Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes

Aktenzeichen  Au 9 K 19.30603

Datum:
23.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1303
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
GG Art. 16a
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus (BVerfG BeckRS 2008, 32833). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es droht keine Stigmatisierung durch die Gesellschaft in Nigeria aufgrund einer Tätigkeit als Prostituierte in Italien. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die immer wieder aufkommenden, gewalttätigen Auseinandersetzungen in Nigeria zwischen christlichen und muslimischen Gruppen, bzw. die Angriffe und Auseinandersetzung mit der Gruppierung „Boko Haram“, sind überwiegend regional begrenzt und weisen nicht die Merkmale eines innerstaatlichen Konflikts auf. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, wird keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Über den Rechtsstreit konnte trotz Ausbleibens der Beklagten aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2020 entschieden werden. In der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtordnung (VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2020 form- und fristgerecht geladen worden.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes bzw. auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 24. April 2019 ist daher rechtmäßig. Es wird zunächst in vollem Umfang auf die Gründe des angefochtenen Bescheides (§ 77 Abs. 2 AsylG) Bezug genommen. Darüber hinaus wird das Folgende ausgeführt:
1. Die Klägerin hat aber keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag auf Grund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Wer bereits Verfolgung erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei der Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus (vgl. BVerfG, B.v. 12.2.2008 – 2 BvR 2141/06 – juris Rn. 20; VG Köln, U.v. 26.2.2014 – 23 K 5187/11.A – juris Rn. 26).
Gemessen an diesen Maßstäben konnte die Klägerin eine individuelle Verfolgung nicht glaubhaft machen. Eine asylrechtlich-relevante Vorverfolgung im Sinne der §§ 3, 3b AsylG ist bezogen auf die Klägerin nicht festzustellen.
Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2020 auf eine mögliche Verfolgung durch ihren Stiefvater, der ihre Zwillingsschwester vergewaltigt hat, so dass diese zu Tode gekommen sei, verweist, knüpft dieser Vortrag bereits nicht an ein asylrechtlich relevantes Merkmal im Sinne der §§ 3, 3b AsylG an. Die Vergewaltigung durch den Stiefvater, die die Klägerin beobachtet haben will, stellt insoweit lediglich kriminelles Unrecht dar, welches asylrechtlich ohne Relevanz bleibt. Der Vortrag der Klägerin knüpft insoweit bereits nicht an Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe an.
Im Übrigen verweist das Gericht darauf, dass der Sachvortrag der Klägerin insbesondere in der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2020 erheblichen Glaubwürdigkeitszweifeln unterliegt. So ist bereits nicht glaubwürdig, dass es während der Flucht der Klägerin aus Nigeria zu einer ungewollten Schwangerschaft gekommen ist. Dies lässt sich mit dem übrigen Vortrag der Klägerin, dass diese sich einer Gruppe von aus Nigeria fliehenden Menschen angeschlossen hat, nicht in Einklang bringen. Auch chronologisch erscheint der Vortrag frei erfunden. So hat die Klägerin geltend gemacht, dass sie Nigeria im Jahr 2016 verlassen hat. Beim Bundesamt hat sie geltend gemacht, dass ihre in Nigeria zurückgebliebene Tochter sechs Jahre alt sei. Insoweit ist es wohl eher zutreffend, dass die Tochter der Klägerin am 30. August 2011 geboren ist, wie es die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zunächst dargelegt hat, bevor dann die entsprechende Korrektur erfolgt ist. Erst später hat die Klägerin hier Erinnerungslücken geltend gemacht. Auch die Tatsache, dass es sich bei ihrem Stiefvater um ein Mitglied einer Kultgruppe gehandelt hat, erscheint dem Gericht frei erfunden und unglaubwürdig. Insoweit fällt auch auf, dass die Klägerin den Namen dieser Kultgruppe nicht benennen kann. Weiter hat die Klägerin beim Bundesamt ausgeführt, dass sie ihre sechsjährige Tochter bei einem Freund in Nigeria zurückgelassen habe. In der mündlichen Verhandlung hat sie sich hingegen dahingehend eingelassen, dass sie ihre Tochter auf der Flucht einer Freundin übergeben haben will. Weiter hat die Klägerin ausgeführt, dass sie bereits in Nigeria Kontakt zu einer Madam gehabt habe, die ihr versprochen habe, dass sie ihre Ausbildung in Italien zu Ende bringen könne. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin auf ausdrückliche Nachfrage hingegen behauptet, dass sie ihre Madam erstmalig in Italien getroffen habe. Ihre Ausreise aus Nigeria stehe nicht in Zusammenhang mit der späteren Zwangsprostitution in Italien
Auch aufgrund dieser offensichtlichen und erheblichen Glaubwürdigkeitszweifel besitzt die Klägerin keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung der von ihr geltend gemachten Zwangsprostitution in Italien.
Der Handel von nigerianischen Frauen und Kindern zu sexuellen Zwecken ist in Nigeria ein weit verbreitetes Phänomen und ein Problem großen, jedoch schwer bezifferbaren Ausmaßes. Die meisten Opfer des Menschenhandels stammen aus Benin City, der Hauptstadt des Bundesstaats Edo, sowie nahegelegenen Dörfern (vgl. Bericht des European Asylum Support Office – EASO – über Herkunftsländer – Informationen – Nigeria: Sexhandel mit Frauen, S. 14 ff. m.w.N.). Üblicherweise werden die Opfer in der Rekrutierungsphase durch Täuschung oder falsche Versprechungen dazu bewegt, nach Europa (überwiegend nach Italien und Spanien) zu gehen, um dort als Prostituierte zu arbeiten. Häufig wird den Frauen, die meist aus ärmlichen Verhältnissen stammen, in Aussicht gestellt, in Europa einen gut bezahlten Arbeitsplatz oder Bildungschancen zu erhalten, um dort ein besseres Leben führen zu können bzw. der in Nigeria zurückbleibenden Familie aus der Armut heraushelfen zu können. Zentrale Figuren und Anführer der Menschenhandelsnetzwerke sind in der Regel die sogenannten „Madams“, die oft selbst frühere Opfer der Zwangsprostitution sind. Die Madams rekrutieren die Opfer und überwachen den gesamten Prozess des Menschenhandels. Sie sind häufig auch die Personen, welche die Reise nach Europa finanzieren. Eine Aufklärung über die tatsächliche Schuldenhöhe erfolgt erst nach der Ankunft in Europa. Den zur Prostitution gezwungenen Frauen wird in der Regel ein Schuldenbetrag in Höhe von 35.000,00 EUR bis 50.000,00 EUR in Rechnung gestellt, den sie bei der Madame abbezahlen müssen (vgl. Bericht des European Asylum Support Office – EASO – über Herkunftsländerinformationen – Nigeria: Sexhandel mit Frauen, S. 26 m.w.N.). Um die Zwangslage der zur Prostitution gezwungenen Frauen zu verstärken, kommt Voodoo – Ritualen eine besondere Bedeutung zu. Der Glaube an Voodoo ist in Nigeria, insbesondere im Bundesstaat Edo, weit verbreitet. Bei Voodoo, zuweilen auch als „Juju“ bezeichnet, handelt es sich um eine traditionelle westafrikanische Glaubensrichtung, die durch schwarze Magie und rituelle Schwüre geprägt ist. Dies machen sich die Menschenhändler zunutze, um die Opfer aufgrund ihres Glaubens an die Madam und die Schleuser zu binden und psychischen Druck auf die Opfer auszuüben. Die betroffenen Frauen müssen in einer rituellen Zeremonie einen sogenannten Juju – Schwur ablegen, durch welchen sie sich dazu verpflichten, das geschuldete Geld zurückzuzahlen, die Identität der Menschenhändler nicht preiszugeben und sich diesen bedingungslos zu untergeben. Es wird daran geglaubt, dass der Bruch des Schwurs Krankheit, Wahnsinn oder den Tod der Frauen und deren Familien zur Folge habe (vgl. dazu auch ACCORD, Nigeria – Traditionelle Religion, Okkultismus, Hexerei und Geheimgesellschaften, Bericht vom 17.6.2011, S. 7 f.; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Nigeria: Zwangsheirat, Innerstaatliche Fluchtalternative für alleinstehende Frau, Einfluss von Voodoo – Praktiken, 16.3.2016).
Ob nach Nigeria zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und sich hiervon befreit haben, eine soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG darstellen, kann offen bleiben (vgl. VG Würzburg, U.v. 17.11.2015 – W 2 K 14.30213 – juris Rn. 29 f. m.w.N.; mit überzeugenden Argumenten hiergegen VG Gelsenkirchen, U.v. 15. 3.2013 – 9a K 3963/11.A – juris). Nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
Selbst bei Annahme einer sozialen Gruppe genügt alleine die Zugehörigkeit zu einer solchen nicht, um einen Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG zu begründen. Es gibt zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 VwGO) keine Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin durch die Gesellschaft einer Stigmatisierung aufgrund ihrer Tätigkeit als Prostituierte in Italien drohen würde. Insoweit ist bereits nicht erkennbar, inwieweit überhaupt Familienangehörige oder Dritte Kenntnis von der Prostitutionstätigkeit der Klägerin in Italien haben. Weiter hat die Klägerin selbst darauf verwiesen, dass kein Kontakt zur Madam in Italien mehr bestehe. Zum Zeitpunkt ihres Aufenthalts in Italien habe sie noch nicht über ein Telefon (Handy) verfügt. Insoweit bestehe auch keine Möglichkeit, dass die Madam telefonischen Kontakt zur Klägerin aufnehme und ihren Aufenthaltsort ermittle. Auf eine mögliche Reviktimisierung bei einer Rückkehr nach Nigeria hat die Klägerin im Übrigen gar nicht verwiesen. Sie hat beim Bundesamt insoweit lediglich ausgeführt, dass einer Rückkehr nach Nigeria entgegenstehe, dass sie dort an den gewaltsamen Tod ihrer Zwillingsschwester erinnert werde. Auch bezüglich der Zwangsprostitution bestehen gewisse Glaubwürdigkeitszweifel im Vortrag der Klägerin. Dass die Madam, wenn es zutreffen sollte, dass die Klägerin diese erstmalig in Italien getroffen hat, von der Klägerin 30.000,00 EUR als Forderung erhoben haben will, erschließt sich dies für das Gericht nicht. Die Klägerin hat auf ausdrückliche Nachfrage in der Verhandlung selbst dargelegt, dass kein Zusammenhang zwischen der Prostitutionstätigkeit in Italien und ihrer Ausreise aus Nigeria bestehe. Die erhobene Forderung habe allein die Unterbringung und Verpflegung in Italien betroffen. Wenn dies zutreffen sollte, erschließt sich jedenfalls die Höhe der erhobenen Forderung für das Gericht nicht. Letztlich bedarf dies jedoch keiner vertiefenden Betrachtung, da der Klägerin auf den Zielstaat Nigeria bezogen jedenfalls keine Gefahr einer Reviktimisierung droht. Eine solche hat die Klägerin jedenfalls nicht glaubhaft aufzeigen können.
Soweit die Klägerin darauf verweist, dass sie Analphabetin, nicht verheiratet und alleinerziehende Mutter sei, ist die Klägerin bei einer Rückkehr nach Nigeria auf die Inanspruchnahme durch eine spezifische Hilfsorganisation für Frauen zu verweisen. Eine entsprechende Auflistung findet sich insoweit im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl-BFA der Republik Österreich – Nigeria – Gesamtaktualisierung vom 12. April 2019 (dort Seite 41 f.) Das entsprechende Erkenntnismittel wurde in das streitgegenständliche Verfahren eingeführt. Insoweit erachtet das Gericht für die Klägerin jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative durchaus als zumutbar.
Schließlich besteht für die Klägerin auch nicht die Gefahr einer weiblichen Genitalverstümmelung (FGM). Die Klägerin hat insoweit selbst geltend gemacht, in Nigeria in jungen Jahren beschnitten worden zu sein.
Nach allem war der Antrag der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne der §§ 3 ff. AsylG abzulehnen.
2. Der beantragte (unionsrechtliche) subsidiäre Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG kommt ebenfalls nicht in Betracht.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei auch die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Die Art der Behandlung oder Bestrafung muss eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG).
Die Klägerin ist im Falle ihrer Rückkehr nicht einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) ausgesetzt, auch nicht wegen ihres muslimischen Glaubens. Die immer wieder aufkommenden, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Gruppen, bzw. die Angriffe und Auseinandersetzung mit der Gruppierung „Boko Haram“ sind überwiegend regional begrenzt und weisen nicht die Merkmale eines innerstaatlichen Konflikts i.S. der Vorschrift und der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auf (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 2013 -, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 -, U.v. 27. 4.2010 – 10 C 4/09 -, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 und U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – sowie B.v. 14.11.2012 – 10 B 22/12 – jeweils juris). Das Ausmaß dieser Konflikte ist in Intensität und Dauerhaftigkeit nicht mit Bürgerkriegsauseinandersetzungen, die in Nigeria (noch) nicht festzustellen sind, vergleichbar. Nach den allgemein zugänglichen Erkenntnismitteln (Tagespresse, Medien) und Erkenntnissen des Gerichts kam es zwar auch im Jahr 2017 und 2018 sehr häufig zu Anschlägen der Gruppe „Boko Haram“ und sind auch die Einsätze der nigerianischen Sicherheitskräfte mit Gewaltexzessen und willkürlichen Verhaftungen verbunden. Allerdings konzentrieren sich die Anschläge von „Boko Haram“ und die daraus folgenden Auseinandersetzungen immer noch hauptsächlich auf den Norden bzw. Nordosten Nigerias, während es im Süden und Südwesten des Landes nur vereinzelt zu Anschlägen bzw. Terrorakten gekommen ist. Eine landesweite Verübung von Terrorakten durch die Organisation „Boko Haram“ findet nicht statt (vgl. dazu: AA, Lageberichte von Nigeria vom 10. Dezember 2018, 21. Januar 2018, 26. November 2016, 28. November 2014, jew. Zusammenfassung S. 5 sowie II, 1.4., vom 28. August 2013, vom 6. Mai 2012, 7. März 2011, 11. März 2010 und vom 21. Januar 2009, jeweils Ziffer II.1.4). Ein Bürgerkrieg findet in Nigeria nicht statt; Bürgerkriegsparteien sind nicht vorhanden.
Die Klägerin ist daher in der Lage, diesen Konflikten durch Rückkehr in weniger gefährdete Gebiete im Sinne eines internen Schutzes aus dem Wege zu gehen. An dieser Stelle ist darauf zu verweisen, dass die Klägerin selbst nach ihrem eigenen Vorbringen aus dem Bundesstaat … State im Süden Nigerias stammt. Selbst wenn die Klägerin nicht an ihre vormaligen Aufenthaltsorte zurückkehren will, kommt nach Auffassung des Gerichts jedenfalls eine Rückkehr nach Lagos bzw. Abuja, aber auch nach Port Harcourt bzw. nach Owerri in Betracht.
3. Soweit mit der Klage die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird, bleibt die Klage ebenfalls ohne Erfolg. Nationale Abschiebungsverbote liegen zugunsten der Klägerin nicht vor.
a) Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria – hier leben immer noch ca. 70% der Bevölkerung am Existenzminimum und sind von informellem Handel und Subsistenzwirtschaft abhängig (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria – Lagebericht – a.a.O. Nr. I.2.) – ebenso wie die Situation hinsichtlich der verschiedenen gewalttätigen Auseinandersetzungen und Übergriffe, z.T. auch durch die Sicherheitskräfte, und die damit zusammenhängenden Gefahren (s.o. und Lagebericht, a.a.O., Nr. II.2 und 3.) grundsätzlich nicht zu einer individuellen, gerade dem Kläger drohenden Gefahr führt, sondern unter die allgemeinen Gefahren zu subsumieren ist, denen die Bevölkerung oder relevante Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist und die gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG durch Anordnungen gemäß § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind.
Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage eines Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art: 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen, wie zum Beispiel im Falle einer tödlichen Erkrankung in fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat keine Unterstützung besteht (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – BVerwGE 146, 12-31, juris, Rn. 23 ff. m.w.N.). Im Hinblick auf die Bewertung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK gelten dabei bei der Beurteilung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG die gleichen Voraussetzungen wie bei der Frage der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – a.a.O. – juris Rn. 22, 36).
Auch eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) für einen Betroffenen aufgrund allgemein für die Bevölkerung bestehender Gefahren, die über diese allgemein bestehenden Gefahren hinausgeht ist, nur im Ausnahmefall im Sinne eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O., juris Rn. 38). Ein Ausländer kann im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser allgemein bestehenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für die Betroffenen die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Betroffenen daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (zum Ganzen BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O., juris Rn. 38).
b) Für derartige besondere Gefahren aufgrund schlechter humanitärer oder wirtschaftlicher Verhältnisse ist hier nichts ersichtlich. Insbesondere kann im Falle der Klägerin nicht davon ausgegangen werden, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria zu einem Abschiebungsverbot aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse führt, die im Ausnahmefall als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK qualifiziert werden könnten.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung der fehlenden Schulbildung der Klägerin und ihrer und ihrer unterstellten Rückkehr als alleinerziehende Mutter mit Kleinkind. So ist darauf zu verweisen, dass im liberaleren Südwesten Nigerias – und dort vor allem in den Städten – alleinstehende oder alleinlebende Frauen eher akzeptiert werden. Im Allgemeinen ist eine interne Relokation insbesondere für alleinstehende Frauen nicht übermäßig hart. Diese sind darauf angewiesen, spezifische Hilfsorganisationen für Frauen in Anspruch zu nehmen. Diese sind in Nigeria insbesondere in den größeren Städten zahlreich vertreten. Auf die ins Verfahren eingeführte Aufstellung im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich – BFA – Nigeria – Gesamtaktualisierung vom 12.4.2019, Nr. 18.2, S. 41) wird verwiesen. Weiter ist auf das in Afrika herrschende Prinzip der wechselseitigen Solidarität (Ubuntu) zu verweisen. Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA – Nigeria, Gesamtaktualisierung vom 12.4.2019, Nr. 20, S. 50). Hinsichtlich der gewährleisteten wechselseitigen Solidarität ist darauf zu verweisen, dass es der Klägerin wohl auch gelungen ist, für ihr in Nigeria zurückgebliebenes Kind eine entsprechende Betreuungsmöglichkeit zu finden. Dass ihr dies bei einer unterstellten eigenen Rückkehr nach Nigeria nicht gelingen würde, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Schließlich ist auch darauf zu verweisen, dass die Analphabeten-Quote bei nigerianischen Frauen annähernd 50% beträgt. Daher lässt sich auch aus diesem Umstand kein nationales Abschiebungsverbot zugunsten der Klägerin ableiten.
c) Auch ein nationales Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen liegt zugunsten der Klägerin nicht vor. Die Klägerin leidet unter keinen nennenswerten gesundheitlichen Einschränkungen. In psychiatrischer Behandlung befindet sich die Klägerin ebenfalls nicht. Auf eine derartige Behandlungsmöglichkeit sei sie zwar bereits einmal hingewiesen worden, habe diese aber letztendlich nicht in Anspruch genommen.
4. Die auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung ist ebenfalls rechtmäßig, da die Voraussetzungen dieser Bestimmungen vorliegen. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG. Hinweise auf eine Fehlerhaftigkeit des auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 und 2 AufenthG getroffenen Einreise- und Aufenthaltsverbots und dessen Befristung bestehen im maßgeblichen Zeitpunkt nicht.
5. Die Klage war mithin mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.

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