Aktenzeichen Au 4 K 20.30493
Leitsatz
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 19.3.2020 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage, über die gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 19. März 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte hätte den Antrag der Klägerin vom 19. Februar 2020 nicht als Folgeantrag werten und deshalb nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 VwGO als unzulässig ablehnen dürfen. In Bezug auf die von der Klägerin begehrte Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes nach § 26 AsylG fehlt es an der unanfechtbaren Ablehnung eines früheren Asylantrags der Klägerin i.S.d. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 12. Februar 2019 (20 ZB 18.32221; dort Rn. 22) betreffend den Asylantrag der Klägerin vom 18. März 2016 klargestellt, dass sich die Rechtskraft des klageabweisenden verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 19. Juli 2018 nicht auf den Streitgegenstand Familienasyl erstreckt, weil ein Anspruch nach § 26 AsylG nicht Inhalt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gewesen sei.
Da die Gewährung von Familienasyl (bzw. Flüchtlingszuerkennung) nach § 26 AsylG neben dem Asylantrag nach § 13 AsylG keinen weiteren Antrag („Familienasylantrag“) voraussetzt (vgl. BayVGH, U.v. 16.10.2018 – 21 B 18.31010 – juris m.w.N.), ist damit über den („ursprünglichen“) Asylantrag der Klägerin, soweit er einen möglichen Anspruch nach § 26 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 AsylG betrifft, bisher nicht unanfechtbar entschieden worden.
Da sich der streitgegenständliche Bescheid vom 19. März 2020 eindeutig auf den Unzulässigkeitstatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG stützt, kann dieser Bescheid auch nicht als inhaltliche Ablehnung des Antrags auf Familienflüchtlingsschutz ausgelegt werden.
Dass die Unzulässigkeits-Entscheidung des streitgegenständlichen Bescheids rechtswidrig ist, wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Klägerseite in ihrem Schreiben vom 19. Februar 2020 und wohl auch sonst nicht darauf hingewiesen hat, dass die Entscheidung über den ursprünglichen Asylantrag in Bezug auf § 26 AsylG noch offen war, sondern mit dem Hinweis auf die Geburt eines weiteren Kindes der Anschein erweckt wurde, es werde eine nachträgliche Sachlagenänderung gem. § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG geltend gemacht. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist es Sache des Bundesamts, den Sachverhalt zu klären und die erforderlichen Beweise zu erheben. Zwar bestehen Mitwirkungspflichten des Asylantragstellers, insbesondere nach §§ 15, 16 und 25 AsylG. Jedoch folgt daraus keine Pflicht, das Bundesamt auf einen bisher nicht vollständig verbeschiedenen Asylantrag hinzuweisen, zumal der Bayerische Verwaltungsgerichtshof offenbar bewusst Anlass gesehen hat, auf die begrenzte Rechtskraft des früher ergangenen Urteils zum Asylantrag der Klägerin aufmerksam zu machen; dieser Hinweis galt auch der Beklagten. Im Übrigen sind die Unzulässigkeitsgründe des § 29 Abs. 1 AsylG zwingendes Recht und vor jeder stattgebenden Entscheidung von Amts wegen zu prüfen (vgl. BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 28/18 – juris Rn. 13). Daraus folgt aber gleichzeitig eine von Amts wegen bestehende Prüfungspflicht des Bundesamts, ob die Voraussetzungen des in Betracht kommenden Unzulässigkeitstatbestands vorliegen; hier also, ob der Asylantrag i.S.d. § 71 AsylG insgesamt unanfechtbar abgelehnt wurde.
Da dies vorliegend nicht der Fall ist, liegt kein Folgeantrag nach § 71 AsylG vor. Damit kommt es auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid, ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorliegen, nicht an; diese Voraussetzungen sind erst zu prüfen, wenn feststeht, dass über einen Folgeantrag i.S.d. § 71 AsylG zu entscheiden ist.
Der Bescheid der Beklagten vom 19. März 2020 war daher, wie zuletzt beantragt, aufzuheben. Ein „Durchentscheiden“ des Verwaltungsgerichts in Bezug auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 26 AsylG ist bei einer hier nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ergangenen Unzulässigkeitsentscheidung nicht möglich (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – BVerwGE 157, 18 – juris Rn. 16 ff.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.