Verwaltungsrecht

Kein Erfolg im Folgeantragsverfahren wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation im Kosovo sowie der eigenen Schwangerschaft

Aktenzeichen  M 17 E 16.30718

Datum:
13.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
VwVfG VwVfG § 51
AsylG AsylG § 30 Abs. 2, § 36 Abs. 4 S. 1, § 71

 

Leitsatz

Eine dauerhafte Reiseunfähigkeit ist bei Neugeborenen grundsätzlich nicht anzunehmen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin zu 1) stammt aus dem Kosovo und ist albanischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste nach eigenen Angaben über Serbien, Ungarn und Österreich am …. Februar 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am …. April 2015 brachte sie ihre Tochter, die Antragstellerin zu 2), zur Welt und stellte am 9. Dezember 2015 Asylantrag.
Nachdem die Antragsteller ihre Asylanträge am 10. Dezember 2015 zurückgenommen hatten (Bl. 62 d. Behördenakte – BA) stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 10. Dezember 2015, den Antragstellern am 22. Dezember 2015 zugegangen (Bl. 66 BA), das Asylverfahren ein (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Antragsteller wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung in den Kosovo oder in einen anderen Staat angedroht, in den die Antragsteller einreisen dürfen oder der zu ihrer Rücknahme verpflichtet ist (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Am …. Januar 2016 stellten die Antragsteller persönlich in der Außenstelle … des Bundesamtes einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag).
Im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am …. März 2016 (Bl. 48 ff. BA) brachte die Antragstellerin zu 1) im Wesentlichen vor, dass die Lebensbedingungen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Kosovo schlecht gewesen seien. Sie sei schwanger gewesen und habe sich gefragt, wie ihre Zukunft aussehe. Dann hätten sie sich entschlossen, nach Deutschland auszureisen. Sie habe keine Verwandten in Deutschland. Gründe für eine Verkürzung der Einreisesperre habe sie nicht. Sie sei hochschwanger (Entbindungstermin 31. März 2016) und könne ohne ihren Mann nicht in den Kosovo zurückkehren.
Mit Bescheid vom 1. April 2016, der den Antragstellern ausweislich der Empfangsbestätigung am 7. April 2016 zuging (Bl. 84 BA), lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Nr. 1) sowie den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 10. Dezember 2015 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab (Nr. 2). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen nicht vor. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage sei nicht ersichtlich, da die Antragsteller lediglich wirtschaftliche Gründe für ihre Ausreise geltend gemacht hätten, die bereits zum Zeitpunkt des ersten Antrags existiert hätten. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG seien im vorliegenden Fall ebenfalls nicht gegeben.
Am 7. April 2016 erhob die Antragstellerin bei der Rechtsantragstelle des Verwaltungsgerichts München zur Niederschrift Klage (M 17 K 16.30717) und beantragte gleichzeitig, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, von einer Mitteilung an die Ausländerbehörde gemäß § 71 Abs. 5 AsylG abzusehen.
Zur Begründung wurde auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt verwiesen. Sie sei hochschwanger. Ihr Mann befinde sich seit vier Monaten in der Justizvollzugsanstalt … und müsse dort insgesamt eine Haftstrafe von zwei Jahren verbüßen. Ohne ihn könne sie nicht zurück, da sie nicht wisse wohin und wann sie entbinden werde. Außerdem habe sie noch ihre Tochter zu betreuen.
Die Antragsgegnerin übersandte mit Schreiben vom 11. April 2016 die Behördenakten und stellte keinen Antrag.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Asylakten verwiesen, insbesondere auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides.
II.
1. Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Der vorläufige Rechtsschutz richtet sich hier nach § 123 VwGO. Grundlage für eine Abschiebung der Antragsteller wäre, da der mit der Hauptsacheklage angegriffene Bescheid keine Abschiebungsandrohung enthält (siehe dazu § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG), die fortgeltende bestandskräftige Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 10. Dezember 2015 in Verbindung mit der Mitteilung an die für die Antragsteller zuständige Ausländerbehörde nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG.
Bei der vorliegenden Fallgestaltung kann vorläufiger Rechtsschutz mithin nur im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO gewährt werden (vgl. VGH BW, B.v. 2.12.1997 – A 14 S 3104/97 – InfAuslR 1998,193; Funke/Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum AsylG, Stand Januar 2014, § 71 Rn. 315 ff. m. w. N.).
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und dessen Gefährdung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
Unabhängig vom Bestehen eines Anordnungsgrundes haben die Antragsteller jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag, so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Der vorliegende Eilantrag könnte deshalb nur dann Erfolg haben, wenn die Antragsteller glaubhaft gemacht hätten, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Verfahrens, das zur Anerkennung der Antragsteller als Asylberechtigte bzw. zur Feststellung des Vorliegens der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) oder eines Abschiebungsverbots nach § 4 AsylG, § 60 AufenthG führen wird, überwiegend wahrscheinlich gegeben sind. Dabei legt das Gericht den eingeschränkten Prüfungsmaßstab zugrunde, der im Fall einer nach § 71 Abs. 4 AsylG grundsätzlich zu erlassenden, hier aber wegen § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG nicht erforderlichen neuen Abschiebungsandrohung anzuwenden wäre. Gemäß § 71 Abs. 4 i. V. m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Abschiebung nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme ausgesetzt werden.
Derartige ernstliche Zweifel bestehen hier nicht. Die Antragsgegnerin hat zu Recht die erneute Durchführung eines Asylverfahrens abgelehnt, da die Antragsteller die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens i. S.v. § 71 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bzw. auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 4 AsylG, § 60 AufenthG nicht glaubhaft machen konnten.
Insoweit wird vollumfänglich auf die im Bescheid der Antragsgegnerin getätigten Ausführungen verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Es wurden gegenüber dem früheren Verfahren keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgetragen, die zu einem Wiederaufgreifen führen würden.
Die Antragsteller haben sich im Wesentlichen auf die schlechte wirtschaftliche Situation im Kosovo und ihre Perspektivlosigkeit berufen. Dies begründet aber keine Verfolgung im Sinne von Art. 16 a GG oder § 3 AsylG. Vielmehr ist gemäß § 30 Abs. 2 AsylG ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält.
Die Schwangerschaft der Antragstellerin zu 1) führt nicht zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Es handelt sich um ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das die Ausländerbehörde bei der Vollstreckung der Abschiebung zu berücksichtigen hat (§ 60 a Abs. 2 AufenthG; vgl. VG München, B.v. 22.09.2015 – M 15 S 15.31117 – juris Rn. 17; VG München, B.v. 23.10.2013 – M 24 S 13.31033; VG München, U.v. 15.01.2015 – M 12 K 14.31140 – juris Rn. 45; VG Berlin, B.v. 30.10.2015 – 33 L 305.15 A – juris Rn. 18; hinsichtlich der Luftabschiebung von Schwangeren vgl. BayVGH, B.v. 10.08.2015 – 10 CE 15.1341, 10 C 15.1343 – juris Rn. 8).
Eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat die Antragstellerin zu 1) im Übrigen nicht dargetan. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine Risikoschwangerschaft oder sonstige gesundheitliche Probleme. Im Übrigen können Erkrankungen im Kosovo auch grundsätzlich behandelt werden. Laut Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 9. Dezember 2015 (S. 21ff.) ist die Gesundheitsversorgung im Kosovo grundsätzlich gesichert. Die primäre Grundversorgung, das heißt die ambulante Grundversorgung durch Allgemeinmediziner und andere Fachärzte sowie medizinisches Assistenzpersonal, erfolge in sogenannten Familien-Gesundheitszentren, die in der Verantwortung der jeweiligen Kommune betrieben und von diesen finanziert würden. Sollte die Antragstellerin zu 1) mittlerweile entbunden haben, ist davon auszugehen, dass dies seitens der Ausländerbehörde im Rahmen der Abschiebung entsprechend berücksichtigt wird ebenso wie für den Fall, dass sich die Antragstellerin zu 1) kurz vor der Entbindung befindet. Eine dauerhafte Reiseunfähigkeit ist jedoch auch bei Neugeborenen grundsätzlich nicht anzunehmen.
Auch der Umstand, dass die Antragstellerin zu 1) geltend macht, ihr Ehemann könne sie nicht in den Kosovo begleiten, führt nicht zu einem anderen Ergebnis, da auch dieser Aspekt als inlandsbezogenes Abschiebungshindernis von der zuständigen Ausländerbehörde festzustellen wäre (vgl. BVerwG, U.v. 20.4.1999 – 9 C 29/98 – juris Rn. 7). Den Wunsch der Antragstellerin zu 1), gemeinsam mit ihrem Ehemann in den Kosovo zurückzureisen, nachdem dieser aus der Justizvollzugsanstalt entlassen worden ist, kann sie nicht im Asylverfahren erreichen. Entsprechend ihres Vortrags leben in ihrer Heimat viele ihrer Verwandten, darunter ihre Eltern und Geschwister, von denen anzunehmen ist, dass diese sie ebenfalls unterstützen würden, so dass sie, auch wenn der Beistand durch ihren Ehemann sicher optimal wäre, jedenfalls nicht ohne Beistand bei der Geburt oder der anschließenden Betreuung ihrer Kinder wäre.
2. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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