Verwaltungsrecht

Kein Asylanspruch einer kurdischen Familie nach Einreise aus sicherem Drittstaat

Aktenzeichen  AN 2 K 16.31358

Datum:
27.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 4, § 26a Abs. 2, § 34 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 59, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO VwGO § 113 Abs. 1, Abs. 5

 

Leitsatz

1 Die Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe allein begründet aktuell nicht die Gefahr von Verfolgung bzw. Übergriffen im Sinne von § 3a AsylG. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine asylrechtlich erhebliche Verfolgungsgefahr für Mitglieder einer Gruppe liegt dann vor, wenn Verfolgungshandlungen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern auch ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ehrenmorde innerhalb traditioneller Familien im Irak sind zwar nicht ausgeschlossen, eine allgemein bestehende beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht jedoch nicht. Dies stellt vielmehr die extreme Ausnahme dar. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4 Im Irak kann eine grundsätzliche Verweigerung polizeilichen und staatlichen Schutzes in Familienangelegenheiten nicht festgestellt werden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid des BAMF vom 26. August 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO). Weder besteht ein Anspruch auf Asylanerkennung gemäß Art. 16 a GG, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG und Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch die in Ziffer 5 und 6 getroffenen Neben-entscheidungen begegnen keinen Bedenken.
Das Gericht nimmt zur Begründung des Urteils gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug auf die ausführliche und zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheides des BAMF vom 26. August 2016 und führt ergänzend aus:
Auch im für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) ergibt sich keine davon abweichende rechtliche Bewertung des geltend gemachten Verfolgungsschicksals.
Der Asylanerkennung steht bereits Art. 16 a Abs. 2 GG entgegen, nachdem die Einreise auf dem Landweg und damit über einen sicheren Drittstaat (§ 26 a Abs. 2 AsylG) in die Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist.
Das BAMF hat zu Recht den geltend gemachten Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG verneint. Die Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe allein begründet aktuell nicht die Gefahr von Verfolgung bzw. Übergriffen im Sinne von § 3 a AsylG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 21.4.2009, 10 C 11/08 – juris) liegt eine asylrechtlich erhebliche Verfolgungsgefahr für Mitglieder einer Gruppe dann vor, wenn Verfolgungshandlungen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern auch ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht.
Als Kurden aus der Provinz Sulaimanyia können die Kläger grundsätzlich in die teilautonome Region Kurdistan-Irak zurückkehren. Sie werden dort keinen grundsätzlichen Gefahren, Einreisehindernissen, besonderen Schwierigkeiten oder unzumutbaren Verhältnissen ausgesetzt sein. Staatliche Verfolgung droht ihnen nicht. Insofern haben die Kläger nichts vorgetragen.
Auch die von den Klägern befürchtete Blutrache durch die Familie der Klägerin zu 2) steht einer Rückkehr der Kläger jedenfalls in einen anderen Teil der Region Kurdistan-Irak nicht entgegen. Die Kläger haben auch in der mündlichen Verhandlung vom 27. April 2017 glaubhafte Aussagen zu dem Vorfall mit dem Vater der Klägerin zu 2) und der Ablehnung des Klägers zu 1) in der Herkunftsfamilie der Klägerin zu 2) gemacht, sodass davon auszugehen ist, dass eine Rückkehr zur Familie der Klägerin zu 2) nicht bzw. in ihren Heimatort schwerlich möglich ist. Es ist jedoch nicht erkennbar, warum sich die erwachsenen Kläger, die nicht auf die Unterstützung der Familie der Klägerin zu 2) angewiesen sind, nicht in einen anderen Ort der Region Kurdistan-Irak, in der mehrere Millionen Menschen einschließlich rund 1.000.000 Binnenvertriebenen leben, niederlassen können, warum sie nicht insbesondere in der Anonymität einer der dortigen Großstädte vor Übergriffen der Familie geschützt sein sollen. Dass der Vater der Klägerin zu 2) die Kläger mithilfe von Unterstützern überall aufspüren würde, ist angesichts der Größe und Geographie der Region Kurdistan-Irak nicht zu erwarten, sondern lediglich eine pauschale Behauptung bzw. eine unangemessene und unbegründete Furcht der Kläger.
Auch dass der Vater der Klägerin zu 2) tatsächlich einen Ehrenmord an einem Familienmitglied begehen würde, steht für das Gericht nicht mit der hierfür notwendigen beachtlichen Wahrscheinlichkeit fest. Obwohl der Vater der Klägerin zu 2) – nach ihren glaubhaften Schilderungen – seit jeher ein strenges und tyrannisches Familienoberhaupt gewesen ist, ist es offenbar weder gegenüber der Klägerin zu 2) selbst, noch gegenüber ihrer Mutter oder ihren Geschwistern bislang zu ernsten Körperverletzungen oder Gefährdungen gekommen, auch nicht in der Situation, als für den Vater feststand, dass der Kläger zu 1) den Ruf der Familie geschädigt hat und er die Klägerin zu 2) bei sich festgehalten hatte. Ehrenmorde innerhalb traditioneller Familien im Irak sind zwar nicht ausgeschlossen, eine allgemein bestehende beachtliche Wahrscheinlichkeit hierfür in Fällen wie von den Klägern geschildert, besteht jedoch nicht. Dies stellt vielmehr die extreme Ausnahme dar, was letztlich auch durch den Vortrag der Kläger belegt wird, dass ihnen aus dem Jahr 1988 (nur) ein Vergleichsfall erinnerlich ist.
Auch dass seitens der staatlichen Sicherheitsbehörden keinerlei Schutz bei derartigen Familienfehden zu erhalten ist, ergibt sich in dieser Allgemeinheit nicht aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen, insbesondere dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017. Jedenfalls außerhalb der Heimatregion der Kläger und damit außerhalb gegebenenfalls bestehender familiärer und gesellschaftlicher Loyalitäten ist davon auszugehen, dass den Klägern entsprechender Schutz zuteil würde. Eine grundsätzliche Verweigerung polizeilichen und staatlichen Schutzes in Familienangelegenheiten kann danach nicht festgestellt werden.
Angesichts dieser Situation ist auch keine Situation im Sinne von § 4 AsylG, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes führen würde, anzunehmen. Ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt liegt in der Region Kurdistan-Irak nach den zum Verfahren beigezogenen Erkenntnisquellen nicht vor. Einzelne terroristische Anschläge und Gewaltakte, zu denen es im gesamten Irak gekommen ist und weiter kommen kann, genügen hierfür nicht.
Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass die Kläger bei einer Rückkehr ihren Lebensunterhalt nicht auf Dauer bestreiten könnten.
Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheids beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und ist rechtmäßig, da die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Die im Rahmen der nach § 11 Abs. 3 AufenthG zu treffenden Ermessensentscheidung über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG ist nicht zu beanstanden, § 114 Abs. 1 VwGO.
Die Kostenentscheidung der damit abzuweisenden Klage resultiert aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.

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