Aktenzeichen M 4 K 16.33047
Leitsatz
Wird die Verfolgungsgeschichte eines Asylsuchenden nicht substantiiert und glaubhaft dargelegt, ist keine Flüchtlingseigenschaft iSd § 3 Abs. 1 AsylG anzuerkennen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 13. April 2017 entscheiden werden, obwohl niemand erschienen ist. In der ordnungsgemäßen Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-).
I.
Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
1. Die Klage ist zulässig. Die Klagefrist des § 74 Abs. 1 AsylG ist vorliegend eingehalten, da keine ordnungsgemäße Zustellung des Bescheids erfolgte. Die Klägerin legte bei ihrer persönlichen Anhörung einen irakischen Personalausweis vor. Trotzdem wurde ihr Name nicht berichtigt und der Bescheid an den alten Namen versendet.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der Klägerin steht nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) kein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte (Art. 16a GG), Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Asylgesetz -AsylG-), des subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG) oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu.
a) Eine Anerkennung als Asylberechtigte scheitert schon daran, dass die Klägerin über Österreich und damit über einen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften eingereist ist, Art. 16a Abs. 2 GG.
b) Die Klägerin hat zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, §§ 3 ff. AsylG.
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Die Klägerin hat eine Verfolgung nicht substantiiert vorgetragen. Der pauschale und unsubstantiierte Vortrag der Klägerin entbehrt jeglicher Tatsachengrundlage, auf deren Basis eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung festgestellt werden könnte. Eine Verfolgung ist daher nicht hinreichend wahrscheinlich.
c) Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG (Todesstrafe), § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) oder § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15c der RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) in Bezug auf den Irak zu.
(1) Die Norm des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG liegt erkennbar nicht vor. Hinsichtlich des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG hat die Klägerin keine substantiierten Ausführungen gemacht.
(2) Auch herrscht in … sowie in den Gebieten südlich hiervon – darunter … – kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Dass nicht gleichsam jede Zivilperson im Irak allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist, folgt bereits daraus, dass bei einer Gesamtbevölkerung mit etwa 32 bis 34 Millionen Einwohnern (vgl. http: …www.asien-auf-einen-blick.de/irak/; http: …www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Laender/ Irak.html) die Zahl der zivilen Todesopfer im Jahr 2015 mit insgesamt 17.578 (2014: 20.169 vgl. https: …www.iraqbodycount.org/database/ vom 22.5.2017) angegeben ist. Für 2016 beträgt Wert 16.393 und zeigt damit einen weiteren Rückgang. Auch wenn die Opferzahlen 2017 ansteigen sollten, reicht die abstrakte Gefahr, angesichts von Kampfeshandlungen in einigen Bereichen im Irak Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen zu werden, für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht aus. Eine Rückkehr nach … bzw. … erscheint unter diesen Gesichtspunkten möglich. Aus aktuellem Anlass ist noch darauf hinzuweisen, dass die Situation im Irak derzeit unübersichtlich und in einigen Gebieten durch die Kampfhandlungen der ISIS offenbar gefährlich ist. Doch reicht diese bisherige Entwicklung für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (vgl. BVerwG vom 27.04.2010 – Az. 10 C 4/09) nicht aus, noch dazu, da der täglichen Berichterstattung der Medien deutlich zu entnehmen ist, dass der IS sich auf dem Rückzug befindet. Festzustellen ist, dass …, der Heimatort der Klägerin, sowie auch große Teile des Südiraks, darunter …, von den Kämpfen selbst nicht betroffen waren/sind.
d) Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben/vorgetragen.
(1) Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht ersichtlich. Die Klägerin würde in den Irak auch nicht ohne jegliche familiäre Strukturen zurückkehren; im Gegenteil befindet sich ihre Großfamilie nach wie vor dort.
(2) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Iraks auf Grund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen. Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Az. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3. März 2014 bekannt gegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehörigen grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und ihr Aufenthalt wie bisher weiterhin im Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – NVwZ 2001, 1420).
Die Voraussetzungen für einen Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aufgrund einer individuellen Gefahrenlage liegen nicht vor. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Dabei ist nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik gleichwertig sein muss, wobei eine ausreichende medizinische Versorgung nach Satz 4 auch dann vorliegt, wenn sie nur in einem Teil des Zielstaates gewährleistet wird. Eine erhebliche Gefahr in diesem Sinne kann bei der Klägerin nicht angenommen werden bzw. ist nicht vorgetragen.
e) Der Bescheid des Bundesamtes gibt auch hinsichtlich seiner Ziff. 5, wonach die Klägerin unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert wird, keinerlei Anlass zu Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber der Klägerin entgegenstünden, nicht ersichtlich, denn sie ist, wie oben ausgeführt, weder als Flüchtling/Asylberechtigte anzuerkennen noch stehen ihr subsidiärer Schutz oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu; sie besitzt auch keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.