Aktenzeichen M 12 K 16.33084
Leitsatz
1. Die Einberufung zum Nationalen Dienst durch den eritreischen Staat stellt keinen im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft iSv § 3 Abs. 1 AsylG beachtlichen Verfolgungsgrund dar. (Rn. 15) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Eine in Eritrea drohende Bestrafung wegen Wehrpflichtentziehung bzw. Kriegsdienstverweigerung durch illegale Ausreise ergeht nicht im Zusammenhang mit einem Konflikt iSv § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, da sich Eritrea derzeit in keinem äußeren oder innerstaatlichen Konflikt im Sinne dieser Norm befindet. Auch wird eine Strafverfolgung wegen Wehrdienstentziehung nicht zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen in Anknüpfung an ein flüchtlingsschutzrelevantes Merkmal eingesetzt. (Rn. 18 – 19) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Dass die Bestrafung wegen illegaler Ausreise und Wehrdienstentzug aufgrund der in Eritrea herrschenden Willkürherrschaft ohne unabhängiges Justizwesen, mit willkürlichen Inhaftierungen, körperlichen Misshandlungen, Folter und Inhaftierung unter menschenunwürdigen bedingungen massiv elementare Rechtsgrundsätze und Menschenrechte verletzt, steht außer Zweifel. Dieser Umstand führt jedoch nicht zu einem Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling, sondern zur Gewährung subsidiären Schutzes iSv § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (vgl. VG Regensburg BeckRS 2016, 54845). (Rn. 20) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Die Asylantragstellung und der Aufenthalt in Deutschland begründen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr in Eritrea, nachdem selbst anerkannte Asylberechtigte – ggf. nach Entrichtung der sog. Diasporasteuer – unbehelligt nach Eritrea reisen können. (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
1. Mit seiner Klage auf einen umfangreicheren, längerfristigen Schutz durch die Bundesrepublik Deutschland begehrt der Kläger sinngemäß (§ 88 VwGO) die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG, nachdem ihm mit Bescheid vom 7. September 2016 bereits subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt worden ist.
2. Da die Beklagte ordnungsgemäß und mit Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 102 Abs. 2 VwGO geladen wurde, konnte ohne sie verhandelt und entschieden werden.
3. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist – unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben – Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl, 1953 II S.559, 560-Genfer Flüchtlingskonvention), wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, U.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris). Auch eine kriminelle Verfolgung muss an ein in § 3 AsylG genanntes Merkmal anknüpfen, um als politische Verfolgung gelten zu können.
Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylG.
Aus dem Sachvortrag des Klägers ergibt sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) und unter Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen beim Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Eritrea keine begründete Furcht vor einer Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG. Die Einberufung zum Nationalen Dienst durch den eritreischen Staat stellt keinen im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG beachtlichen Verfolgungsgrund dar.
Jeder souveräne Staat hat grundsätzlich das Recht, seine Staatsangehörigen zum Wehr- bzw. Militärdienst heranzuziehen. Es besteht (bislang) kein Grundrecht auf eine Wehr- bzw. Militärdienstverweigerung (vgl. Treiber in: GK-AufenthG, Stand: März 2016, § 60 Rn. 167 f.). Zudem stellt die (reine) Pflicht zur Ableistung eines Militärdienstes selbst noch keine staatliche Verfolgung dar. Die Heranziehung zum Militärdienst unterfällt daher flüchtlingsschutzrechtlich schon grundsätzlich nicht dem Schutzversprechen. Im Übrigen trifft der eritreische Nationaldienst alle Staatsangehörigen ohne Ansehen der Persönlichkeitsmerkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gleichermaßen.
Eine drohende Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrpflichtentziehung bzw. Kriegsdienstverweigerung durch eine illegale Ausreise wäre vorliegend nur dann flüchtlingsschutzrechtlich relevant, wenn sie entweder i.S.v. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt erginge, in welchem der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Kriegsverbrechen, schwere nichtpolitische Straftaten, Zuwiderhandlungen gegen die Grundsätze der Vereinten Nationen) oder wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt würde, die durch die Maßnahmen in einem der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten flüchtlingsschutzrechtlich relevanten Persönlichkeitsmerkmale getroffen werden sollen (vgl. Treiber in GK-AufenthG, a.a.O.).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Eine in Eritrea drohende Bestrafung wegen Wehrpflichtentziehung/Kriegsdienstverweigerung durch eine illegale Ausreise ergeht nicht in Zusammenhang mit einem Konflikt i.S.v. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Denn Eritrea befindet sich derzeit in keinem Konflikt im Sinne dieser Norm – weder mit anderen Staaten (internationaler Konflikt) noch mit aufständischen innerstaatlichen Gruppen (innerstaatlicher Konflikt), auch wenn zwischen Eritrea und Äthiopien trotz Friedensabkommen von Algier vom 12.12.2000 nach wie vor Spannungen bestehen (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberechtliche Lage in Eritrea, Stand November 2016, vom 21. November 2016, S. 7).
Die Strafverfolgung wird auch nicht zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen in Anknüpfung an ein flüchtlingsschutzrelevantes Merkmal eingesetzt. In Eritrea gibt es kein Recht, den Wehr- oder Nationaldienst zu verweigern. Wer sich diesen Diensten entzieht, wird mit Umerziehungslageraufenthalten oder mit Gefängnis bestraft. So werden Personen, die versuchen, dem Wehr- und Nationaldienst zu entgehen, verhaftet (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, a.a.O., S. 11). Ein generelles Anknüpfen an ein gem. § 3 Abs. 1 AsylG, § 3b AsylG relevantes Merkmal kann darin jedoch nicht gesehen werden. Denn insoweit handelt es sich um eine Strafverfolgung nach den allgemein in Eritrea geltenden Strafvorschriften, die jeden Eritreer gleichermaßen trifft. Die Strafvorschriften knüpfen nicht an eine bestimmte politische Haltung oder bestimmte Persönlichkeitsmerkmale an, sondern an den Umstand, dass sich die Betroffenen dem Wehr- oder Nationaldienst entzogen haben. Hinweise darauf, dass allein aus dem Umstand der illegalen Ausreise zum Zweck der Wehrdienstentziehung auf eine politische Gegnerschaft geschlossen wird, die zu einer verschärften strafrechtlichen Ahndung führt, so dass der Bestrafung ein politischer Sanktionscharakter zukäme, sind nicht ersichtlich. Misshandlungen, Folter und Willkür treffen in Eritrea weite Kreise der Bevölkerung. Rechtsstaatliche Verhältnisse und eine militärische oder zivile Rechtsordnung sind nicht vorhanden. Verhaftungen ohne Haftbefehl und ohne Angabe von Gründen sind üblich (Bericht des Auswärtigen Amts, a.a.O., S. 11). Dies rechtfertigt zwar die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Die aktuellen Erkenntnisse aus den Jahren 2015 und 2016 (EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015; U.S. Department of State vom 13.4.2016, Human Rights Report: Eritrea 2015, Bureau of Democracy, Human Rights and Labor; Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 21.1.2015, Eritrea: Rekrutierung von Minderjährigen; Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), Staatssekretariat für Migration (SEM), Sektion Analysen: Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22.6.2016; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 21. November 2016, a.a.O.) lassen aber nicht den Schluss auf eine grundsätzlich politisch motivierte Verfolgung im Falle der illegalen Ausreise und der Verweigerung des National- oder Wehrdienstes zu (vgl. VG Augsburg, U.v. 11.8.2016 – Au 1 K 16.30744 – juris). Im Gegenteil spricht gerade die in den Berichten aufgezeigte große Bandbreite möglicher Folgen bei der Rückkehr von Personen, die illegal ausgereist sind, um sich dem Nationaldienst zu entziehen (von einer Belehrung und Ableistung des Nationaldienstes bis zu mehrmonatiger oder mehrjähriger Haft; vgl. etwa Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 17) dagegen, dass diese Personen automatisch als Regimegegner eingestuft werden und damit generell einer politischen Verfolgung unterliegen. Ebenso spricht gegen eine generelle politische Verfolgung aller Personen, die sich dem Nationaldienst entziehen, der derzeitige Umgang der eritreischen Regierung mit freiwilligen – zumindest vorübergehenden – Rückkehrern. Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage werden die gesetzlichen Bestimmungen für Desertion, Dienstverweigerung und illegale Ausreise derzeit für diese Personen nicht angewandt. Sofern sie sich mindestens drei Jahre im Ausland aufgehalten haben, besteht für die Rückkehrer die Möglichkeit, einen sog. „Diaspora Status“ zu erhalten. Dieser setzt voraus, dass eine sog. Diasporasteuer (2% Steuer) bezahlt wurde und, sofern die nationale Dienstpflicht noch nicht erfüllt wurde, ein sog. „Reueformular“ unterzeichnet wurde. Dieses umfasst auch ein Schuldeingeständnis mit der Erklärung, die dafür vorgesehene Bestrafung anzunehmen. Zumindest in der Mehrheit kommt es nach den Erkenntnisquellen des Gerichts zu keiner tatsächlichen Bestrafung (Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), a.a.O.). Mit diesem „Diaspora Status“ ist es möglich, drei Jahre in Eritrea zu bleiben, ohne den Nationaldienst ableisten zu müssen. Auch eine Ausreise ist mit diesem Status möglich, so dass es temporäre Reisen zu Urlaubs- und Besuchszwecken gibt (Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), a.a.O., S. 39). Diese Optionen, die gerade auch für Personen gelten, die sich dem Nationaldienst durch die illegale Ausreise entzogen haben, sprechen gegen eine generelle Einstufung als politische Gegner (vgl. VG Regensburg, U.v. 27.10.2016 – RN 2 K 16.31289 – juris Rn. 31). Damit liegt nach Auffassung des Gerichts in den möglichen Sanktionen für eine Wehrdienstverweigerung durch illegale Ausreise ohne Hinzutreten weiterer Umstände keine flüchtlingsrechtlich relevante Bestrafung mit politischem Charakter.
Dass die Praxis der Bestrafung wegen illegaler Ausreise und Wehrdienstentzug aufgrund der in Eritrea herrschenden Willkürherrschaft ohne unabhängiges Justizwesen, mit willkürlichen Inhaftierungen, körperlichen Misshandlungen, Folter und Inhaftierung unter menschenunwürdigen Bedingungen massiv elementare Rechtsgrundsätze und Menschenrechte verletzt, steht außer Zweifel. Dieser Umstand führt jedoch nicht zu einem Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling, sondern er führte zur Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (vgl. VG Regensburg, a.a.O., Rn. 34).
Die Asylantragsstellung und der Aufenthalt in Deutschland begründen ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr für den Kläger in Eritrea, nachdem sogar anerkannte Asylberechtigte – ggf. nach Entrichtung der 2%igen Steuer – unbehelligt nach Eritrea reisen können (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 17).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).