Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes

Aktenzeichen  M 4 K 17.35485

Datum:
24.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 56300
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 34
AufenthG § 59, § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Die vom Kläger vorgetragenen angeblichen Probleme wegen seiner Homosexualität im Irak sind nicht ausreichend, um eine asylrelevante Verfolgung zu begründen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Abschiebungsandrohung in den Irak ist rechtmäßig.  (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2018 und 24. April 2018 entschieden werden, obwohl im Termin am 22. März 2018 für die Beklagte niemand erschienen ist, da in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO-). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
I. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Gewährung internationalen Schutzes, weil die Voraussetzungen der §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 AsylG nicht vorliegen. Auch Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben. Das Gericht verweist auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Bescheid und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Darüber hinaus gilt folgendes:
1. Soweit der Kläger seine Anerkennung als Flüchtling nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG beantragt, hat der Antrag keinen Erfolg.
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb der Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
a) Nach diesen Grundsätzen ist der Kläger kein Flüchtling.
Das Gericht glaubt nicht, dass der Kläger wegen seiner Homosexualität im Heimatland asylrelevant verfolgt wurde.
Das Gericht geht nach Aktenlage und nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung davon aus, dass der Kläger homosexuell ist.
Soweit der Kläger jedoch vorträgt, dass er wegen seiner Homosexualität im Heimatland verfolgt worden sei, glaubt das Gericht die vorgetragene Geschichte nicht; es hält den Kläger insoweit für nicht glaubwürdig. Dasselbe gilt für die Aussage des in der mündlichen Verhandlung angehörten Zeugen. Selbst wenn man den Vortrag des Klägers und des Zeugens als zutreffend ansehen würde, ergibt sich zudem hieraus nach Auffassung des Gerichts keine hinreichende asylrelevante Verfolgung.
aa) Der Kläger hat schon hinsichtlich des Sachverhalts, wann er seine Arbeit bei der Firma im Irak aufgegeben hat, ungereimte Angaben gemacht. In der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2018 hat er zunächst erklärt, dass er bis Ende Januar 2015 noch bei der Firma gearbeitet habe und am Ende dieser mündlichen Verhandlung auf Frage seiner Bevollmächtigten, weshalb seine Verwandten ihn bei seiner Firma nicht gefunden hätten, erklärt, dass er nur bis Ende des Jahres 2014 gearbeitet habe. Dies hat er in der Fortsetzung der mündlichen Verhandlung am 24. April 2018 bestätigt. Jedoch kann das Gericht darin nur begrenzt die Richtigstellung einer zunächst versehentlichen Aussage erkennen, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2018 nicht nur einmal gesagt hat, dass er bis Ende Januar 2015 noch bei dieser Firma gearbeitet hat, sondern dies später noch einmal bestätigt hat mit der Aussage: „Sie hätten zwar weiter angegeben, dass sie nach H. zum Arbeiten fahren, aber er hätte seit Ende Januar nicht mehr gearbeitet.“ Ein mehrfaches Versehen scheint dem Gericht unglaubwürdig.
Ebenfalls sind die Angaben, wann seine Schwester Fotos von ihm und seinem Cousin gesehen habe, die auf seine Homosexualität hindeuten, widersprüchlich. Vor dem Bundesamt hat er bei der Anhörung am 25. Juli 2016 erklärt, dass sie bei der Neujahrsparty in der Türkei viele Fotos und Videos aufgenommen hätten und eines Tages seine Schwester im Computer alles gesehen habe. Bei der ersten mündlichen Verhandlung vom 22. März 2018 hat der Kläger erklärt, dass seine Schwester bereits während ihres Aufenthalts in der Türkei diese Fotos gesehen habe.
Auch hinsichtlich der Bedrohungen nach der Trauerfeier (Zeitraum: Februar 2015 bis zur Ausreise im Oktober 2015) widerspricht sich der Kläger. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung angegeben, dass seine Angehörigen (nur) einmal bei seiner Firma gewesen seien und nach ihm gesucht hätten. Vor dem Bundesamt (Anhörung 25.07.2016; Seite 4) hat er hingegen angegeben, dass der Onkel und der Bruder seines Cousins einmal in Erbil bei seinem Freund waren. In der Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vom 24. April 2018 hat der Kläger, um diese beiden Angaben in Einklang zu bringen, angegeben, dass Personen aus seiner Familie einmal bei der Firma und einmal bei dem Freund gewesen seien. Auf Nachfrage, woher die Familie die Adresse des schwulen Freundes kannte, erklärte der Kläger, dass dieser ihn in Sulaimania besucht habe und die Familie den Freund dort getroffen habe und daher die Adresse des Freundes wissen.
Dies ist unter Berücksichtigung, dass der Zeuge vom Besuch der Familie bei dem schwulen Freund nichts wusste, nicht glaubwürdig; insbesondere, dass der Kläger und der Zeuge zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend waren und niemand dem Zeugen etwas vom Besuch der Familie in H. und des schwulen Freundes in Sulaimania erzählt hat.
Insgesamt sind die Angaben nicht nachvollziehbar, da bei dieser Sachlage nicht zu erklären ist, dass seine Familie oder die Familie seines schwulen Freundes ihn nicht gefunden hätten, wenn sie in der Zeit zwischen Februar und Oktober 2015 nach ihm gesucht hätten, da er sich in dieser Zeit nahezu ausschließlich bei diesem Freund aufgehalten hat.
bb) Ebenfalls ist die Aussage des in der mündlichen Verhandlung am 24. April 2018 vernommenen Zeugen, dem homosexuellen Freund des Klägers, in weiten Teilen nicht glaubwürdig. Auch hat der Zeuge zunächst gesagt, dass in der Zeit zwischen Februar und Oktober 2015 nur einmal Personen von der Familie bei der Firma nach ihn gefragt hätten und an anderer Stelle waren es zwei Vorfälle mit Fragen bei der Firma. So hat der Zeuge angegeben, dass der Freund bei dem sie mehr als ein halbes Jahr gewohnt haben, nie in Sulaimania bei ihren Familien war mit Ausnahme des einen Mals, an dem der Zeuge nur kurz seine Ausweispapiere in Sulaimania abgeholt hat. Auch ist nicht nachvollziehbar und glaubwürdig, dass der Zeuge nicht den vollständigen Namen des Freundes kennt, wenn er so lange bei ihm gewohnt hat und dieser Freund sogar den Lebensunterhalt des Zeugen und des Klägers finanziert hat. Auch sind die Angaben des Zeugen, dass er seine Unterlagen in Sulaimania geholt habe (Anhörung beim Bundesamt vom 25.7.2016), als er den Schleuser gefunden hatte, der ihn nach Deutschland bringt, widersprüchlich zu den Angaben des Klägers/des Zeugen, dass sie im Sommer (Juni/Mai 2015) die Papiere des Zeugen abgeholt haben. Die Begründung, die der Zeuge auf Vorhalt hierzu geliefert hat, dass er bei den Angaben beim Bundesamt nur glaubte, einen Schleuser gefunden zu haben und dieser dann wegen zu hoher Geldforderung ausgeschieden sei, hält das Gericht für eine reine Schutzbehauptung; der Bezug auf eine nicht stattgefundene Schleusung macht keinen Sinn.
cc) Unabhängig von diesen Ungereimtheiten und allem bisher Gesagten geht das Gericht schon aus folgendem Grund nicht von einer asylrelevanten Verfolgung aus (selbständig tragender Grund). Der Kläger hat in Erbil mehr als acht Monate bei einem Freund gelebt; diese Adresse war seiner Familie bekannt (Angabe bei der Anhörung Bundesamt, bestätigt in der m.V. am 24.4.218). Es ist daher nicht nachzuvollziehen, dass der Kläger dort nahezu unbehelligt leben konnte und nicht gefunden wurde, wenn seine Familie ernsthaft nach ihm/ihnen gesucht hätte. Insbesondere wenn man davon ausgeht, dass Teile der Familie dem irakischen Sicherheitsapparat angehörten und besondere Befugnisse hatten.
dd) Schließlich ist unabhängig davon, dass aufgrund der Angaben des Zeugen und Klägers Zweifel an der Glaubwürdigkeit der vorgetragenen Geschichte bestehen, der Vortrag vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung – selbst wenn man die Angaben des Klägers und des Zeugen in allen Belangen als wahr unterstellten würde – nicht ausreichend, eine asylrelevante Verfolgung im Heimatland wegen der Homosexualität des Klägers zu belegen (weiterer selbstständig tragenden Grund). Der Kläger konnte von Februar 2015 bis zu seiner Ausreise im Oktober 2015 ohne größere Probleme im Irak leben. In der Zeit von Juni bis zur Ausreise sind nur Bedrohungen per Telefon und Facebook vorgetragen. Selbst diese erscheinen zweifelhaft. Der Kläger gab nämlich an, die Handys hätten sie ausgeschaltet (m. V. 22.3.2018) der Facebook-Account war deaktiviert (Anhörung Zeuge 9.11.2017, S. 10).
Niemand hat den Kläger nach seinen Angaben gefunden. Es wäre ihm daher zuzumuten gewesen, sich irgendwo an einem anderen Ort im Irak – entweder in den kurdischen Autonomiegebieten oder an anderer Stelle im Zentralirak – anzusiedeln und ein neues Leben zu beginnen. Das Gericht glaubt nicht, nachdem seine Verwandtschaft – trotz ihrer Mitglieder, die in den irakischen Sicherheitsapparat eingebunden waren – den Kläger und seinen schwulen Freund nicht einmal in Erbil gefunden hat, dass sie dann an anderer Stelle in den kurdischen Autonomiegebieten oder im Zentralirak gefunden worden wären. Soweit der Kläger Probleme wegen seiner Homosexualität im Irak gehabt hat, sind diese Probleme nicht ausreichend, um eine asylrelevante Verfolgung zu begründen; es handelt sich (allenfalls) um eine soziale Diskriminierung.
ee) Das Risiko sozialer Ächtung, das der Kläger vor allem durch seine Familie erlebte/befürchtet, stellt keine Verfolgungshandlung dar, welche die in § 3a AsylG zum Ausdruck kommende asylrelevante Erheblichkeitsschwelle überschreitet. Durch die eigene Familie aufgrund mangelnder Anpassung an gesellschaftliche Regeln und Traditionen verstoßen zu werden, ist ein Problem, das in allen Gesellschaften – mehr oder weniger häufig – auftritt. Auch die – erst seit einigen Jahrzehnten – liberalisierte Gesetzeslage in Deutschland kann dies hierzulande nicht gänzlich verhindern.
Der Kläger hat studiert, ist volljährig, hat im Irak gearbeitet und gut verdient; er ist daher rechtlich und wirtschaftlich nicht mehr von seiner Familie abhängig. Von der eigenen Familie aufgrund der sexuellen Orientierung verstoßen zu werden, sei es im Irak, sei es in Deutschland, mag daher zwar emotional belastend sein, stellt jedoch keine asylrelevante Verfolgungshandlung dar. Hinzu kommt, dass es dem Kläger offenbar lange Zeit möglich war, seine Homosexualität so in seine Gesamtpersönlichkeit zu integrieren, dass er mit den im Irak insoweit bestehenden sozialen Normen nicht in Konflikt geriet und verfahrensrelevante Verfolgungshandlungen vermieden werden konnten, (vgl. VG Ansbach U.v. 17.8.2016 – AN 4 K 16.30339; vgl. VGH, B.v. 9.1.2017 – 13 ZB 16.30516).
Nach alledem führt die vorgetragene Homosexualität des Klägers nicht zu einem Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
2. Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG besteht ebenfalls nicht. Denn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer nur dann subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß Satz 2: Die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Das Gericht bezieht sich insoweit auf die Feststellungen und die Begründung des angefochtenen Bescheids, da der Kläger auch im Rahmen des Gerichtsverfahrens keine darüber hinausgehenden, maßgeblichen Gesichtspunkte vorgetragen hat und das Gericht insoweit den Ausführungen des Bundesamtes folgt, § 77 Abs. 2 AsylG.
3. Dasselbe gilt für die begehrte Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
4. Die in Ziffer 5 des Bescheids angedrohte Abschiebung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und ist rechtmäßig, weil die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Die im Rahmen von § 11 Abs. 3 AufenthG zu treffende Ermessensentscheidung über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG (hier festgesetzt auf 30 Monate) ist nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO).
II. Nach alledem ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO als unbegründet abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

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