Aktenzeichen S 4 SO 81/18 ER
SGB XII § 19 Abs. 1 Nr. 3, § 85 Abs. 1, § 97 Abs. 2 S. 1, Abs. 4
Leitsatz
Die räumliche Trennung von Ehepartner stellt kein ausschließliches Indiz für ein Getrenntleben dar. Hinzukommen muss die nicht nur vorübergehende Beendigung der Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 6. Juni 2018 wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts A. vom 5. Juli 2018 wird abgelehnt.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt – im Wege der einstweiligen Anordnung – vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Die 1944 geborene Antragstellerin ist verheiratet. Sie bewohnt eine 63 m² große Wohnung im Gebiet der Antragsgegnerin.
Der Ehemann der Antragstellerin ist seit 10.12.2015 bei der M.-Altenpflege, L. untergebracht.
Am 12.12.2016 sprach die Antragstellerin beim Bezirk O. vor. Ihr Mann sei seit ca. einem Jahr im Pflegeheim und die Eigenmittel wären nun aufgebraucht. Mit Formblattantrag vom 23.12.2016 beantragten die Eheleute die Übernahme der ungedeckten Heimkosten.
Der Antrag wurde mit Bescheid des Bezirks O. vom 12.10.2017 abgelehnt, da die Antragstellerin mit ihrem Ehemann im Rahmen einer Erbengemeinschaft Miteigentümer mehrerer Grundstücke im Landkreis sowie im Stadtgebiet B. seien und somit die Vermögensschongrenze überschritten werde.
Mit Schreiben vom 08.01.2018 beantragte die Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bei der Antragsgegnerin. Diese übermittelte der Antragstellerin ein Antragsformular und forderte Belege und Nachweise an. Im Formblattantrag vom 15.01.2018 gibt die Klägerin an verheiratet zu sein.
Nach einem Vermerk der Antragsgegnerin vom 31.01.2018 könne über den Antrag derzeit nicht entschieden werden, da gegen den Bescheid des Bezirks O. vom 12.10.2017 Widerspruch eingelegt worden sei. Der Ausgang bleibe abzuwarten, es sei mit einer darlehensweisen Hilfegewährung des Bezirk O. zu rechnen.
Mit Schreiben vom 12.02.2018 zeigten sich die Bevollmächtigten der Antragstellerin an. Die Antragstellerin sei angerufen worden. Ihr sei mitgeteilt worden, dass eine Leistungsgewährung ausscheide. Die von der Antragstellerin zur Prüfung der Angelegenheit eingereichten Unterlagen seien vorher wieder zurückgeschickt worden. Die telefonische Ablehnung der Leistungsgewährung stelle einen Verwaltungsakt dar. Dagegen werde Widerspruch erhoben.
Auf den Widerspruch der Eheleute vom 13.11.2017 erging der Abhilfebescheid des Bezirks Oberfranken vom 15.02.2018. Nunmehr wurden Leistungen ab 01.02.2017 darlehensweise unter Widerrufsvorbehalt gewährt. Der unterschriebene Darlehensvertrag vom 15.02.2018 wurde beim Bezirk O. am 15.03.2018 eingereicht.
Nach dem Aktenvermerk der Antragsgegnerin vom 20.03.2018 sei die Antragstellerin telefonisch informiert worden, dass eine abschließende Entscheidung noch nicht erfolgen könne, grundsätzlich jedoch keine Zuständigkeit der Stadt B. bestehe.
Der Widerspruch der Antragstellerin vom 22.02.2018 wurde mit Widerspruchsbescheid der Regierung von O. vom 03.04.2018 zurückgewiesen. Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Antragstellerin Klage erhoben (S 4 SO 59/18), über die noch nicht entschieden ist.
Mit Schreiben vom 08.06.2018, per Telefax dem Sozialgericht Bayreuth übermittelt am 25.06.2018, beantragt die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die Antragstellerin wisse aktuell nicht, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten solle. Die Antragstellerin müsse für die Wohnkosten 166,00 €, und Heizkosten, 27,00 € Grundsteuer, 63,00 € Strom sowie 40,00 € für Wasser bezahlen. Sie beziehe eine monatliche Rente, bei der ab 01.07.2018 monatlich 214,92 € ausbezahlt würden. Die Antragstellerin habe beim Antragsgegner bereits in der Vergangenheit mehrfach vorgesprochen, um Leistungen zu erhalten. Diese Vorsprachen seien vergeblich geblieben, sodass nunmehr der Eilantrag geboten sei.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, ab Antragseingang bei Gericht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß SGB XII in Höhe von 80% der gesetzlichen Leistungen zuzüglich Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe zu gewähren.
Mit Schreiben vom 05.07.2018 beantragt die Antragstellerin weiter,
Prozesskostenhilfe in Höhe der Selbstbeteiligung von 102,00 € sowie eventuell anfallende Reisekosten des unterfertigten ab Antragstellung zu bewilligen und den Unterzeichner beizuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin nimmt Bezug auf das Vorbringen im Klageverfahren S 4 SO 59/18. Es dürfe nochmals klargestellt werden, dass aufgrund der vorliegenden Einstandsgemeinschaft zwischen der Antragstellerin und ihrem Bezirk ein eventueller Leistungsanspruch der Antragstellerin beim Bezirk O. geltend gemacht werden könne.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Akte des gegenständlichen Eilrechtsschutzverfahrens, die beigezogene Prozessakte S 4 SO 59/18 und auf die Leistungsakte der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Gegenstand des Verfahrens ist der Antrag der Antragstellerin im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vom 08.06.2018. Die Antragstellerin begehrt Hilfe zum Lebensunterhalt.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet. Es bestehen auch keine hinreichenden Erfolgsaussichten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe.
Der Antrag der Antragstellerin ist auf Erlass einer Regelungsanordnung gerichtet.
Der mündliche Ablehnungsbescheid stellt sich als Versagung einer Begünstigung, nicht aber als belastender Verwaltungsakt dar. Damit haben der Widerspruch vom 22.02.2018 und die Anfechtung- und Leistungsklage vom 07.05.2018 keine aufschiebende Wirkung.
Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben (vgl. hierzu § 86a Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG), die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG).
Vorliegend kommt, da es Antragstellern ersichtlich um eine Regelung eines vorläufigen Rechtszustandes geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Zum Prüfungsmaßstab führt das Bayerische Landessozialgericht aus (Beschluss vom 05.05.2015 L 11 AS 268/15 B ER m. z. N.):
„Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre . . . Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes – das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit – und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches – das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt – voraus. Die Angaben hierzu hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung – ZPO -; . . .). Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang . . . das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit Existenz sichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers zu entscheiden . . . In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden.“
Das Landessozialgericht weist auch auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.08.2014 (1 BvR 1453/12) hin, in der eine Folgenabwägung nicht angesprochen wird. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Eine einstweilige Anordnung kann nicht ergehen, da Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht glaubhaft sind.
Die Antragstellerin hat sich – entgegen der wiederholten Hinweise der Antragsgegnerin – an die unzutreffende Behörde gewandt. Dies ist der Bezirk O..
Nach § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB XII wird die Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers nach Landesrecht bestimmt. Diese Bestimmung wurde durch Art. 82 AGSG getroffen. Nach Art. 82 Nr. 5 besteht die Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe auch für die Leistungen des 3. (Hilfe zum Lebensunterhalt) und 4. Kapitels SGB XII (Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) sofern sie zugleich mit laufenden oder stationären Leistungen nach Art. 82, Nrn. 1 – 4 und die laufenden Leistungen nach Nrn. 1 – 4 nicht ausschließlich in teilstationären Einrichtungen bezogen werden.
Der Ehemann der Antragstellerin bezieht hauptsächlich Leistungen nach Art. 82 Nr. 1 (6. Kapitel SGB XII) als Hilfe zur Pflege. Die Leistungen werden ausschließlich in einer stationären Einrichtung erbracht.
Die Antragstellerin ist von der Zuständigkeitsbestimmung des Art. 82 AGSG mit umfasst. Dies ergibt sich aus der Systematik der § 19 Abs. 1 Nr. 3, § 85 Abs. 1, § 97 Abs. 4 SGB XII.
§ 19 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII statuiert die Einstandsgemeinschaft und hält für die Leistungen nach dem 5. – 9. Kapitel dieses Buches (und damit einschließlich der Hilfe zur Pflege) fest, dass die Hilfen geleistet werden, soweit den Leistungsberechtigten und ihren Ehegatten die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des 11. Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist. Die Vorschrift ist verfassungsrechtlich hinnehmbar (Grube in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage 2018, § 19 Rn. 14).
§ 85 SGB XII (Vorschrift des 11. Kapitels) regelt die – privilegierte – Einkommensanrechnung der nachfragenden Person und ihres nicht getrennt lebenden Ehegatten.
Getrenntleben liegt vor, wenn die Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft nach den tatsächlichen Verhältnissen nicht nur vorübergehend aufgehoben ist. Da es auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt, ist nicht entscheidend, ob nach den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften ein Recht zum Getrenntleben besteht. Die räumliche Trennung von Ehepartner stellt ebenfalls kein ausschließliches Indiz für ein Getrenntleben dar. Hinzukommen muss die nicht nur vorübergehende Beendigung der Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft (Grube a.a.O. Rn. 15).
Eine derartige sozialhilferechtliche Trennung ist nicht geltend gemacht und nicht ersichtlich. Vielmehr hat die Antragstellerin im Formblattantrag vom 15.01.2018 „verheiratet“ angekreuzt und damit ein (als Ankreuzalternative angebotenes) Getrenntleben verneint.
§ 97 Abs. 4 SGB XII ordnet zugunsten einer zwischen den Sozialhilfeträger konfliktfreien Bedarfsbeurteilung das Gesamtfallprinzip an (vgl. Grube a.a.O. § 97 Rn. 15). Es soll die Hilfeleistung aus einer Hand gewährleistet werden (Sehmsdorf in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 97 SGB XII, Rn. 36).
Den Einwendungen der Antragstellerin gegen das nach ihrer Auffassung zu geringe verbleibende (gemeinsame) Einkommen war nicht nachzugehen, da der Bescheid vom 12.10.2017 des Bezirks O. in der Fassung des Abhilfebescheids vom 15.02.2018 nicht Gegenstand des Verfahrens gegenüber der Antragsgegnerin ist. Eine Beiladung war nicht angezeigt, da der Abhilfebescheid des Bezirks O. vom 15.02.2018 bereits mit Einverständnis der Antragstellerin (Unterschrift des Darlehensvertrages) in Vollzug gesetzt wurde.
Zweifelhaft erscheint ohnehin, ob die Klägerin überhaupt einen sozialhilferechtlichen Anspruch geltend machen kann, da die Berücksichtigung des Einkommens des nicht hilfebedürftigen Mitglieds der Einsatzgemeinschaft nur eine bloße Reflexwirkung darstellt (Coseriu in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 19 SGB XII, Rn. 70).
Ein Anordnungsgrund wurde nicht glaubhaft, da eine Notlage etwa bei Unterdeckung des SGB XII-Bedarfs bei gemeinsamen Einkommen nicht ersichtlich ist.
Auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet. Hinreichende Erfolgsaussichten bestehen nicht.
Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO).
„Bei der Prüfung der hinreichenden Aussicht auf Erfolg im Rahmen der Prozesskostenhilfe erfolgt nur eine vorläufige Prüfung. Dabei ist der verfassungsrechtlich gezogene Rahmen (Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3, 19 Abs. 4 Grundgesetz) zu beachten, deshalb dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden . . . Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist . . . beziehungsweise wenn die Erfolgsaussicht nur eine entfernte ist“ (Bayer. Landessozialgericht, Beschluss vom 12.04.2013, L 18 AY 3/13 B ER, m. N.).
Eine so verstandene hinreichende Erfolgsaussicht besteht nicht, wie sich aus vorstehender Begründung ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.