Verwaltungsrecht

Kein Vorliegen eines Abschiebungsverbots im Falle eines arbeitsfähigen afghanischen Staatsbürgers, der an einer psychischen Erkrankung leidet

Aktenzeichen  M 17 E 17.32950

Datum:
28.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK EMRK Art. 3
VwGO VwGO § 123 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, § 154 Abs. 1
ZPO ZPO § 920 Abs. 2
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

1. Wird offensichtlich keine psychotherapeutische Behandlung trotz angeblicher psychischer Probleme benötigt, kann nicht von einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben iSv § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG ausgegangen werden.  (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein etwaiger Selbstmordversuch stellt grundsätzlich kein greifbares und konkretes Ereignis dar, das ein Abschiebungshindernis begründen könnte. Ist die Suizidgefahr auf die anstehende Abschiebung bzw. deren Vollzug zurückzuführen, handelt es sich um kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot iSv § 60 AufenthG, sondern allenfalls um ein inlandsbezogenenes Vollstreckungshindernis, das nur von der Ausländerbehörde berücksichtigt werden kann. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Kläger, ein afghanischer Staatsangehöriger vom Volk der Hazara, reiste am … Januar 2010 auf dem Landweg in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein. Am 15. Februar 2010 stellt er Asylantrag, der mit Bescheid vom 4. Juni 2010 abgelehnt wurde. Die hiergegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 23. Februar 2012 abgewiesen (M 22 K 10.30494).
Mit Schreiben vom 24. April 2014 stellte der Bevollmächtigte des Klägers einen Wiederaufgreifensantrag mit der Bitte, Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzusetzen. Beim Kläger lägen eine posttraumatische Belastungsstörung und eine mittelgradige depressive Episode vor. Ein entsprechendes Attest vom … Februar 2014 und ein Befundbericht vom … Dezember 2016 von … wurden beigefügt.
Mit Bescheid vom 23. Januar 2017, am 30. Januar 2017 per Einschreiben zur Post gegeben, stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen.
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen gegeben seien, da die psychische Erkrankung erst nach Abschluss des Asylerstverfahrens bekannt geworden sei. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liege nicht vor. Nach dem Sachvortrag des Antragstellers drohe ihm keine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung. Auch die derzeitigen humanitären Bedingungen in Afghanistan führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Trotz der vorgetragenen psychischen Erkrankung des Antragstellers sei den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht zu entnehmen, dass er arbeitsunfähig wäre. Vielmehr finde sich im Attest vom … Februar 2014 der Hinweis, dass der Antragsteller eine Arbeitsstelle habe. In Afghanistan habe der Antragsteller als Jugendlicher ebenfalls bereits gearbeitet und er verfüge über unterschiedliche Berufserfahrung. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller als arbeitsfähiger junger Mann, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten habe, auch ohne nennenswertes Vermögen und familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. Der Antragsteller habe zudem Verwandtschaft im Iran, die ihn von dort finanziell unterstützen könne. Auch eine individuelle und konkrete Gefahrenlage nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG lasse sich nicht feststellen. Ausweislich der vorliegenden ärztlichen Unterlagen leidet der Antragsteller an einer posttraumatischen Belastungsstörung(PTBS) sowie einer mittelgradigen depressiven Episode. Gesundheitsgefahren, die aus einer vorliegenden Erkrankung hergeleitet werden, seien nur dann nachvollziehbar begründet, wenn die Diagnose der Erkrankung selbst nachvollziehbar begründet worden sei. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen erfüllten die Mindestvoraussetzungen nicht und seien daher nicht geeignet, das Vorliegen einer psychischen Erkrankung nachvollziehbar zu begründen. Es sei den Attesten weder zu entnehmen, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt worden sei noch fänden sich Angaben darüber, wie häufig sich der Antragsteller in ärztlicher Behandlung befunden oder wie sich der bisherige Behandlungsverlauf gestaltet habe. Ausweislich des Attestes vom … Februar 2014 habe der Antragsteller im Jahr 2007 miterlebt, wie sein Vater von Männern erschossen worden sei. Dieses Erlebnis sei das der PTBS zugrunde liegende Trauma. In Anbetracht dessen, dass der Antragsteller weder bei seiner Anhörung beim Bundesamt am … April 2010 noch bei der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht München am 16. Februar 2012 angegeben habe, dass er bei seinem Vater gewesen sei, als dieser erschossen worden sei, könne dem Antragsteller die nunmehrige Schilderung des Vorgangs nicht geglaubt werden. Vielmehr scheine es sich bei dem geschilderten traumatisierenden Ereignis um eine extreme Steigerung seiner ursprünglichen Fluchtgeschichte zu handeln. Vorsorglich werde angemerkt, dass das vom Antragsteller eingenommene Medikament Mirtazapin in Afghanistan verfügbar sei und dass psychische Erkrankungen in Afghanistan mittlerweile grundsätzlich behandelbar seien. Das afghanische Gesundheitsministerium habe in den letzten Jahren verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Anerkennung psychischer Erkrankungen sowie deren Behandelbarkeit zu verbessern.
Am 25. Januar 2017 ging bei der Antragsgegnerin eine weitere Stellungnahme von Herrn … vom 21. Januar 2017 ein.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers erhob mit Schriftsatz vom 14. Februar 2017, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, hiergegen Klage (M 17 K 17.32949) und beantragte gleichzeitig,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde zu erklären, dass der Antragsteller bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seine Klage nicht nach Afghanistan abgeschoben werden darf.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es unstrittig sei, dass bei einer Abschiebung eine zügige und dramatische Gesundheitsverschlechterung zu erwarten sei. Die Antragsgegnerin habe in dem Bescheid ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG nicht gegeben seien, weil der Antragsteller arbeitsfähig sei, habe aber mit keiner Silbe erwähnt, dass die medizinische Versorgung in Afghanistan unzureichend sei, weswegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG gegeben seien.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 K 17.32949 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag gemäß § 123 VwGO ist zulässig, aber unbegründet.
1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und dessen Gefährdung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
2. Unabhängig vom Bestehen eines Anordnungsgrundes hat der Antragsteller jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann nicht bejaht werden. Das Gericht nimmt insoweit vollumfänglich auf die Begründung des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG), der entgegen der Auffassung der Antragstellerseite sowohl Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG als auch zu § 60 Abs. 7 AufenthG enthält.
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Das Attest vom … Februar 2014 ist mittlerweile drei Jahre alt und kann daher nicht mehr zur Beurteilung des Gesundheitszustands des Antragstellers und eines darauf gestützten Abschiebungsverbots herangezogen werden.
In dem Befundbericht vom … Dezember 2016 ist insbesondere aufgeführt, dass beim Antragsteller geminderte Konzentration, Hyperarousal, gedrückte Stimmung, szenisches Wiedererleben, gehemmter Antrieb, Dissoziationen, Grübeln, Schlafstörungen und passive Todeswünsche, aber keine Suizidalität vorliege und ihm Mirtazapin verordnet werde. Die erfolgreiche Behandlung der seelischen Erkrankung erfordere ein verlässliches medizinisches Umfeld, das unter anderem regelmäßige Arztbesuche umfasse. Bei einer Abschiebung sei eine zügige und dramatische Verschlechterung wahrscheinlich. In der aktuellen ärztlichen Stellungnahme vom … Januar 2017 werden die Symptome des Berichts vom … Dezember 2016 im Wesentlichen bestätigt und eine Zunahme von Todeswünschen festgestellt. Der Antragsteller denke aus Verzweiflung über eine mögliche erzwungene Rückkehr darüber nach, sich umzubringen.
Diese Atteste genügen aber nicht den Mindestanforderungen des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – juris Rn. 15; vgl. a. § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG). Dass der Antragsteller nicht arbeitsfähig ist und daher nicht in der Lage wäre, sich ein Existenzminimum in Afghanistan zu erwirtschaften, ist nicht ersichtlich, zumal ihn seine Verwandte finanziell unterstützen können. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist somit nicht gegeben (st. Rspr. des BayVGH, vgl. z.B. B.v. 32.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris Rn. 5). Hinzukommt, dass der Antragsteller, obwohl er angeblich seit mindestens drei Jahren an psychischen Problemen leidet, offenbar keine psychotherapeutische Behandlung benötigt, so dass auch insoweit nicht von einer relevanten Gefährdung, insbesondere nicht von einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Rückkehr alsbald wesentlich verschlechtern würde, und damit von einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgegangen werden kann. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der – sehr pauschalen – Feststellung in der ärztlichen Stellungnahme vom 23. Januar 2017, der Antragsteller denke darüber nach, sich umzubringen. Zum einen stellt ein etwaiger Selbstmordversuch grundsätzlich kein greifbares und konkretes Ereignis dar, dass ein Abschiebungshindernis begründen könnte. Zum anderen wäre die Suizidgefahr hier laut dieser Stellungnahme auf die anstehende Abschiebung bzw. deren Vollzug zurückzuführen, so dass es sich um kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 AufenthG, sondern allenfalls um ein inlandsbezogenenes Vollstreckungshindernis handelt (vgl. OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 84, 86), das nur von der Ausländerbehörde berücksichtigt werden kann.
Der (gerichtskostenfreie, § 83b AsylG) Antrag gemäß § 123 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

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