Aktenzeichen 10 ZB 16.1074
EMRK Art. 8 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz
Erst der bei beiden Ehepartnern bestehende Wille, die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet tatsächlich herzustellen oder aufrechtzuerhalten, löst den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG aus. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 9 K 15.5028 2016-04-13 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis weiter.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Der Kläger begehrt die Verlängerung seiner ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG bzw. aus eigenständigem Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 2 AufenthG. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil vom 13. April 2016 abgewiesen. Nach den übereinstimmenden Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung und der als Zeugin vernommenen Ehefrau bestehe die eheliche Lebensgemeinschaft seit November 2014 nicht mehr; die Ehefrau habe eine Fortsetzung oder Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft ausgeschlossen. Damit sei die Voraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht mehr gegeben. Der einseitige Wille des Klägers, die eheliche Lebensgemeinschaft wieder aufzunehmen, reiche dafür nicht; nach den überzeugenden Angaben der Ehefrau handle es sich nicht um ein vorübergehendes Getrenntleben, sondern um eine dauerhafte Trennung. Dem Kläger stehe auch kein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu, weil die eheliche Lebensgemeinschaft nicht seit mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden habe. Von der Voraussetzung des dreijährigen rechtmäßigen Bestands der ehelichen Lebensgemeinschaft könne auch nicht gemäß § 31 Abs. 2 AufenthG abgesehen werden. Der Härtebegriff des § 31 Abs. 2 AufenthG umfasse nur solche Nachteile, die mit der Ehe oder ihrer Auflösung in Zusammenhang stünden, nicht aber solche, die gleichermaßen jeden Ausländer träfen, der in sein Heimatland zurückkehren müsse. Der Vortrag, dass er in Tunesien nicht mehr integrierbar wäre, sei nicht glaubhaft; eine Rückkehr sei ihm auch ohne weiteres zumutbar, da er bisher lediglich vier Jahre in Deutschland gelebt habe. Demgegenüber habe er sein gesamtes vorheriges Leben in Tunesien verbracht und sei dort familiär verwurzelt. Er sei erst im Alter von 32 Jahren in das Bundesgebiet gekommen. Bei einem solchen Fall scheide auch eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK offensichtlich aus.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11).
Das ist jedoch nicht der Fall.
a) Der Kläger weist zunächst auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hin, wonach es sich angesichts der Vielfalt der von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Ausgestaltungsmöglichkeiten der familiären Lebensgemeinschaft verbietet, schematische oder allzu enge Mindestvoraussetzungen für das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft zu formulieren (BVerfG, B.v. 30.1.2002 – 2 BvR 231/00 – juris Rn. 22; allerdings bezogen auf die Beziehung zu Kindern). Dies habe das Verwaltungsgericht verkannt. Es sei lediglich von der Aussage der Ehefrau ausgegangen, wonach diese die Ehe als gescheitert betrachte. Festzuhalten sei jedoch, dass die Ehe bis zum heutigen Tag nicht geschieden sei und der Kläger die Ehe gerne weiter aufrechterhalten würde.
Damit ist jedoch ein Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft im Sinne des § 27 Abs. 1 AufenthG nicht aufgezeigt. Denn das formale Band der Ehe reicht für sich allein nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zu entfalten. Erst der bei beiden Ehepartnern bestehende Wille, die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet tatsächlich herzustellen oder aufrechtzuerhalten, löst den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG aus. Auch wenn sich schematische oder allzu enge Mindestvoraussetzungen für das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft verbieten und das Zusammenleben in einer Wohnung nicht zwingend vorauszusetzen ist, ist es jedenfalls erforderlich, dass das Bestehen einer über eine bloße Begegnungsgemeinschaft hinausreichenden familiären Lebensgemeinschaft auf andere Weise erkennbar sichergestellt ist. Maßgeblich ist der nachweislich betätigte Wille beider Ehepartner, mit dem jeweils anderen Ehepartner als wesentlicher Bezugsperson ein gemeinsames Leben zu führen (BVerwG, B.v. 22.5.2013 – 1 B 25/12 – juris Rn. 4). In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 13. April 2016 hat die als Zeugin vernommene Ehefrau des Klägers eindeutig erklärt, dass sie sich im November 2014 entschlossen habe, die Ehe nicht fortzusetzen, und seither keinen gemeinsamen Wohnsitz mit dem Kläger habe; sie beabsichtigte nicht, die eheliche Lebensgemeinschaft wieder aufzunehmen. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass der einseitige Wille des Klägers, die eheliche Lebensgemeinschaft wieder aufzunehmen, nicht ausreicht, um eine solche Lebensgemeinschaft anzunehmen; eine schematische Betrachtung oder eine allzu enge Fassung der Mindestvoraussetzungen hierfür liegt darin nicht.
b) Keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergeben sich auch im Hinblick darauf, dass die Ehefrau des Klägers die eheliche Lebensgemeinschaft beendet hat. Wenn der Kläger der Meinung ist, dass dieser Umstand bei der Beurteilung der besonderen Härte im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 1 und 2 AufenthG hätte Berücksichtigung finden müssen, so verkennt er, dass die besondere Härte sich nicht auf die Umstände der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft, also des „Scheiterns“ der Ehe, bezieht, sondern auf die mit dem Ende des Aufenthaltsrechts sich ergebende Folge der Verpflichtung zur Ausreise.
c) Auch soweit der Kläger einen unverhältnismäßigen Eingriff in sein durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Recht auf Privatleben geltend macht, hat er damit keinen Erfolg. Er bringt vor, er sei im Bundesgebiet erkennbar wirtschaftlich integriert. Er gehe als Kellner einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach und habe nie Hilfe zum Lebensunterhalt nach SBG XII bezogen. Er verfüge über einen Schulabschluss, spreche fließend deutsch und habe den Integrationskurs erfolgreich abgeschlossen. Wenn das Verwaltungsgericht auf die kurze Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet abstelle, habe es den Umstand, dass sich der Kläger überdurchschnittlich schnell integriert habe, zu seinem Nachteil gewendet.
Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger erst im Alter von 32 Jahren in das Bundesgebiet eingereist ist und sein ganzes voriges Leben im Heimatland verbracht hat, wo er auch weiterhin familiär verwurzelt ist. Angesichts dessen ist ihm eine Rückkehr in sein Heimatland nicht unzumutbar, auch wenn er einer Erwerbstätigkeit als Kellner nachgeht (und außerdem wohl vom Job-Center Leistungen nach SGB II bezieht, wie der Beklagte mitgeteilt hat).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).