerin erweisen sich die Androhung und die Fälligstellung der Zwangsgelder auch nicht als unverhältnismäßig im Hinblick auf die E-Mail ihrer Architektin vom 7. Februar 2013. Dazu wird auf die vorstehenden Ausführungen unter Nummer 1.1 verwiesen. Im Übrigen musste der Klägerin nach der Besprechung am 16. April 2016 klar sein, dass ab diesem Zeitpunkt lediglich die Bauarbeiten für das Haus I, nicht jedoch für die Häuser II bis V freigegeben waren. Gleichwohl wurde an den Häusern II bis V auch nach diesem Zeitpunkt weitergearbeitet.
2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn eine im Zulassungsantrag formulierte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus relevant ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. BVerwG, B.v. 30.3.2005 – 1 B 11.05 – NVwZ 2005, 709; B.v. 9.6.1999 – 11 B 47.98 – NVwZ 1999, 1231). Daran fehlt es. Die Klägerin hat bereits keine vollständige und als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage gestellt. Zudem legt sie nicht dar, wie es erforderlich wäre, dass und warum diese Frage einer berufungsgerichtlichen Klärung bedürfte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 sowie § 52 Abs. 1 GKG. Die Streitwertfestsetzung berücksichtigt, dass sich die im Bescheid vom 30. April 2013 erfolgte Zwangsgeldandrohung i.H.v. 150.000 Euro erledigt hat. Insoweit war der anzusetzende hälftige Betrag nicht mehr in die Berechnung einzubeziehen.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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