Aktenzeichen M 12 S 16.32727
AsylG AsylG § 36 Abs. 3, § 67 Abs. 1 Nr. 4
Leitsatz
Wird eine Abschiebung in den “Herkunftsstaat” angedroht, können weder Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt werden, noch droht hinsichtlich des Aufenthaltsstatus eine Verschlechterung der Rechtsposition. Einem Eilantrag gegen die Abschiebungsandrohung fehlt daher in diesem Fall das Rechtsschutzbedürfnis. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist nach eigenen Angaben eritreische Staatsangehörige und stellte am 5. Oktober 2015 einen Asylantrag.
Bei ihrer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 7. Juli 2016 erklärte die Antragstellerin im Wesentlichen, sie habe Eritrea im Jahr 2000 im Alter von 12 Jahren mit ihrer Mutter verlassen. Persönliche Gründe für ihre Ausreise habe sie nicht gehabt. Sie sei mit ihrer Mutter geflohen, die auf der Flucht gestorben sei. Sie sei dann mit einer Bekannten weiter, bei der sie dann in Äthiopien gelebt habe. Ihre Mutter sei Äthiopierin gewesen, ihr Vater Eritreer. 2008 sei sie in den Sudan ausgereist, wo sie sieben Jahre gelebt und als Haushälterin gearbeitet habe. Den Sudan habe sie verlassen, weil sie sich dort illegal aufgehalten habe, sie dort verhaftet worden sei und sich habe freikaufen müssen. Im Fall der Rückkehr nach Eritrea habe sie Angst vor dem Militärdienst.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 19. August 2016 wurden der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Antrag auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 1 bis 3 des Bescheids). Die Antragstellerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung in den Herkunftsstaat oder in einen anderen Staat angedroht, in den die Antragstellerin einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 4 des Bescheids). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 5 des Bescheids).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass die Antragstellerin im Heimatland eine Gefahr politischer Verfolgung gedroht habe bzw. bei Rückkehr drohe. Die Gründe für das Verlassen des Heimatlandes seien unsubstantiiert, vage und unrealistisch, so dass erhebliche Zweifel an der Wahrheit der Angaben bestünden. Das Vorbringen sei nicht glaubhaft, da die Einreise ins Bundesgebiet ohne eigene Legitimationspapiere erfolgt sein solle. Zudem seien keine Unterlagen, aufgrund derer die Identität oder die Richtigkeit der Angaben bzgl. des Heimatlandes überprüft werden könnten, vorgelegt worden. Soweit die Antragstellerin geltend mache, im Sudan nicht für ihre Zukunft sorgen zu können, weil sie sich von mehreren Verhaftungen habe freikaufen müssen, könne dies nicht zur Gewährung von Flüchtlingsschutz führen. Die Angaben seien sehr allgemein gehalten und weit davon entfernt, ein lebensnahes, nachvollziehbares Bild der Geschehnisse zu zeichnen. Vielmehr werde der Eindruck erweckt, dass sich die Antragstellerin aus wirtschaftlichen Gründen aufgemacht habe, den Sudan zu verlassen. Eine Verfolgung habe die Antragstellerin nicht glaubhaft machen können. Die Würdigung aller Umstände führe nicht zur Überzeugung, dass die Antragstellerin die eritreische Staatsangehörigkeit tatsächlich besitze. Die Antragstellerin habe keine Personaldokumente vorlegen können. Sofern sie den vorgeblichen Personalausweis ihres Vaters vorgelegt habe, sei festzustellen, dass dieser kein Nachweis der eritreischen Staatsangehörigkeit sei. Der Ausweis sei zudem angeblich 1992 in Äthiopien vor der Unabhängigkeit Eritreas ausgestellt worden. Die Antragstellerin spreche Tigrina mit stark äthiopischem Dialekt, sog. Tigray. Sie habe keine Angaben zu bekannten Feiertagen oder Persönlichkeiten in Eritrea machen können und sei nicht in der Lage gewesen, einfachste Fragen im Zusammenhang mit Dingen des täglichen Lebens in ihrem angeblichen Herkunftsland zu beantworten. Auch von örtlichen Gegebenheiten in Eritrea habe sie keine Kenntnisse gehabt. Aufgrund der ungeklärten Staatsangehörigkeit müsse die Furcht vor Verfolgung und die Gefahr eines drohenden Schadens als nicht glaubhaft dargelegt angesehen werden. Ein unbegründeter Asylantrag sei als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täusche oder diese Angaben verweigere. Ein Abschiebungsverbot könne lediglich dann festgestellt werden, wenn im Zielstaat der Abschiebung die drohenden Gefahren bestünden. Die Antragstellerin habe keine glaubhaften Angaben zu ihrem Herkunftsstaat gemacht. Aufgrund dessen komme eine Abschiebung in das angebliche Herkunftsland Eritrea nicht in Betracht. Hinsichtlich anderer Staaten habe die Antragstellerin keine Gründe für die Annahme drohender Gefahren geltend gemacht. Der Antragstellerin sei die Abschiebung in den Herkunftsstaat anzudrohen gewesen, da aufgrund ungeklärter Staatsangehörigkeit keine konkrete Benennung des Ziellandes erfolgen könne. Die Abschiebungsandrohung enthalte daher nur einen unverbindlichen Hinweis. Vor Vollzug der Abschiebung sei der Zielstaat konkret zu bezeichnen. Anhaltspunkte für eine kürzere Fristsetzung seien weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Die Antragstellerin verfüge über keine wesentlichen Bindungen im Bundesgebiet.
Mit Ergänzungsbescheid vom 29. August 2016 wurde unter Aufhebung der Nr. 5 des Bescheides vom 19. August 2016 das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom *. September 2016, bei Gericht am selben Tag eingegangen, hat die Antragstellerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt die Bescheide der Antragsgegnerin vom 19. und 29. August 2016 aufzuheben und festzustellen, dass die Antragstellerin asylberechtigt ist und die Flüchtlingseigenschaft, der subsidiäre Schutzstatus und Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen (Az.: M 12 K 16.32724).
Gleichzeitig hat sie beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Bescheid vom 29. August 2016 nehme Bezug auf einen vorausgegangenen Bescheid vom 19. August 2016, der der Antragstellerin nicht zugegangen sei. Die Antragstellerin könne nicht nach Eritrea zurückgeschoben werden.
Der Bescheid vom 19. August 2016 wurde der Antragstellerin von der Antragsgegnerin erneut zugesandt.
Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 6. September 2016 die Behördenakte vorgelegt.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom … September 2016 hat die Antragstellerin eine weitere Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. August 2016 aufzuheben und festzustellen, dass die Antragstellerin asylberechtigt ist und die Flüchtlingseigenschaft, der subsidiäre Schutzstatus und Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen (Az.: M 12 K 16.33003). Gleichzeitig hat sie beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin anzuordnen bzw. wiederherzustellen (Az.: M 12 S. 16.33004).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antrag auf Asyl als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden sei. Die Gründe seien nicht nachvollziehbar, da die Situation in Eritrea dafür spreche, dass dem Schutzbegehren der Antragstellerin im Inland stattgegeben werde. Der Personalausweis des Vaters der Antragstellerin sei vor der Abspaltung Eritreas von Äthiopien ausgestellt worden. Die Antragstellerin sei eritreische Staatsangehörige, auch wenn sie mit äthiopischem Dialekt spreche. Bei einer Rückführung nach Äthiopien müsse mit einer Abschiebung nach Eritrea gerechnet werden. Dann seien die Befürchtungen (Gefängnis, Wehrdienst) zu berücksichtigen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte, auch in den Verfahren M 12 K 16.33003 und M 12 S. 16.33004, Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Mit dem Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses wird zum Ausdruck gebracht, dass nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat und beim Fehlen eines solchen Interesses das prozessuale Begehren als unzulässig abgewiesen werden muss (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, vor § 40 Rn. 30).
Für den vorliegenden Antrag, der sich gegen die sofortige Vollziehung der Abschiebungsandrohung richtet (§ 36 Abs. 3 Asylgesetz -AsylG-) besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, weil er der Antragstellerin keinen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil bringen kann (VG Augsburg, B.v. 30.6.2011 – Au 6 S. 11.30199 – juris).
Im Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. August 2016 wurde lediglich eine Abschiebung in den Herkunftsstaat angedroht. Aufgrund einer Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat können Vollstreckungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden. Die Antragstellerin bedarf daher keiner gerichtlichen Entscheidung, durch die sie vor Abschiebungsmaßnahmen geschützt werden würde.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (U.v. 25.7.2000 – 9 C 42/99 – juris) besitzt eine Abschiebungsandrohung mit der Angabe des Herkunftsstaates als Zielstaat keinen Regelungscharakter, sondern stellt lediglich einen vorläufigen unverbindlichen Hinweis dar, aus dem sich keine Rechtsfolgen ergeben. Dieser Hinweis, mit dem nicht mehr erreicht werden kann als mit dem allgemeinen Hinweis auf andere aufnahmebereite Staaten, soll dem Ausländer lediglich klar machen, dass er ohne erneute Abschiebungsandrohung in einen später noch zu benennenden Staat abgeschoben werden kann. Vor einer Durchführung der Abschiebung muss der konkrete Zielstaat so rechtzeitig bekannt gegeben werden, dass der Ausländer gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann. Solange ein Zielstaat nicht feststeht, kann eine Abschiebung schon aus tatsächlichen Gründen nicht vorgenommen werden. Dementsprechend kann auch ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässigerweise erst dann gestellt werden, wenn dem ausreisepflichtigen Ausländer die Abschiebung im Hinblick auf ein konkretes Ziel angedroht worden ist; dies ist bei der Antragstellerin noch nicht der Fall.
Im Hinblick darauf kann die Tatsache, dass im Rahmen des gem. § 36 AsylG gestellten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO auch zu prüfen ist, ob die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet durch das Bundesamt rechtmäßig war, kein aktuelles rechtliches Interesse der Antragstellerin an einer Entscheidung des Gerichtes begründen, da es ausreichend ist, wenn die Antragstellerin nach der Konkretisierung des Zielstaates Gelegenheit erhält, ihre rechtlichen Interessen wahrzunehmen und die Entscheidung des Bundesamtes in ihrer Gesamtheit einer Richtigkeitskontrolle zu unterziehen.
Auch bezüglich ihres Aufenthaltsstatus droht der Antragstellerin keine Verschlechterung ihrer Rechtsposition. Nach § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG erlischt zwar die Aufenthaltsgestattung unter anderem, wenn eine nach dem Asylverfahrensgesetz erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Im Falle eines rechtzeitigen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO tritt die Vollziehbarkeit nach der gerichtlichen Entscheidung ein (§ 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG). Da aber die Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat lediglich einen unverbindlichen Hinweis ohne Regelungscharakter darstellt und damit eine tatsächlich vollziehbare Abschiebungsandrohung nicht vorliegt, kann im Ergebnis auch nicht von einem Erlöschen der Aufenthaltsgestattung gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ausgegangen werden.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).