Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf vorläufige Teilnahme an der Abschlussprüfung

Aktenzeichen  M 16 E 16.1265

Datum:
19.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 134579
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
BayEUG Art. 90, Art. 100
BFSO § 30 Abs. 1, § 55, § 71
GG Art. 12 Abs. 1

 

Leitsatz

Hängt ein verwaltungsgerichtliches Eilverfahren von vorrangig zu klärenden zivilrechtlichen Rechtsfragen ab, hat sich der Eilrechtsschutzsuchende auch um eine vorläufige Klärung dieser im zivilgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu bemühen und im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren zumindest glaubhaft zu machen, dass vorrangiger zivilgerichtlicher Eilrechtsschutz nicht (rechtzeitig) zu erlangen ist.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die im Jahre 1997 geborene Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Teilnahme an der Abschlussprüfung zur staatlich anerkannten Kinderpflegerin.
Am … Juli 2014 schloss die Antragstellerin, vertreten durch ihre Eltern, mit der Antragsgegnerin einen Schulvertrag über eine entsprechende Ausbildung mit Beginn des Schuljahres 2014/15 an einer in Trägerschaft der Antragsgegnerin stehenden Berufsfachschule für Kinderpflege. Auf den Inhalt des Vertrags wird verwiesen.
Mit Schreiben vom … Januar 2016 teilte die Kindergartenleiterin des Kindergartens, in dem die Antragstellerin ihr Fachpraktikum absolvierte, der Antragstellerin mit, man sei aus verschiedenen Gründen (sehr unregelmäßiges Vorlegen von Berichten, keine Absprache bzgl. Rahmenplan, Verweigerung von Arbeitsaufträgen, mangelndes Engagement etc.) und nach wenig Reaktion auf mahnende Anleitergespräche gezwungen, das Arbeitsverhältnis in Absprache mit der Schule aufzukündigen.
Mit Schreiben vom … Januar 2016 teilte die Berufsfachschule für Kinderpflege der Antragstellerin unter Bezugnahme auf die Kündigung der Praxisstelle die Beendigung des Schulvertrags mit. Nach § 16 Abs. 7 der Schulordnung für Berufsfachschulen für Ernährung und Versorgung, Kinderpflege, Sozialpflege, Hotel- und Tourismusmanagement und Informatik in Bayern (BFSO) bestehe für Schüler, denen wegen Verletzung ihrer Pflichten aus Art. 56 Abs. 4 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) oder § 30 Abs. 1 BFSO die Fortsetzung der fachpraktischen Ausbildung verweigert werde, kein Anspruch an einer anderen Stelle ausgebildet zu werden. Wenn die fachpraktische Ausbildung nicht fortgesetzt werden könne, könne die Schulleitung das Ausbildungsverhältnis beenden. Nach § 7 Abs. 1b des Schulvertrags ende dieser, ohne dass es einer Kündigung bedürfe, wenn die Schülerin eine entsprechende öffentliche Schule nach den für sie geltenden Vorschriften verlassen müsste (z.B. bei schuldhaftem Verlust der Praktikumsstelle).
Mit einem an die Praktikumsstelle gerichteten Schreiben vom … Januar 2016 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen die Kündigung. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, weil kein ausreichender Kündigungsgrund vorliege.
Mit einem an die Berufsfachschule für Kinderpflege gerichteten Schreiben vom … Januar 2016 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen ihre Entlassung. Es liege kein ausreichender Kündigungsgrund für die Kündigung der Praxisstelle vor.
Mit Schreiben an die Antragstellerin vom … Februar 2016 führte die Kindergartenleitung die Kündigungsgründe im Einzelnen auf. Auf den Inhalt des Schreibens wird verwiesen.
Am 1. März 2016 beantragte der Bevollmächtige der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und einer eventuell folgenden Anfechtungsklage gegen den Entlassungsbescheid vom … Januar 2016 wiederherzustellen (M 16 S 16.1006). Die Entlassung leide an formellen und materiellen Mängeln und sei insbesondere unverhältnismäßig.
Mit Schriftsatz vom 16. März 2016 machte der Bevollmächtigte der Antragstellerin geltend, die Antragstellerin habe Anspruch auf Zulassung zur Abschlussprüfung. Sowohl die Kündigung der fachpraktischen Ausbildung als auch die Entlassung der Antragstellerin aus der Berufsfachschule seien rechtswidrig. Die mangelnde Teilnahme der Antragstellerin an der fachpraktischen Ausbildung könne ihr daher nicht entgegengehalten werden. Zudem könnten auch externe Bewerber, die keinerlei fachpraktische Ausbildung hätten, die Prüfung absolvieren. Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin zur Abschlussprüfung der staatlich geprüften Kinderpflegerin zuzulassen und das Prüfungsverfahren fortzusetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf Teilnahme an der Prüfung. Die Antragstellerin sei seit Januar 2016 weder in Praxis noch in Theorie ausgebildet worden und habe auch keine Praxisstelle, an der sie die Prüfung ablegen könne. Außerdem könne in keinem relevanten Fach das Mindestmaß an Leistungserhebung erreicht werden, um eine Jahresfortgangsnote zu erstellen.
Mit Beschluss der Kammer vom 21. April 2016 wurde das Verfahren M 16 S 16.1006 an das Amtsgericht … verwiesen.
Auf Nachfrage des Gerichts nach dem Verfahrensstand des zivilgerichtlichen Verfahrens teilte das Amtsgericht … am 18. Mai 2016 mit, das Verfahren ruhe, da die Parteien dies gemäß § 251 Zivilprozessordnung (ZPO) übereinstimmend beantragt hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Niederschrift über den Erörterungstermin am 15. April 2016, den Verweisungsbeschluss vom 21. April 2016 (M 16 S 16.1006) und die von der Antragsgegnerin vorgelegte Akte Bezug genommen.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
Eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO darf nur ergehen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller hat demnach sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sog. Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sog. Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Im prüfungsrechtlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hat die gerichtliche Entscheidung auch unter Berücksichtigung der einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben in Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V. mit Art. 19 Abs. 4 GG zu erfolgen. Das Gericht muss die Nachteile, die der jeweilige Antragsteller erleiden würde, stellte sich die Verweigerung der Teilnahme an einer Prüfung im Hauptsacheverfahren (nachträglich) als rechtswidrig heraus, mit den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn sich im Hauptsacheverfahren kein Anspruch auf Teilnahme an der Prüfung ergibt. Die Anordnung zur vorläufigen Teilnahme eines Antragstellers zur Prüfung beinhaltet auch die Verpflichtung der Behörde die organisatorischen Rahmenbedingungen zu schaffen, um dem Prüfling die Teilnahme an der Prüfung zu ermöglichen.
Auch bei Anwendung dieser spezifischen prüfungsrechtlichen Maßstäbe ergibt sich kein Anspruch der Antragstellerin auf Erlass der von ihr begehrten einstweiligen Anordnung.
Zwar ist angesichts der im Juni 2016 stattfindenden Prüfung eine besondere Dringlichkeit glaubhaft gemacht und damit ein Anordnungsgrund ohne weiteres gegeben.
Die Antragstellerin hat aber keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Bei der in Trägerschaft der Antragsgegnerin stehenden Berufsfachschule für Kinderpflege handelt es sich um eine staatlich anerkannte Ersatzschule i.S. von Art. 100 BayEUG. Nach Art. 100 BayEUG sind staatlich anerkannte Ersatzschulen im Rahmen des Art. 90 BayEUG verpflichtet, bei der Aufnahme, beim Vorrücken und beim Schulwechsel von Schülerinnen und Schülern sowie bei der Abhaltung von Prüfungen die für öffentliche Schulen geltenden Regelungen anzuwenden. Hierauf verweisen auch die § 1 Abs. 3 und § 3 Abs. 3 des zwischen den Beteiligten geschlossenen Schulvertrags. Dementsprechend sind hier die Vorschriften der Berufsfachschulordnung Ernährung und Versorgung, Kinderpflege, Sozialpflege, Hotel- und Tourismusmanagement, Informatik (Berufsfachschulordnung – BFSO) vom 11. März 2015 (GVBl S. 30) einschlägig.
Soweit sich die Antragstellerin auf die Möglichkeit beruft, als externe Bewerberin zur Abschlussprüfung zugelassen zu werden, ist kein Anordnungsanspruch gegeben. Unabhängig von der Frage, ob an der von der Antragstellerin bislang besuchten Schule überhaupt die Möglichkeit besteht, eine Externenprüfung abzulegen, scheitert der Anspruch daran, dass die Voraussetzungen des § 71 BFSO nicht gegeben sind. Danach ist die Zulassung bis zum 1. März des jeweiligen Jahres zu beantragen (vgl. 71 Abs. 2 Satz 1 BFSO). Außerdem müssen externe Bewerber das 21. Lebensjahr vollendet haben (§ 71 Abs. 3 Satz 2 BFSO). Die Antragstellerin hat weder einen entsprechende Antrag gestellt noch die einschlägige Altersgrenze überschritten.
Für interne Bewerber ist gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 BFSO eine Teilnahme an der Abschlussprüfung ausgeschlossen, solange eine Jahresfortgangsnote gemäß § 53 Abs. 2 BFSO in einem Prüfungsfach nicht festgesetzt werden kann. Eine Teilnahme an der Abschlussprüfung ist ferner ausgeschlossen, wenn keine ausreichende und regelmäßige Teilnahme an der fachpraktischen Ausbildung bzw. kein erfolgreiches Praktikum nachgewiesen werden kann, sofern die fachpraktische Ausbildung bzw. das Praktikum verpflichtend zu absolvieren sind (vgl. § 55 Abs. 2 Satz 2 BFSO). Dieser Ausschlusstatbestand liegt hier vor. Denn der Antragstellerin war es seit dem Verlust ihrer Praktikumsstelle und der damit einhergehenden Beendigung des Schulvertrages gar nicht möglich, Leistungsnachweise i.S. des § 53 Abs. 2 BFSO zu erbringen und die in Art. 50 Abs. 3 Satz 2 i.V. mit § 38 Abs. 4 BFSO vorgeschriebene fachpraktische Ausbildung fortzusetzen.
Allerdings beruft sich die Antragstellerin sowohl auf die Rechtswidrigkeit der Kündigung ihrer Praktikumsstelle als auch auf die Rechtswidrigkeit der Beendigung des Schulvertrages. Aufgrund der privatrechtlichen Ausgestaltung des Schulverhältnisses obliegt die Entscheidung dieser Rechtsfragen nicht der Verwaltungs-, sondern der Zivilgerichtsbarkeit (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2013 – 7 C 13.310 – juris; BayVGH, B.v. 28.1.1982 – 7 CE 81 A.2144 – juris). Dabei handelt es sich für die hier vorliegende Frage des Anspruchs der Antragstellerin auf Prüfungsteilnahme um vorrangig zu klärende Rechtsfragen. Ist die Beendigung des Schulvertrages rechtmäßig, kann es keinen Anspruch auf Teilnahme an der Prüfung geben. Bei rechtswidriger Kündigung der Praktikumsstelle und für den Fall, dass das Zivilgericht hieraus einen Anspruch auf Weiterführung der Schulausbildung ableitet, neigt die Kammer – jedenfalls bei fortgeschrittener Ausbildung – dazu, einen Anspruch auf Teilnahme an der Prüfung anzunehmen. Voraussetzung eines solchen Anspruchs auf Prüfungsteilnahme ist aber, dass der betroffene Schüler die vorrangig zu entscheidenden zivilrechtlichen Rechtsfragen auch einer zivilgerichtlichen Klärung zuführt und diese zu seinen Gunsten ausfällt.
Dementsprechend hat sich der jeweilige Eilrechtsschutzsuchende auch um eine vorläufige Klärung der vorrangingen zivilrechtlichen Rechtsfragen im zivilgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu bemühen und im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren ggf. zumindest glaubhaft zu machen, dass vorrangiger zivilgerichtlicher Eilrechtsschutz nicht (rechtzeitig) zu erlangen ist. Kommt er dem nicht nach, kann die aufgrund der offenen Rechtsfragen erforderliche Interessenabwägung auch nicht zu seinen Gunsten ausfallen. Da die Antragstellerin das von der Kammer verwiesene Verfahren vor dem Zivilgericht nicht betreibt, sondern es vielmehr zum Ruhen gebracht hat, war der vorliegende Antrag abzulehnen.
Der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 36.3 des Streitwertkatalogs 2013.

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