Aktenzeichen M 12 S 16.32873
AsylG AsylG § 36 Abs. 3, § 67 Abs. 1 Nr. 4
Leitsatz
Eine Abschiebungsandrohung in den “Herkunftsstaat” ist weder vollziehbar, noch führt sie zu einer Verschlechterung der Rechtsposition hinsichtlich des Aufenthaltsstatus. Ein Eilantrag gegen eine solche Abschiebungsandrohung ist daher mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist eigenen Angaben zufolge eritreische Staatsangehörige und reiste wiederum nach eigenen Angaben am … September 2015 auf dem Landweg in das Bundesgebiet ein. Sie stellte am 8. Februar 2016 einen Asylantrag.
Bei ihrer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erklärte die Antragstellerin am 25. Februar 2016 im Wesentlichen, sie sei in …Eritrea geboren und habe Eritrea mit vier Jahren mit ihrer Mutter Richtung Sudan verlassen. Ihr Vater sei in Eritrea geblieben. Nach zwei Jahren sei ihre Mutter verstorben. Sie sei von einer Freundin der Mutter im Sudan aufgezogen worden. Diese habe ihr aus der Zeit in Eritrea erzählt. Sie selbst könne sich daran nicht erinnern. Im Sudan habe sie ca. zwei Jahre als Raumpflegerin gearbeitet. Zwei- oder dreimal sei sie durch den Ehemann der Freundin der Mutter sexuell missbraucht worden, als sie ca. 16 Jahre alt gewesen sei. Deshalb habe sie nicht im Sudan bleiben können. Was vor der Ausreise aus Eritrea passiert sei, könne sie nicht sagen. Sie sei mit ihrer Mutter ausgereist, mit der sie darüber nicht gesprochen habe. Die Freundin der Mutter habe gelegentlich etwas erzählt, etwa dass ihr Vater inzwischen verstorben sei. Mehr könne sie zu Eritrea nicht erzählen. Sie habe keine Kenntnis, ob ihre Familie noch in Eritrea lebe. Sie habe in Eritrea niemanden und käme dort allein nicht zurecht. Sie gehe davon aus, dass man sie im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea ins Gefängnis sperren würde. Sie habe sich im Ausland aufgehalten, sei illegal gewesen und wäre illegal, wenn sie zurückkehre.
Mit Bescheid vom 2. September 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und den Antrag auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab und verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Die Antragstellerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung in den Herkunftsstaat oder in einen anderen Staat angedroht, in den die Antragstellerin einreisen darf oder der zu ihrer Rücknahme verpflichtet ist. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate befristet.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass die Antragstellerin im Heimatland eine Gefahr politischer Verfolgung gedroht habe bzw. bei Rückkehr drohe. Insbesondere habe sie keine individuellen Gründe für ihre Ausreise aus Eritrea geltend gemacht, vielmehr sei sie mit ihrer Mutter ausgereist, während der Vater zurückgeblieben sei. Dass die Antragstellerin weder mit ihrer Mutter noch mit deren Freundin über die Gründe für die Ausreise aus Eritrea gesprochen haben wolle, obgleich das Verlassen des Heimatlandes eine so wesentliche Veränderung in ihrem Leben bedeutet habe, sei nicht nachvollziehbar. Gleiches gelte für ihr offenkundiges Desinteresse, sich über das Land ihrer angeblichen Herkunft zu informieren. Das Vorbringen sei auch aus dem Grund nicht glaubhaft, da die Einreise ins Bundesgebiet ohne eigene Legitimationspapiere erfolgt sein soll. Zudem seien keine Unterlagen, aufgrund derer die Identität oder die Richtigkeit der Angaben bzgl. des Heimatlandes überprüft werden könnten, vorgelegt worden. Der Vortrag sexuellen Missbrauchs könne nicht zur Gewährung von Flüchtlingsschutz führen. Der Grund für das Verlassen des Sudans sei oberflächlich und detailarm dargestellt worden. Die Angaben seien weit davon entfernt, ein lebensnahes, nachvollziehbares Bild der Geschehnisse zu zeichnen. Einen Umzug innerhalb des Sudans habe die Antragstellerin offenbar nicht in Betracht gezogen oder in sonstiger Weise versucht, sich vor weiteren Übergriffen zu schützen. Insgesamt werde der Eindruck erweckt, dass sich die Antragstellerin aus wirtschaftlichen Gründen aufgemacht habe, den Sudan zu verlassen. Eine Verfolgung sei in keiner Weise glaubhaft gemacht worden. Die Würdigung aller Umstände führe nicht zur Überzeugung, dass die Antragstellerin die eritreische Staatsangehörigkeit tatsächlich besitze. Die Antragstellerin habe keine Personaldokumente oder Nachweise vorlegen können, dass ihre Eltern aus Eritrea stammten. Auch spreche die Antragstellerin nur Amharisch, aber kein Tigrina. Dies sei vor dem Hintergrund, dass sie sich auf die Volkszugehörigkeit der Tigrina berufe und mit ihrer Mutter bis zu deren Tod sechs Jahre zusammengelebt habe, nicht nachvollziehbar, zumal die Antragstellerin bis zum vierten Lebensjahr und damit in den prägenden Jahren für das Erlernen einer Sprache in Eritrea gelebt habe. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wieso sie sich nie über ihr angebliches Herkunftsland oder ihre Abstammung informiert habe. Ebenso sei nicht nachvollziehbar, wieso der Antragstellerin die Gründe für die Ausreise ihrer Mutter aus Eritrea nicht einmal im Ansatz bekannt seien. Außerdem sei fraglich, wie es ihr durch eine lediglich zweijährige Tätigkeit als Raumpflegerin gelungen sein soll, eine ausreichend große Summe für ihre Ausreise anzusparen. Aufgrund der ungeklärten Staatsangehörigkeit müsse die Furcht vor Verfolgung und die Gefahr eines drohenden Schadens als nicht glaubhaft dargelegt angesehen werden. Ein unbegründeter Asylantrag sei als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täusche oder diese Angaben verweigere. Ein Abschiebungsverbot könne lediglich dann festgestellt werden, wenn im Zielstaat der Abschiebung die drohenden Gefahren bestünden. Die Antragstellerin habe keine glaubhaften Angaben zu ihrem Herkunftsstaat gemacht. Aufgrund dessen komme eine Abschiebung in das angebliche Herkunftsland Eritrea nicht in Betracht. Hinsichtlich anderer Staaten habe die Antragstellerin keine Gründe für die Annahme drohender Gefahren geltend gemacht. Der Antragstellerin sei die Abschiebung in den Herkunftsstaat anzudrohen gewesen, da aufgrund ungeklärter Staatsangehörigkeit keine konkrete Benennung des Ziellandes erfolgen könne. Die Abschiebungsandrohung enthalte daher nur einen unverbindlichen Hinweis. Vor Vollzug der Abschiebung sei der Zielstaat konkret zu bezeichnen. Anhaltspunkte für eine kürzere Fristsetzung seien weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Die Antragstellerin verfüge über keine wesentlichen Bindungen im Bundesgebiet.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom … September 2016, bei Gericht am selben Tag eingegangen, hat die Antragstellerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. September 2016 aufzuheben und festzustellen, dass die Antragstellerin asylberechtigt ist und die Flüchtlingseigenschaft, der subsidiäre Schutzstatus und Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig hat sie beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid stelle auf Erlebnisse ab, die der Antragstellerin im Sudan bzw. in Libyen widerfahren seien. Die Antragstellerin besitze jedoch die eritreische Staatsangehörigkeit. Die Ablehnung als offensichtlich unbegründet sei rechtswidrig.
Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 13. September 2016 die Behördenakte vorgelegt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig.
Mit dem Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses wird zum Ausdruck gebracht, dass nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat und beim Fehlen eines solchen Interesses das prozessuale Begehren als unzulässig abgewiesen werden muss (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, vor § 40 Rn. 30).
Für den vorliegenden Antrag, der sich gegen die sofortige Vollziehung der Abschiebungsandrohung richtet (§ 36 Abs. 3 Asylgesetz -AsylG-) besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, weil er der Antragstellerin keinen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil bringen kann (VG Augsburg, B.v. 30.6.2011 – Au 6 S. 11.30199 – juris).
Im Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. September 2016 wurde lediglich eine Abschiebung in den Herkunftsstaat angedroht. Aufgrund einer Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat können Vollstreckungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden. Die Antragstellerin bedarf daher keiner gerichtlichen Entscheidung, durch die sie vor Abschiebungsmaßnahmen geschützt werden würde.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (U.v. 25.7.2000 – 9 C 42/99 – juris) besitzt eine Abschiebungsandrohung mit der Angabe des Herkunftsstaates als Zielstaat keinen Regelungscharakter, sondern stellt lediglich einen vorläufigen unverbindlichen Hinweis dar, aus dem sich keine Rechtsfolgen ergeben. Dieser Hinweis, mit dem nicht mehr erreicht werden kann als mit dem allgemeinen Hinweis auf andere aufnahmebereite Staaten, soll dem Ausländer lediglich klar machen, dass er ohne erneute Abschiebungsandrohung in einen später noch zu benennenden Staat abgeschoben werden kann. Vor einer Durchführung der Abschiebung muss der konkrete Zielstaat so rechtzeitig bekannt gegeben werden, dass der Ausländer gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann. Solange ein Zielstaat nicht feststeht, kann eine Abschiebung schon aus tatsächlichen Gründen nicht vorgenommen werden. Dementsprechend kann auch ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässigerweise erst dann gestellt werden, wenn dem ausreisepflichtigen Ausländer die Abschiebung im Hinblick auf ein konkretes Ziel angedroht worden ist; dies ist bei der Antragstellerin noch nicht der Fall.
Im Hinblick darauf kann die Tatsache, dass im Rahmen des gem. § 36 AsylG gestellten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO auch zu prüfen ist, ob die Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet durch das Bundesamt rechtmäßig war, kein aktuelles rechtliches Interesse der Antragstellerin an einer Entscheidung des Gerichtes begründen, da es ausreichend ist, wenn die Antragstellerin nach der Konkretisierung des Zielstaates Gelegenheit erhält, ihre rechtlichen Interessen wahrzunehmen und die Entscheidung des Bundesamtes in ihrer Gesamtheit einer Richtigkeitskontrolle zu unterziehen.
Auch bezüglich ihres Aufenthaltsstatus droht der Antragstellerin keine Verschlechterung ihrer Rechtsposition. Nach § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG erlischt zwar die Aufenthaltsgestattung unter anderem, wenn eine nach dem Asylverfahrensgesetz erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Im Falle eines rechtzeitigen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO tritt die Vollziehbarkeit nach der gerichtlichen Entscheidung ein (§ 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG). Da aber die Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat lediglich einen unverbindlichen Hinweis ohne Regelungscharakter darstellt und damit eine tatsächlich vollziehbare Abschiebungsandrohung nicht vorliegt, kann im Ergebnis auch nicht von einem Erlöschen der Aufenthaltsgestattung gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ausgegangen werden.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
…