Aktenzeichen M 11 S7 16.32544
Leitsatz
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger der Republik Senegal vom Volk der Wolof.
Er stellte unter dem 16. November 2015 einen Asylantrag.
In der Anhörung am 8. März 2016 beim Bundesamt für … (im Folgenden: Bundesamt) gab der Antragsteller an, er habe seine Heimat wegen seiner Religionszugehörigkeit verlassen. Er sei Moslem gewesen und zum Christentum konvertiert. Sein Vater habe ihm daher Probleme gemacht. Seine Stiefmutter und sein Vater hätten ihn aus dem Haus geworfen. Er sei bei einem christlichen Freund in Dakar untergekommen. Er sei im letzten Dezember krank geworden. Es sei etwas mit den Füßen. Er könne nicht lange laufen.
Mit Bescheid vom 11. Mai 2016 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.) und auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) als offensichtlich unbegründet ab, lehnte den Antrag auf subsidiären Schutz ab (Ziffer 3.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4.) und drohte dem Antragsteller mit einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung in den Senegal an (Ziffer 5.). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Ziffer 6.). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 7.).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen offensichtlich nicht vor. Der Antragsteller stamme aus dem Senegal, einem sicheren Herkunftsstaat. Aus seinem Vorbringen sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung, noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Da es dem Antragsteller nicht gelungen sei, die Regelvermutung des § 29a AsylG zu widerlegen, sei der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen.
Der Antragsteller habe vorgetragen, er sei ausschließlich von seiner Familie verfolgt worden, da er seine Religion gewechselt habe. Dies entspreche keiner Verfolgung nach § 3 AsylG. Es gebe im Senegal keine staatliche Verfolgung aufgrund der Religionszugehörigkeit.
Aus den vorliegenden Erkenntnissen und unter Hinweis auf die Ausführungen zum Flüchtlingsschutz seien keine Anhaltspunkte erkennbar, welche die Annahme rechtfertigten, dem Antragsteller drohe bei Rückkehr nach Senegal ein ernsthafter Schaden. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Senegal führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Es bestünden somit keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller nicht im Stande sein werde, sich bei einer Rückkehr nach Senegal eine zumindest existenzsichernde Grundlage zu schaffen.
Es drohe dem Antragsteller auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Aus den ärztlichen Attesten gehe nicht hervor, dass sich der Gesundheitszustand bei Rückkehr in den Senegal wesentlich verändern würde. Die benötigten Medikamente seien in Dakar vorhanden.
Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf zehn Monate ab dem Tag der Ausreise befristet. Anhaltspunkte für schutzwürdige Belange, insbesondere für eine kürzere Fristsetzung, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG werde gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Diese Befristung sei angemessen, schutzwürdige Belange seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Laut Akte wurde der Bescheid am 12. Mai 2016 an den Antragsteller versandt und am 14. Mai 2016 per PZU zugestellt.
Am 17. Mai 2016 erhob der Antragsteller Klage und stellte einen Eilantrag.
Er verweise auf seine Atteste und gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Am 20. Mai 2016 legte die Antragsgegnerin die Akten vor, ohne einen Antrag zu stellen.
Mit Beschluss vom 3. Juni 2016 wurde der Eilantrag im Verfahren M 11 S 16.31105 abgelehnt.
Mit Schreiben vom 17. August 2016 legte er weitere Atteste vor.
Am 26. August 2016 stellte der Antragsteller einen weiteren Eilantrag und beantragte, unter Abänderung des Beschlusses vom 3. Juni 2016 die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurden weitere Arztberichte vorgelegt.
Das Bundesamt legte die Akten vor, ohne sich weiter zu äußern.
Am 6. September 2016 wurde ein vorläufiger Arztbrief vorgelegt, der über einen stationären Aufenthalt vom 29. August 2016 bis 6. September 2016 berichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten zu Eil- und Klageverfahren und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Es liegen keine veränderten Umstände vor, die die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage rechtfertigen würden (§ 80 Absatz 7 Satz 2 VwGO).
Nach Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen, in denen der Asylantrag und der Antrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sind, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Solche liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (grundlegend zur Ablehnung des Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“ und zum Umfang der gerichtlichen Prüfung: BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/189 ff. = juris Rn. 86 ff.). Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann. Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung in § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Im Hinblick auf die vorgetragene Krankheit des Antragstellers liegt kein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf den Senegal vor.
Gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung abgesehen werden, wenn für den Ausländer im Zielstaat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Maßgebend ist insoweit allein das Bestehen einer konkreten, individuellen – zielstaatsbezogenen – Gefahr für die genannten Rechtsgüter, ohne Rücksicht darauf, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Ursachen sie beruht. Diese Gefahr muss dem Einzelnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, wobei im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der „konkreten“ Gefahr für „diesen“ Ausländer als zusätzliches Erfordernis eine einfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefahrensituation hinzutreten muss, die überdies landesweit droht. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann sich im Einzelfall zwar auch daraus ergeben, dass die Gefahr der Verschlimmerung einer Krankheit, unter welcher der Ausländer bereits in Deutschland leidet, im Heimatstaat besteht, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Für die Bestimmung der Gefahr gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, das heißt die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Zuständen (zum Ganzen: BVerwG, B.v. 24.05.2006 – 1 B 118/05 – juris). Durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) wurden hinsichtlich des krankheitsbedingten zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses durch § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG zusätzlich folgende Bestimmungen getroffen: Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Im Fall des Antragstellers liegen die Voraussetzungen eines solchen krankheitsbedingten zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Sätze 1 bis 4 AufenthG indes nicht vor.
Der Vortrag des Antragstellers ist nicht geeignet, eine dem Maßstab des § 60 Abs. 7 Satz 1 bis 4 AufenthG entsprechende gesundheitliche Gefahrensituation zu begründen.
Nach dem vorgelegten Attest vom 6. September 2016 liegt eine deutliche Besserung der Beschwerden vor. Es werde eine ambulante Wiedervorstellung in 6 bis 8 Wochen erbeten. Während der ersten 12 Monate sollten starke Biege- und Torsionsbewegungen und das Tragen von über 15 kg vermieden werden.
Als Medikamente wurden Ibuprofen 400 mg (Schmerzmittel) und Pantozol 40 mg (Magenmittel) verschrieben. Pantozol wurde begleitend zur Schmerzmedikation verschrieben. Dem Gericht ist bekannt, dass manche Patienten aufgrund von Ibuprofen Magenprobleme bekommen, weswegen vorbeugend Pantozol verabreicht wird.
Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes ist das Angebot von Medikamenten umfassend. Ibuprofen 400 mg und Pantozol 40 mg sind Standardmedikamente. Ibuprofen 400 mg ist in Deutschland ohne Rezept in der Apotheke erhältlich, Pantozol bis 20 mg ist in Deutschland ohne Rezept in der Apotheke erhältlich. Diese oder vergleichbare Medikamente dürften im Senegal ebenso vorhanden sein.
Der Antragsteller hat nicht nachgewiesen, dass eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (§ 60 Absatz 7 Satz 2 und § 60 a Absatz 2 c AufenthG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).