Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes wegen inländischer Fluchtalternative in andere Landesteile der Ukraine

Aktenzeichen  W 7 K 16.32436

Datum:
19.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3
AsylG AsylG § 3d
AsylG AsylG § 3e
AsylG AsylG § 4

 

Leitsatz

1. Nach derzeitiger Erkenntnislage bestehen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass der ukrainische Staat grundsätzlich nicht in der Lage oder willens wäre, Schutz iSd § 3d AsylG vor Verfolgungsmaßnahmen nichtstaatlicher Akteure zu bieten. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit Blick auf den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in der Heimatsstadt Donezk besteht trotz gestiegener Zahl der registrierten Binnenflüchtlinge eine zumutbare inländische Fluchtalternative in andere Landesteile der Ukraine, insbesondere in die Großstädte. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2016 ist nicht rechtswidrig und die Kläger sind dadurch (schon deshalb) nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn sie haben weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG, noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Eigenschaft eines Flüchtlings i.S.v. § 3 AsylG und § 60 Abs. 1 AufenthG.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Ab-kommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, i.S.d. § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris; BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 –, BVerwGE 1989, 162 f.; BVerwG, U.v. 15.3.1988 – 9 C 278/86 –, BVerwGE 1979, 143 f.).
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90 – InfAuslR 1991, 94/95; BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72/89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 135; B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 113).
Die Kläger sind aufgrund ihres vorgebrachten Verfolgungsschicksals nicht Flüchtlinge i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG. Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen ihr Vorbringen beim Bundesamt wiederholt. Das Gericht nimmt insoweit zunächst Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angegriffenen Bescheid und sieht von einer weiteren Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG); dies gilt insbesondere hinsichtlich der beim Bundesamt vorgetragenen asylrechtlich nicht relevanten Tatsachen, dass den Klägern mit feindlichem Misstrauen bzw. Ablehnung begegnet worden sei.
Soweit der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung darüber hinaus vorträgt, auf dem Nachhauseweg von unbekannten Männern zusammengeschlagen worden zu sein, müssen sich die Kläger gemäß § 3d AsylG auf die bestehende Möglichkeit des staatlichen Schutzes verweisen lassen. Insoweit folgt das Gericht den ausführlichen und zutreffenden Gründen im streitbefangenen Bescheid und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Kläger nach eigenen Angaben die polizeilichen Behörden nach den Vorfällen nicht um Schutz gebeten haben. Nach der Erkenntnislage bestehen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass der ukrainische Staat grundsätzlich nicht in der Lage oder willens wäre, Schutz vor Verfolgungsmaßnahmen nichtstaatlicher Akteure zu bieten.
Darüber hinaus besteht für die Kläger sowohl mit Blick auf den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in ihrer Heimatsstadt Donezk als auch bezüglich der behaupteten Vorkommnisse (Beleidigungen; Bedrohungen; Angriff) während ihres Aufenthalts im Heimatort der Mutter der Klägerin zu 2) eine zumutbare inländische Fluchtalternative in andere Landesteilen der Ukraine, insbesondere in die Großstädte. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017 ist zwar aufgrund der aktuellen Situation in der Ukraine von einem erhöhten Migrationspotential auszugehen. Die Zahl der registrierten Binnenflüchtlinge ist bis Januar 2017 auf 1,6 Millionen gestiegen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017, S. 11). Die Grundversorgung ist jedoch, wie für die meisten Menschen in der Ukraine, knapp ausreichend. Auch die medizinische Versorgung ist kostenlos und flächendeckend, auch wenn qualitativ höherwertige Leistungen teilweise von privaten Zuzahlungen abhängig sind (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017, S. 15). Wie sich aus dem Lagebericht (Seite 11) weiter ergibt, wurde inzwischen auch eine Rechtsgrundlage für die Registrierung, Versorgung und Unterbringung von Binnenflüchtlingen geschaffen (IDP-Gesetz vom 19.11.2014). Daneben stehen in der Ukraine neben dem IDP-Gesetz auch noch andere Sozialleistungen zur Verfügung; zusätzlich werden Binnenflüchtlinge auch von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen sowie dem UNHCR und deren Unterorganisation OCHA unterstützt (BayVGH, B.v. 5.4.2017 – 11 ZB 17.30326 –, juris). Im Übrigen sind die Kläger zu 1) und 2) gesunde und arbeitsfähige Menschen, die den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie durch Erwerbstätigkeit sichern konnten, wie sie selbst in der mündlichen Verhandlung angegeben haben. Daher ist davon auszugehen, dass sie ihren Lebensunterhalt auch bei einer Rückkehr in einen anderen Landesteil der Ukraine bestreiten können. Auch ist den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen, dass alle Binnenflüchtlinge in der Ukraine von „Separatisten“ oder Nationalisten verfolgt werden, ohne dass ihnen eine inländische Fluchtalternative zu Verfügung stehen würde.
2. Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG berufen; auch Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht ersichtlich. Das Gericht sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und folgt der Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend wird auf obige Ausführungen Bezug genommen (siehe 1.).
3. Daher sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung rechtmäßig.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

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