Aktenzeichen Au 4 K 17.32392
Leitsatz
1. Homosexuelle Handlungen sind in Sierra Leone nicht unter Strafe gestellt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen in Sierra Leone allgemein hart sind, stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG dar. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Gewährung subsidiären Schutzes; er hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts vom 11. April 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Hinsichtlich des Vorbringens des Klägers bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 27. März 2017 ist das Gericht der Überzeugung, dass das Bundesamt dieses in dem streitgegenständlichen Bescheid vom 11. April 2017 zutreffend gewürdigt hat. Das Gericht folgt daher gemäß § 77 Abs. 2 AsylG der Begründung des Bescheids und nimmt hierauf Bezug.
Ergänzend hierzu ist zu bemerken, dass das Vorbringen des Klägers, als Homosexueller Schwierigkeiten gehabt zu haben, sich nicht mit der Auskunftslage deckt. Laut Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 21. Juli 2010 ist Homosexualität bzw. sind homosexuelle Handlungen in Sierra Leone „nicht gesetzlich unter Strafe gestellt“. Der Kläger konnte nicht glaubhaft vor dem Bundesamt darlegen, dass er von staatlichen Institutionen wegen seiner Homosexualität verfolgt worden sei, eine solche ist in Sierra Leone auch nicht ersichtlich. So weisen ein Auszug aus Wikipedia zum Thema Homosexualität in Sierra Leone, Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zu Sierra Leone vom 12. Oktober 2017 und ein „ILGA Report“ vom Mai 2012 zwar darauf hin, dass es ein Gesetz aus der Britischen Kolonialzeit gebe, das formal noch nicht außer Kraft gesetzt wurde, nämlich der „Offences against the Person Act“, Abschnitt 61. Diese Quellen gehen jedoch, soweit sie sich genauer damit auseinandersetzen, davon aus, dass dieses Gesetz in der Praxis gerade nicht angewendet wird. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass Homosexualität von vielen Teilen der Bevölkerung abgelehnt und als Verstoß gegen traditionelle Normen und Werte betrachtet wird. Aus keiner der Quellen ist ersichtlich, dass der Staat nicht in der Lage oder willens wäre, dem Kläger Schutz vor nicht staatlichen Akteuren i.S.d. § 3c Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3d AsylG zu geben. Vielmehr spricht ein Auszug aus Wikipedia zum Thema Homosexualität vom 12. Oktober 2017 davon, dass Staatspräsident Ernest Koroma Anfang 2017 die erste homosexuelle Ehe genehmigt hat. Ob unter diesen Umständen eine staatliche Verfolgung des Klägers droht bzw. dass der Staat dem Kläger gegenüber nicht schutzfähig oder schutzwillig wäre, kann nicht angenommen werden.
Der Kläger trug damit im Ergebnis vor dem Bundesamt lediglich private Schwierigkeiten durch die Familie seines angeblichen Freundes vor, welche grundsätzlich nicht flüchtlingsrelevant sind. Eine innerstaatliche Fluchtalternative i.S.d. § 3 AsylG hat der Kläger wohl zunächst mit einem Umzug nach Freetown versucht. Er konnte aber nicht glaubwürdig darlegen, warum er auch dort bedroht gewesen sein soll und warum er nun bei einer Rückkehr nach Sierra Leone das Gefängnis oder den Tod zu befürchten habe. Das Gericht geht auch davon aus, dass der Kläger als alleinstehender, offenbar weitgehend gesunder und volljähriger junger Mann seinen Lebensunterhalt zumindest in einer anderen Stadt in Sierra Leone (etwa Freetown) sicherstellen kann, selbst wenn hierfür mehr zu fordern ist als die bloße Sicherung des Existenzminimums. In Sierra Leone hat der Kläger bereits -offenbar erfolgreich für mehrere Jahre – nach der Schule sein Existenzminimum selbständig über einen längeren Zeitraum erwirtschaftet, in dem er Handel getrieben habe. Er ist mit den Lebensgewohnheiten des Landes vertraut, selbst wenn er dort keine familiären Anknüpfungspunkte mehr zu haben angibt. Er hat allerdings in Sierra Leone noch zwei Schwestern und zwei Brüder sowie Tanten und Onkel. Erst seit der Ausreise sei ein Kontakt mit seiner Familie nicht mehr vorhanden.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG. Ungeachtet der Frage, ob die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG vorliegen, ist der Kläger, soweit eine Gefährdung in seiner Heimatregion durch Personen, die ihn kennen würden, etwa die Familienmitglieder seines angeblichen Freundes aus Sanda, auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in Sierra Leone zu verweisen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e AsylG).
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht ersichtlich.
In den Akten befinden sich keinerlei Atteste über Krankheiten des Klägers. Der von ihm angegebene Juckreiz, den er seit einiger Zeit habe, ist ärztlicherseits nicht bestätigt. Darüber hinaus soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG), vor. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Eine schwerwiegende Erkrankung hat der Kläger bis heute nicht vorgetragen.
Ergänzend dazu wurde mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren mit § 60a Abs. 2 AufenthG eine gesetzliche Vermutung zum Vorliegen gesundheitlicher Gründe, die einer Abschiebung entgegenstehen, aufgenommen. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG).
Eine solche ärztliche Bescheinigung findet sich nicht in den Akten des Bundesamts und wurde bis heute auch dem Gericht nicht vorgelegt.
Weitere Anhaltspunkte für ein Abschiebeverbot bestehen nicht. Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen in Sierra Leone allgemein hart sind, stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrschein-lichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die Abschiebung wäre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls auszusetzen, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod und schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 Z 5.01 – NVwZ 2002, 101), also im Falle einer schlechten Lebensmittelversorgung, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (zu allem: VG München, B.v. 12.7.2017 – M 21 S 17.32448 – juris Rn. 19). Da der Kläger keinen Unterhaltsverpflichtungen ausgesetzt ist und nur für sich selbst sorgen muss, was ihm in der Vergangenheit vor der Ausreise offenbar auch jahrelang gelungen ist, kann von keiner extremen Gefahrenlage in der Person des Klägers bei einer Abschiebung nach Sierra Leone ausgegangen werden.
Dies gilt auch im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AsylG. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger im Falle seiner Abschiebung nach Sierra Leone befürchten müsse, auf derart schlechte humanitäre Bedingungen zu stoßen, dass die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK bestehe, gibt es nicht. Obwohl die wirtschaftliche Lage nach wie vor schlecht ist, geht das Gericht – wie bereits ausgeführt – davon aus, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt dort sicherstellen kann.
Im Hinblick auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, welches eine Ermessensentscheidung der Behörde ist (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), prüft das Gericht (nur), ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Dies ist hier nicht der Fall. Die Befristung von 30 Monaten bei alleinstehenden Klägern ist dem Gericht aus anderen Verfahren bekannt und findet regelmäßig statt (vgl. VG Augsburg, B.v. 9.10.2017 – Au 4 S 17.34731 – Rn. 27). Anhaltspunkte für Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
Die Klage war damit mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO insgesamt abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.