Verwaltungsrecht

Kein internationaler Schutz und kein Abschiebungsverbot für russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit

Aktenzeichen  11 B 18.32129, 11 B 18.32130, 11 B 18.32131

Datum:
16.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15906
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3a Abs. 1, 2, 3, § 3b Abs. 1, § 3c, § 3e Abs. 1, § 4 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, § 29 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Russischen Staatsangehörigen tschetschenischer Volkszugehörigkeit ist es grundsätzlich möglich und zumutbar, sich ggf. an einem anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens niederzulassen und dort den Lebensunterhalt zu sichern. (Rn. 46 – 51) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 5 K 17.30225, B 5 K 17.30226, B 5 K 17.30385 2018-05-30 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Berufungen werden zurückgewiesen.
II. Die Kläger tragen jeweils die Kosten ihres Berufungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässigen Berufungen, die der Senat gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat, sind nicht begründet.
Zwar ist der Asylantrag der Kläger, für dessen Prüfung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 15. Juli 2019 abzustellen ist (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 des Asylgesetzes – AsylG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.9.2008 [BGBl I S. 1798], zuletzt geändert durch Gesetz vom 4.12.2018 [BGBl I S. 2250]), nicht gemäß § 29 Abs. 1 AsylG als unzulässig anzusehen (I.). Die Kläger haben jedoch weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (II.) noch auf Feststellung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG (III.) oder von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. Juli 2019 (BGBl I S. 1066) (IV.).
I.
Unzulässig wäre der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 AsylG, wenn ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (Nr. 1), wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz gewährt hat (Nr. 2), wenn ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a AslyG betrachtet wird (Nr. 3), wenn ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 AslyG betrachtet wird (Nr. 4) oder wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG oder eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist (Nr. 5). Dies ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach Anhörung der Betreffenden auch dann zu prüfen, wenn – wie hier – das Bundesamt für … den Antrag in der Sache beschieden hat (vgl. BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 28.18 – juris Rn. 13).
1. Der Senat geht jedoch davon aus, dass trotz der Aufenthalte der Kläger zu 1 bis 3 in Polen und in den Niederlanden vor ihrer Asylantragstellung in Deutschland keiner der in § 29 Abs. 1 AsylG genannten Unzulässigkeitstatbestände gegeben ist. In Polen haben die Kläger zu 1 bis 3 zwar bei ihrer Einreise am 24. Juli 2012 wohl einen Asylantrag gestellt. Hierfür spricht auch der vom Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung bestätigte Eurodac-Treffer. Allerdings sind sie von Polen bereits nach wenigen Tagen in die Niederlande weitergereist und dort am 28. Juli 2012 angekommen. Auch die Beklagte hat, wie ihr Vertreter in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, nicht ermitteln können, dass das Asylverfahren in Polen abgeschlossen worden wäre. Die zunächst von der Beklagten im Bescheid des Bundesamts vom 25. Juli 2013 angenommene Zuständigkeit Polens für die Behandlung der Asylanträge und die damals erklärte Bereitschaft Polens zur Rückübernahme der Kläger sind durch den Ablauf der Überstellungsfrist am 22. Januar 2014, den daraufhin ergangenen Aufhebungsbescheid des Bundesamts vom 7. März 2014 und den Selbsteintritt der Beklagten gegenstandslos geworden. Für eine nach wie vor bestehende Bereitschaft Polens, die Kläger trotz Ablaufs der Überstellungsfrist vor mehr als fünf Jahren und ohne rechtliche Verpflichtung wieder aufzunehmen sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.
2. Der Senat geht des Weiteren davon aus, dass auch die Niederlande nicht mehr für die Durchführung der Asylverfahren zuständig sind, den Klägern zu 1 bis 3 keinen internationalen Schutz gewährt haben, nicht zur ihrer Aufnahme bereit sind und dass auch der Ausschlussgrund eines Zweitantrags (§ 71a AsylG) für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht erfüllt ist. Der in den Niederlanden gestellte Asylantrag wurde nach Angaben der Kläger und ihres Bevollmächtigten abgelehnt. Der Beklagtenvertreter hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass die niederländischen Behörden lediglich eine Verfahrensentscheidung aufgrund der damaligen Zuständigkeit Polens getroffen hätten. Hiervon geht auch der Senat aus, da die niederländischen Behörden den Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 offenbar nur zu ihrem Fluchtweg und nicht zu ihren Verfolgungsgründen angehört haben. Aufgrund ihres Selbsteintritts ist die Beklagte für die erstmalige materielle Prüfung des Asylbegehrens der Kläger zuständig geworden.
II.
Einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft steht jedoch entgegen, dass die vom Kläger zu 1 und der Klägerin zu 2 geschilderten Übergriffe unabhängig davon, ob sie von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren ausgingen, jedenfalls an keinen der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG abschließend genannten Verfolgungsgründe anknüpfen.
1. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 (BGBl 1953 II S. 559), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Die Begriffe der Rasse, der Religion, der Nationalität, der bestimmten sozialen Gruppe und der politischen Überzeugung sind in § 3b Abs. 1 Nr. 1 bis 5 AsylG näher definiert. Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer diese Merkmale, die zur Verfolgung führen, tatsächlich aufweist, sofern sie ihm von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
Als Verfolgung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1) oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Diese Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen. Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind gemäß § 3c AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen sowie nichtstaatliche Akteure, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 337 S. 9) ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Beurteilung unterliegt der freien Beweiswürdigung des Tatrichters (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – NVwZ 2018, 1408 Rn. 15 m.w.N.).
2. Nach diesen Maßstäben ist den Klägern die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen.
Unabhängig von der hier nicht relevanten Frage, ob die Kläger zu 1 und 2 die angeblich erlittenen Repressalien wahrheitsgemäß geschildert haben, knüpfen diese jedenfalls nicht an eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten und in § 3b Abs. 1 AsylG näher definierten Merkmale der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe an, das die Verfolger den Klägern zuschreiben würde. In Betracht käme insoweit allenfalls eine Verfolgung wegen der politischen Überzeugung. Der Kläger zu 1 hat jedoch zu keinem Zeitpunkt angegeben, dass er selbst politisch aktiv gewesen oder dass er wegen einer vermeintlichen, ihm zugeschriebenen politischen Überzeugung verfolgt worden wäre. Die geschilderten Repressalien hatten nach seiner Darstellung vielmehr zum Ziel, ihn davon abzuhalten, weiter nach seinem entführten Bruder und den hierfür Verantwortlichen zu forschen. Außerdem wollten die Verfolger den Kläger zu 1 zur Herausgabe von Dokumenten, die die Entführung seines Bruders betrafen, anhalten. Selbst dann, wenn die Verfolger den Bruder – wie vom Kläger zu 1 dargestellt – für einen Feldkommandeur hielten und ihn beschuldigt haben, mit illegal operierenden Einheiten gegen die russischen Streitkräfte zu kämpfen, ergibt sich aus der Schilderung des Klägers zu 1 nicht, dass er in Verdacht gestanden hätte, seinen Bruder dabei unterstützt zu haben oder selbst gegen die russischen Streitkräfte zu kämpfen. Damit fehlt es an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG notwendigen Verknüpfung zwischen einem dem Kläger zu 1 zugeschriebenen Verfolgungsgrund und einer Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG. Gleiches gilt für die Klägerin zu 2 und den Kläger zu 3 hinsichtlich der geschilderten Ereignisse in der Nacht vor der Flucht am 18. Juli 2012. Für die übrigen Kläger wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.
III.
Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes in Deutschland.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Auch insoweit gilt, dass die Gefahr eines ernsthaften Schadens sowohl von staatlichen wie auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen kann (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG). Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kommt dem Schutzsuchenden, wie bereits ausgeführt, ebenfalls zugute.
1. Es obliegt dem Schutzsuchenden, sein erlittenes Schicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Hinsichtlich seines individuellen Verfolgungsschicksals befindet er sich typischerweise in Beweisnot und ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es daher entscheidend an, so dass seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung maßgebliche Bedeutung zuzumessen ist (BVerwG, U.v. 9.12.2010 – 10 C 13.09 – BVerwGE 138, 289 Rn. 19; B.v. 10.5.2002 – 1 B 392.01 – juris Rn. 5; U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – BVerwGE 71, 180/182). Er muss die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141.83 – NVwZ 1985, 36 = juris Rn. 11; B.v. 20.5.1992 – 9 B 295.91 – juris Rn. 5). Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert (vgl. HessVGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris Rn. 19; VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris Rn. 35).
Insoweit bestehen aufgrund widersprüchlichen und gesteigerten Vorbringens erhebliche Zweifel an der Darstellung der von den Klägern geschilderten Vorkommnisse.
a) In der mündlichen Verhandlung berichtete der Kläger zu 1, sein Bruder sei am 21. März 2002 aus dem Haus entführt worden. Er selbst sei ebenfalls im Haus gewesen und seine Mutter habe ihn aus einem anderen Hauseingang herausgebracht.
Dieses Vorbringen weicht erheblich von der bisherigen Darstellung des Klägers zu 1 während des gesamten Verfahrens ab. Von einer Entführung des Bruders aus dem Haus war zu keinem Zeitpunkt die Rede. Vielmehr hatte der Kläger zu 1 die Entführung durchgehend so dargestellt, dass der Bruder zusammen mit einer weiteren Person während einer Fahrt mit seinem Fahrzeug der Marke Wolga am Rande der Ortschaft von militärischen Einheiten entführt worden wäre. Dies ergibt sich nicht nur aus der ersten Schilderung des Vorfalls im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 18. März 2013 an das Bundesamt für …, sondern auch aus den zum Beleg vorgelegten und vom Prozessbevollmächtigten der Kläger übersetzten Dokumenten. So heißt es beispielsweise in einem Schreiben der Regionalabteilung für innere Angelegenheiten vom 30. Dezember 2002 an die örtliche Staatsanwaltschaft, die Entführung habe am Rande der Siedlung stattgefunden. In einer ausführlichen schriftlichen Darstellung der Entführung durch die Mutter des Klägers zu 1 ist ebenfalls nicht die Rede davon, dass die Entführer in das Haus eingedrungen wären. Vielmehr berichtet die Mutter, ihr Sohn und dessen Begleiter seien in ihrem Wagen, einem weißen Wolga GAS 3110 mit dem staatlichen Kennzeichen … … … tagsüber an der Straßenkreuzung zwischen den Siedlungen Atschhoj-Martan und Samaschki an der zerstörten Brücke von unbekannten Personen in Masken und in Tarnanzügen angehalten worden. Die unbekannten bewaffneten Männer hätten sie in eine unbekannte Richtung mitgenommen. In einem weiteren Schreiben vom 25. April 2003 an den stellvertretenden Vorsitzenden der Regierung der Tschetschenischen Republik berichtet die Mutter, ihr Sohn sei mit dem Beifahrer mittags weggefahren, um eine Kuh zu kaufen. Später hätten sie und ihre Angehörigen erfahren, dass die beiden in der Siedlung Samaschki in der R.straße bei jemandem mit den Namen Ahmed und Taus gewesen seien. Auf der Rückfahrt seien sie neben der zerstörten Brücke von Militärangehörigen auf zwei Panzermannschaftswagen festgenommen worden.
Die Darstellung des Klägers zu 1 über die Entführung in der mündlichen Verhandlung weicht hiervon so erheblich ab, dass sie als in wesentlichen Punkten unstimmig und gesteigert und damit als unglaubhaft angesehen werden muss. Der Kläger zu 1 konnte diese Widersprüche auf Vorhalt des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung auch nicht plausibel erklären. Seine Einlassung, seine Mutter sei der russischen Sprache nicht mächtig, die Schreiben seien ihr vorformuliert worden, ohne dass sie deren Inhalt richtig verstanden habe, und es sei ihr nahegelegt worden, es so darzustellen, als seien zwei Personen entführt worden, weil es „besser klingen“ würde, überzeugt nicht. Die Entführung am Rande der Ortschaft und nicht im Haus der Mutter ist nicht nur von dieser durchgehend so dargestellt worden, sondern auch vom Kläger zu 1 selbst im bereits erwähnten Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 18. März 2013. Auch aus der von ihm in russischer Sprache und in deutscher Übersetzung vorgelegten Erwiderung des Vertreters des Verteidigungsministers der Russischen Föderation vom 27. März 2012 zu seiner Klage auf Schmerzensgeld im Zusammenhang mit der Entführung seines Bruders ergibt sich, dass der Kläger zu 1 die Entführung übereinstimmend mit den Äußerungen seiner Mutter dargestellt hatte.
Es erscheint auch nicht stimmig, dass der Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung einerseits ausdrücklich betont, er habe trotz der Bedrohungen über Jahre hinweg nach dem Verbleib seines Bruders geforscht und sich hierzu immer wieder an die verschiedensten Stellen einschließlich der Präsidenten der Russischen Föderation (Wladimir Putin) und der Tschetschenischen Republik (Ramsan Kadyrow) gewandt, andererseits aber seine der russischen Sprache nicht mächtige Mutter aus Angst nicht zur Anzeigenerstattung begleitet, was zur Folge gehabt habe, dass der Sachverhalt in der Anzeige anders dargestellt worden sei. Zumindest hätte es dann aber nahe gelegen, eine solche unzutreffende Sachverhaltsdarstellung in der Anzeige, von der die Mutters des Klägers zu 1 eine Kopie erhalten hat, nachträglich schriftlich zu korrigieren.
Das Gericht glaubt dem Kläger zu 1 die in der mündlichen Verhandlung geschilderte Version der Entführung daher nicht. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass der Kläger zu 1 durch die jetzige Schilderung der Entführung aus dem Haus in seiner Anwesenheit versucht hat, sich abweichend von seiner bisherigen Einlassung selbst als Opfer oder Beinahe-Opfer darzustellen. Diese Steigerung des Vorbringens erscheint dem Gericht jedoch unglaubhaft.
b) Auch die Schilderungen des Klägers zu 1 hinsichtlich der Vorkommnisse im Zusammenhang mit der Suche nach seinem Bruder weichen erheblich voneinander ab. In der mündlichen Verhandlung hat er ausgeführt, er selbst sei im Februar 2006 oder 2007 mitgenommen und für zwei Tage in ein Loch mit Wasser gesteckt worden, das bis zu seinem Oberkörper gereicht habe. Auch in den Jahren danach seien die Militärkräfte immer wieder zu ihnen nach Hause gekommen und hätten Forderungen gestellt, wenn auch nicht jeden Monat. Eines Nachts im Jahr 2011 hätten sie ihn in einem Auto mitgenommen und ihn dann später rausgeworfen. Im Juli 2012 seien wieder bewaffnete Kräfte in ihr Haus eingedrungen. Danach hätten sie sich zur Flucht entschlossen.
Demgegenüber hatte der Kläger zu 1 bisher zwar von zahlreichen Übergriffen ab dem Jahr 2003, aber lediglich von insgesamt drei herausgehobenen Vorfällen in den Jahren 2006 und 2012 berichtet und diese auch anders dargestellt. So ließ er durch seinen Prozessbevollmächtigten in dessen Schriftsatz vom 18. März 2013 vortragen, er sei an einem Abend im März 2006 bei sich zu Hause von bewaffneten und maskierten Männern abgeholt und mit einem Fahrzeug abtransportiert worden. Er habe am 6. Februar 2012 Schadensersatzklage gegen die Russische Föderation erhoben, was sofort weitere Repressalien nach sich gezogen habe. In der Nacht auf den 8. Juli 2012 seien maskierte bewaffnete Personen zu ihm nach Hause gekommen, hätten ihn mitgenommen und zusammengeschlagen. Der nächste Zwischenfall habe sich in der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 2012 ereignet.
Auch bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 21. August 2014 hat der Kläger zu 1 von einem Vorkommnis am 27. Februar 2006 und zwei Übergriffen im Juli 2012 berichtet. Auf Frage nach Vorkommnissen zwischen 2006 und 2012 gab er an, seit 2006 sei nichts mehr passiert, aber 2012, als er geklagt habe, seien sie wieder gekommen.
Hiermit steht die jetzige Darstellung in der mündlichen Verhandlung nicht in Einklang. Es stellt einen erheblichen Unterschied dar, ob in der Zeit zwischen 2006 und 2012 „nichts mehr passiert“ ist oder ob – wie nunmehr behauptet – die Militärkräfte auch nach 2006 immer wieder zu den Klägern gekommen sind und Forderungen gestellt haben, wenn auch nicht jeden Monat. Legt man die erste Version zugrunde, waren die Ereignisse vor 2012 aufgrund der großen zeitlichen Zäsur keinesfalls fluchtauslösend, während bei durchgehenden, wenn auch vorübergehend weniger intensiven Übergriffen ein zu berücksichtigender zeitlicher Zusammenhang ohne relevante Unterbrechung bestünde.
c) Eine weitere auffällige Diskrepanz zwischen dem bisherigen Vorbringen und der Einlassung des Klägers zu 1 in der mündlichen Verhandlung ergibt sich seiner jetzigen Behauptung, er habe die Schadensersatzklage nicht erst 2012, sondern bereits 2010 eingereicht, und sei auch im Jahr 2011 von den Männern in einem Auto mitgenommen worden. Seine Erklärung nach Vorhalt durch den Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung, die Übersetzung der Anhörung beim Bundesamt sei fehlerhaft gewesen, überzeugt nicht. Abgesehen davon, dass der Kläger zu 1 der Niederschrift zufolge ausdrücklich bestätigt hat, es habe bei der Anhörung am 21. August 2014 keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben, und dass ihm die Niederschrift rückübersetzt wurde, hat er die dort dargestellte zeitliche Abfolge der Ereignisse auch durch seinen Prozessbevollmächtigten durchgehend so vortragen lassen, und zwar auch noch in der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung vom 2. Juli 2018 und in der Berufungsbegründung vom 3. Oktober 2018.
d) Das Gericht hält die Abweichungen für so gravierend, dass die Glaubhaftigkeit der Schilderung und die Glaubwürdigkeit des Klägers zu 1 hierdurch schwer erschüttert sind.
Es mag sein, dass dessen Bruder im Jahr 2002 – aus welchen Gründen auch immer – von unbekannten Personen entführt wurde. Nach dem EASO Informationsbericht ‚Russische Föderation – Schutz bietende staatliche Akteure‘ vom März 2017 (S. 83 m.w.N.) wird geschätzt, dass in Tschetschenien in den Jahren 1999 bis 2003 zwischen 3.000 und 5.000 Menschen „verschwanden“. Ebenso mag es zutreffen, dass die Kläger, insbesondere der Kläger zu 1 und seine Mutter, über viele Jahre hinweg erhebliche Anstrengungen unternommen haben, damit der Verbleib des Bruders bzw. Sohnes aufgeklärt wird und die hierfür Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, und dass sie deshalb Schwierigkeiten bekommen haben. Dem EASO Informationsbericht ‚Russische Föderation – Schutz bietende staatliche Akteure‘ zufolge besagen mehrere Quellen, dass Behörden Personen aktiv bedrohen, die ihre Rechte gegen die Regierung oder einflussreiche Personen geltend machen. Familien von Verschwundenen befänden sich in einem besonderen Dilemma: Einerseits würden sie verzweifelt nach ihren Angehörigen suchen, andererseits könne es ein Risiko für sie darstellen, sich an die Behörden zu wenden oder eine Beschwerde einzureichen. Der Regierung stünden diverse Methoden zur Verfügung, um die Opfer von Menschenrechtsverletzungen zum Schweigen zu veranlassen. In Berichten würden Todesdrohungen, die Androhung der Vergewaltigung weiblicher Verwandter, die Denunziation als Prostituierte oder Drogenabhängiger, fingierte Anschuldigungen und tätliche Angriffe erwähnt (EASO Informationsbericht ‚Russische Föderation – Schutz bietende staatliche Akteure‘ S. 88 f. m.w.N.). Das Gericht hält es deshalb durchaus für möglich, dass die Kläger Repressalien erlebt haben. Aufgrund der Unstimmigkeiten und Widersprüche ihres Vorbringens ist es jedoch nicht hinreichend davon überzeugt, dass ihre Schilderungen im Einzelnen der Wahrheit entsprechen.
2. Unabhängig davon sprechen stichhaltige Gründe im Sinne von Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU dagegen, dass die Kläger im Falle einer Rückkehr in ihre Heimat zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch vergleichbare Repressalien zu befürchten hätten. Die Entführung des Bruders des Klägers zu 1 liegt mehr als 17 Jahre zurück. Die Kläger sind vor ca. sieben Jahren ausgereist. Abgesehen von den Vorkommnissen im Zusammenhang mit der Suche nach dem Bruder haben sie über keinerlei Schwierigkeiten mit staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren berichtet. Sie haben die Suche nach dem Bruder seit ihrer Ausreise auch nicht weiter betrieben, sondern offenbar aufgegeben. Über ihre noch in der Heimat lebenden Angehörigen, zu denen noch Kontakt besteht, haben sie jedenfalls nichts über weitere Nachstellungen seit ihrer Ausreise erfahren. Es ist auch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen ihnen nach so langer Zeit im Falle der Wiedereinreise nach Tschetschenien noch ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen sollte.
3. Im Übrigen – und die Entscheidung selbständig tragend – müssen sich die Kläger auf die Möglichkeit verweisen lassen, sich gegebenenfalls an einem anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens niederzulassen.
a) Dem Ausländer wird subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor der Gefahr eines ernsthaften Schadens oder wenn er dort Schutz vor einem ernsthaften Schaden hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG).
Eine zumutbare inländische Fluchtalternative setzt voraus, dass die voraussichtlichen Lebensbedingungen dort nicht gegen Art. 3 EMRK verstoßen. In wirtschaftlicher Hinsicht scheidet die Zumutbarkeit grundsätzlich nur und erst dann aus, wenn das zu einem menschenwürdigen Leben erforderliche wirtschaftliche Existenzminimum auf einfachem Niveau nicht mehr erreichbar ist, d.h. wenn die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen am Ort der inländischen Fluchtalternative weder durch eine ihm zumutbare Beschäftigung noch auf sonstige Weise gewährleistet ist (BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 u.a. – NVwZ 2017, 1531 Rn. 114 ff.). Ein verfolgungssicherer Ort bietet erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich immer dann, wenn sie dort durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können (BVerwG, B.v. 17.5.2006 – 1 B 100.05 – juris Rn. 11; U.v. 1.2.2007 – 1 C 24.06, NVwZ 2007, 590 Rn. 11). Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten als Tätigkeiten im Bereich einer „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ bezeichnet werden. Des Weiteren geht das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sowohl die mögliche Unterstützung durch Verwandte im In- oder Ausland als auch sonstige Hilfen, also auch nichtstaatliche, in die gerichtliche Prognose mit einzubeziehen sind (vgl. BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 u.a. – NVwZ 2017, 1531 Rn. 119).
b) Gemessen daran geht der Senat im Einklang mit der Beklagten und dem Ausgangsgericht davon aus, dass es den Klägern – wie zahlreichen anderen tschetschenischen Volkszugehörigen auch – trotz etwaiger Anfangsschwierigkeiten möglich und zumutbar wäre, außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation Zuflucht zu suchen und dort den Lebensunterhalt zu sichern.
aa) Nach dem jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 13. Februar 2019 (Stand Dezember 2018) können Personen aus dem Nordkaukasus grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Tschetschenen stehe wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zur Verfügung. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten sei stark angewachsen. Allein in Moskau sollen ca. 200.000 Tschetschenen leben. Sie träfen allerdings immer noch auf antikaukasische Stimmungen. Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments richteten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten. „Racial profiling“ sei bei den Behörden verbreitet. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasischen aussehenden Personen sei erheblich.
Dem EASO-Informationsbericht ‚Die Situation der Tschetschenen in Russland‘ vom August 2018 ist zu entnehmen, dass die tschetschenischen Gemeinschaften über ganz Russland verteilt sind. Als russische Staatsangehöriger hätten sie das Recht, in Russland an einem Ort ihrer Wahl zu leben, und hätten die gleichen Berechtigungen wie jeder andere russische Bürger. Sie könnten demnach das Sozialsystem und das kostenlose Gesundheitssystem in Anspruch nehmen und bei den russischen Behörden die erforderlichen Unterlagen und die Anmeldung beantragen. In der Praxis komme es zwar zu Diskriminierungen von Tschetschenen. Es gebe allerdings keine Anzeichen dafür, dass es russische Behörden systematisch auf russische Bürger abgesehen hätten, die entweder aus dem Ausland zurückkehrten oder Asyl beantragt hätten. Mutmaßliche Aufständische seien jedoch bei ihrer Rückkehr wahrscheinlich Repressionen ausgesetzt. In Moskau seien die Tschetschenen in Autounternehmen sowie in Hotel- und Gastronomiebetrieben präsent und besäßen oft auch Tankstellen. Sie zögen es häufig vor, ihre Volksgenossen als Mitarbeiter anzustellen. Zwar sei das Anmeldungsverfahren für Personen aus dem Kaukasus möglicherweise komplizierter als für russische Staatsangehörige aus anderen Teilen des Landes, jedoch stelle die Anmeldung für Tschetschenen in der Regel kein Problem dar. Selbst wenn sie diskriminiert würden oder einem korrupten Verhalten seitens der Beamten ausgesetzt seien, erhielten sie letztendlich ihre Anmeldungen.
Auch das Länderinformationsblatt ‚Russische Föderation‘ des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (Gesamtaktualisierung 31.8.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 28.2.2019) berichtet, dass Tschetschenen überall in der Russischen Föderation leben, die meisten von ihnen in Moskau, in Inguschetien, in der Region Rostow, in Stawropol Krai, in Dagestan, in der Region Wolgograd und in der Region Astrachan. Das Bundesverwaltungsgericht geht ebenfalls davon aus, dass es Tschetschenen letzten Endes immer gelinge, auch ohne ein Bestechungsgeld eine Registrierung zu erhalten und eine Bleibe zu finden, weil es keine Obdachlosen Tschetschenen etwa in Moskau gebe; üblicherweise gelinge dies mit der Hilfe von Freunden oder Verwandten (BVerwG, U.v. 27.3.2018 – 1 A 4.17 – juris Rn. 135 f.).
In Tschetschenien gesuchte Personen sind zwar auch außerhalb der Teilrepublik nicht vor Nachstellungen durch die Sicherheitskräfte des Präsidenten und „Oberhaupts“ der Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, sicher. Auch wenn die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter seiner unmittelbaren Kontrolle steht, können kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sollen etwa auch in Moskau präsent sein. Außerdem können die regionalen Strafverfolgungsbehörden Menschen auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Derartige Maßnahmen setzen allerdings voraus, dass die Betreffenden ins Visier der tschetschenischen Machthaber geraten sind (vgl. EASO-Informationsbericht ‚Die Situation der Tschetschenen in Russland‘, S. 49 ff.; Länderinformationsblatt ‚Russische Föderation‘ des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, S. 81 ff.; Halbach, Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation, S. 19 f., 26 ff.; ausführlich Galeotti, License to kill? The risk to chechens inside Russia, Juni 2019).
bb) Hiervon ausgehend ist es den Klägern zuzumuten, sich gegebenenfalls an einem anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens niederzulassen. Der Kläger zu 1 hat nach eigenem Bekunden vor seiner Ausreise als Autolackierer und auf dem Bau gearbeitet. Der Senat geht deshalb davon aus, dass es ihm möglich ist, nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten den Lebensunterhalt für sich und seine Familie auf einfachem Niveau zu sichern. Die Kläger, insbesondere der Kläger zu 1, standen auch nach ihrem Vorbringen zu keinem Zeitpunkt in Verdacht, selbst gegen die russischen Streitkräfte in Tschetschenien oder gegen die dortigen Machthaber gekämpft zu haben. Sie haben auch sonst nichts berichtet, woraus sich ergeben würde, dass die tschetschenischen Machthaber Anlass hätten, ihrer habhaft zu werden. Bei einer Niederlassung in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens hätten die Kläger somit ebenso wenig wie in Tschetschenien selbst mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einen ernsthaften Schaden zu befürchten. Insbesondere bestehen – wie bereits ausgeführt – keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die von ihnen geschilderten Bedrohungen im Falle einer Niederlassung an einem anderen Ort mehr als sieben Jahre nach der Ausreise wiederholen würden.
IV.
Schließlich sind auch die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG nicht erfüllt.
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 9). Sind Armut und staatliche Mittel ursächlich für schlechte humanitäre Bedingungen, kann dies nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“ zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. EGMR, U.v. 28.6.2011 – 8319/07 – NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f.; BVerwG U.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – NVwZ 2019, 61 Rn. 9 unter Verweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167 Leitsatz 3 und Rn. 23; VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 82 ff. m.w.N.).
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Allerdings kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 = juris Rn. 31 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und – wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK – zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.
2. Für die Kläger ist weder in Tschetschenien noch an einem anderen Ort der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG anzunehmen. Es ist ihnen – wie bereits ausgeführt – möglich und zumutbar, sich an einem Ort ihrer Wahl in der Russischen Föderation niederzulassen. Der Kläger zu 1 kann einer Erwerbstätigkeit nachgehen und hierdurch den Lebensunterhalt seiner Familie sicherstellen. Gesundheitliche Gründe, die einer Rückkehr in ihr Heimatland entgegenstehen könnten, haben die Kläger nicht (mehr) geltend gemacht.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
VI.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.
VII.
Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

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