Aktenzeichen M 17 S 16.33436
Leitsatz
Ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG erfordert, dass aufgrund der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat eine vorhandene Erkrankung sich in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen ihre Abschiebung in den Kosovo. Die Antragstellerin ist kosovarische Staatsangehörige, albanischer Volkszugehörigkeit und muslimischer Glaubensrichtung. Sie reiste nach ihren eigenen Angaben im August 2012 aus ihrer Heimat zunächst nach Frankreich und stellte dort am 3. September 2012 einen Asylantrag, der von den französischen Behörden vollumfänglich abgelehnt wurde.
Die Antragstellerin reiste in der Folge am … November 2013 in die Bundesrepublik Deutschland weiter und stellte am 2. Dezember 2013 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag. Am … Dezember 2013 hörte das Bundesamt – Außenstelle … – die Antragstellerin persönlich an. Die Antragstellerin gab dabei unter anderem an, sie sei am … März 2011 im Hausflur beinahe vergewaltigt worden. Sie habe den Täter durch ihr Schreien vertreiben können. Wegen dieses Vorfalls habe sie ihr Kind im 4. Schwangerschaftsmonat verloren. Sie sei deswegen im Kosovo im Krankenhaus gewesen. Die Polizei habe sie nicht aufgesucht. Im August 2012 sei in ihr Haus eingebrochen worden. Die Antragstellerin habe daraufhin mit ihrem Mann den Kosovo verlassen und sei nach Frankreich ausgereist. Dort hätten sie Asylanträge gestellt, die abgelehnt worden seien. Die Antragstellerin habe sich nach dem Verlust des ungeborenen Kindes in Kosovo, Frankreich und Deutschland in psychiatrischer Behandlung begeben. Eine fachärztliche Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dipl. Psych. … vom … November 2015 wurde vorgelegt.
Mit am 5. Oktober 2016 zugestellten Bescheid vom 4. August 2016 lehnte das Bundesamt die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2), und forderte die Antragstellerin zum Verlassen des Bundesgebiets innerhalb einer Woche auf, anderenfalls würden sie in den Kosovo abgeschoben (Nr. 3). Ferner befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbote gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4). Zur Begründung führte das Bundesamt aus, dass sich die von der Antragstellerin vorgetragene Begründung auf Ereignisse bezieht, welche sich vor Ausreise aus ihrem Heimatland und Asylantragstellung in Frankreich ereignet haben sollen. Die geltend gemachten Erkrankungen der Antragstellerin seien im Heimatland behandelbar. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sei angemessen, da Anhaltspunkte für eine kürzere Fristsetzung nicht vorlägen.
Mit ihrer am 10. Oktober 2016 beim Verwaltungsgericht München eingegangenen Klage beantragt die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigten, den Bescheid vom 4. August 2016 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus sowie Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, ferner die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gem. § 11 Abs. 1 AufenthG zu reduzieren.
Zudem wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung der Antragsgegnerin anzuordnen.
Die Antragsgegnerin übersandte mit Schreiben vom 12. Oktober 2016 die Behördenakte und stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Klageverfahren M 17 K 16. 33435 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), § 75 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG), über den gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG der Einzelrichter zu entscheiden hat, ist nicht begründet.
Das Gericht ordnet gemäß § 71a Abs. 1 i. V. m. § 36 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO im Falle der durch das Bundesamt verfügten Ablehnung der Durchführung eines Zweitverfahrens die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die – sofort vollziehbare (vgl. §§ 71a Abs. 1, 36 Abs. 3, 75 Satz 1 AsylG) – Abschiebungsandrohung nur dann an, wenn das persönliche Interesse des Asylbewerbers, von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung übersteigt. Die Aussetzung der Abschiebung darf gemäß § 71a Abs. 1 i. V. m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinn liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme – die der sofortigen Aufenthaltsbeendigung zugrunde liegende Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens – einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.
Unter Beachtung dieser Grundsätze muss der vorliegende Eilantrag ohne Erfolg bleiben. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamtes, das Vorliegen eines Zweitantrags anzunehmen und für die Antragstellerin kein weiteres Asylverfahren durchzuführen.
Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), so ist nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen. Die Eingangsvoraussetzungen des § 71a AsylG, dessen Anwendbarkeit Unionsrecht nicht entgegen steht (VG Berlin, B. v. 17.7.2015 – 33 L 164/15.A – juris Rn. 10 ff.; VG München, U. v. 7.2.2013 – M 11 K 12.30661 – juris Rn. 21; a.A. Marx, AsylG, 8. Aufl. (2014), § 71a Rn. 3 ff.), sind vorliegend erfüllt. Zum einen ist das vorhergehende Asylverfahren der Antragstellerin in Frankreich in der Sache erfolglos geblieben, indem ihr dort jeglicher Schutz versagt worden ist. Zum anderen handelt es sich bei der Republik Frankreich als Mitgliedstaat der Europäischen Union auch um einen sicheren Drittstaat im Sinne von § 26a AsylG.
1.1. Es bedarf danach für die Durchführung weiterer Asylverfahren gemäß § 71a AsylG der Erfüllung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, was indes vorliegend nicht der Fall ist. Die Antragstellerin hat weder im Verfahren vor dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren Umstände vorgetragen, die einen Wiederaufgreifensgrund nach § 71a Abs. 1 AsylG i. V. m. § 51 VwVfG begründen könnten. Vielmehr hat sie allein Umstände geltend gemacht, die sie entweder bereits im französischen Asylverfahren hätte vortragen können oder jedenfalls im Hinblick auf die Zuerkennung internationalen Schutzes keine günstigere Entscheidung herbeizuführen vermögen. Im Übrigen wird insoweit entsprechend § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Erwägungen im angegriffenen Bescheid verwiesen.
1.2. Das Bundesamt hat auch zu Recht keine Abschiebungsverbote im Sinne von § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG zugunsten der Antragstellerin festgestellt.
Nach dem Vortrag der Antragstellerin scheidet ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG von vorneherein aus. Insoweit wird entsprechend § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Erwägungen im angegriffenen Bescheid verwiesen.
Gleiches gilt auch mit Blick auf die von der Antragstellerin zur Begründung eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beim Bundesamt geltend gemachter Umstände. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis kann aber gegeben sein, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d. h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B. v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a – juris; BayVGH, U. v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NW, B. v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56). Diese Rechtsprechung hat nunmehr auch in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG seinen Niederschlag gefunden, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vorliegt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Demnach kann hier von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis nicht ausgegangen werden:
Psychische Erkrankungen können im Kosovo grundsätzlich behandelt werden. Laut Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 9. Dezember 2015 (S. 25ff.) wird die Behandlung von psychischen Erkrankungen im öffentlichen Gesundheitssystem in neun regionalen Gesundheitszentren durchgeführt. Patienten, die einer stationären Behandlung bedürfen, werden in den vier Regionalkrankenhäusern in den Abteilungen für stationäre Psychiatrie sowie in der Psychiatrischen Klinik der Universitätsklinik … behandelt. In diesen Regionalkrankenhäusern stehen ausreichende Bettenkapazitäten zur Verfügung. Freiwillige Rückkehrer sowie Zurückgeführte aus Deutschland können bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung/Traumatisierung unmittelbar nach ihrer Ankunft kostenlos die Hilfs- und Unterstützungsleistungen des Kosovo-Rückkehrerprojekts „URA II“ bzw. Eingliederungshilfen einschließlich Beratungen und psychologische Betreuung durch die Rückkehrerprojekte der NRO „Diakonie …“ oder der Arbeiterwohlfahrt in Anspruch nehmen. Schließlich gab die Antragstellerin auch selbst an, sich im Kosovo in medizinischer Behandlung befunden zu haben.
Zwar könnte der Kläger bei einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet wohl eine bessere gesundheitliche Versorgung erlangen. Wie in § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG jedoch ausdrücklich klargestellt ist, ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Der Abschiebungsschutz des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gewährleistet nicht die Heilung oder bestmögliche Linderung von Krankheiten im Bundesgebiet, sondern „nur“, dass sich im Fall der Rückkehr in das Heimatland eine vorhandene Erkrankung nicht aufgrund der Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung oder aufgrund individuell eingeschränkten Zugangs zu Behandlungsmöglichkeiten in dem Zielstaat alsbald und in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führen würde. Ein Ausländer muss sich auf den Standard der Gesundheitsversorgung im Heimatland verweisen lassen, auch wenn dieser dem Niveau in Deutschland nicht entspricht (vgl. OVG NW, B. v. 27.7.2006 – 18 B 586/06; v. 14.6.2005 – 11 A 4518/02.A – juris).
1.3. Soweit sich die Klage darüber hinaus gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 AufenthG in Ziffer 4 des Bescheides richtet, ist der Antrag ebenfalls jedenfalls unbegründet. Über die Dauer der Befristung dieses zwingend mit der Abschiebungsandrohung festzusetzenden Verbotes entscheidet die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Die Entscheidung, die von Amts wegen vorzunehmende Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes ab dem Tag der Abschiebung auf 36 Monate festzulegen und damit im mittleren Bereich des von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG für den Regelfall aufgezeigten Rahmens anzusiedeln, lässt keine Ermessensfehler gemäß § 114 Satz 1 VwGO erkennen. Umstände, die eine weitere Reduzierung angezeigt erscheinen lassen würden, sind nicht ersichtlich.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
…