Aktenzeichen RO 11 S 16.31399
Leitsatz
Einem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen eine Abschiebungsandrohung fehlt nicht wegen der Möglichkeit des Antrags auf Wiederaufnahme gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG das Rechtsschutzbedürfnis. (amtlicher Leitsatz)
Bei einem fehlenden Hinweis im Sinne des § 33 Abs. 4 AsylG bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids. (amtlicher Leitsatz)
Tenor
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bescheids vom 29. Juni 2016 wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen eine Abschiebungsandrohung in einem Bescheid der Antragsgegnerin.
Der Antragsteller gibt an, syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit zu sein. Nach seinen Angaben verließ er Syrien Ende Oktober 2015 und reiste am 17. November 2015 auf dem Landweg in Deutschland ein. Er stellte nach den Angaben im Behördenakt am 24. März 2016 einen Asylantrag.
Das Bundesamt lud den Antragsteller mit Schreiben vom 22. April 2016 zu der Anhörung am 17. Mai 2016 um 8.00 Uhr in Regensburg, B.-straße …. Zu diesem Termin erschien er nicht. Mit Schreiben vom 19. Mai 2015 teilte der Antragsteller dem Bundesamt mit, dass er sich für sein Nichtkommen wegen Krankheit entschuldige. In einem Vermerk vom 3. Juni 2016 hielt ein Mitarbeiter des Bundesamts fest, dass aufgrund der schriftlichen Einlassung des Antragstellers vom 19. Mai 2016, eingegangen beim Bundesamt am 24. Mai 2016, das Verfahren wegen Nichtbetreibens gemäß § 33 AsylG einzustellen sei. Die bloße Mitteilung einer Krankheit durch den Antragsteller selbst, ohne jedes ärztliches Attest, sei nicht als zureichende Entschuldigung für die Nichtwahrnehmung des Anhörungstermins anzuerkennen ist.
Mit Bescheid vom 29. Juni 2016 stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt ist (Nr. 1). Ferner stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Sollte er die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er abgeschoben. Der Antragsteller könne in einen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 3). Hiergegen erhob er am 12. Juli 2016 Klage (Az. RO 11 K 16.31400) und stellte einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage.
Zur Begründung des Antrags bringt der Antragsteller im Wesentlichen vor, dass er den Termin versäumt habe. Danach habe er einen Brief geschrieben und um Zuteilung eines neuen Termins gebeten. Er wisse nun, dass es zu seinen Pflichten gehöre, diesen Anhörungstermin wahrzunehmen. Er bitte um Verständnis. Er sei Flüchtling aus Syrien und könne nicht zurückkehren.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bescheids vom 29. Juni 2016 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung,
den Antrag abzulehnen.
Im Übrigen wird auf gewechselten Schriftsätze, den Inhalt des Asylakts und das Klageverfahren Az. RO 11 K 16.31400 Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, die gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 des Asylgesetzes (AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes anzuordnen, ist zulässig. Dem Antrag fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis.
Dieses ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Antragsteller die Möglichkeit hat, gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG die Wiederaufnahme seines Verfahrens zu beantragen (so aber VG Ansbach vom 29.4.2016 Az. AN 4 S 16.30410; VG Regensburg vom 18.4.2016 Az. RO 9 S 16.30620). Zwar nimmt dann das Bundesamt gemäß § 33 Abs. 5 Satz 4 AsylG die Prüfung in dem Verfahrensabschnitt wieder auf, in dem sie eingestellt wurde. Die Möglichkeit einer solchen Wiederaufnahme ohne weitere Voraussetzungen besteht jedoch nur einmal. Ein Asylverfahren ist nämlich dann nicht wiederaufzunehmen und ein Antrag nach § 33 Abs. 5 Satz 2 oder Satz 4 AsylG ist als Folgeantrag (§ 71 AsylG) zu behandeln, wenn die Einstellung des Asylverfahrens zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens neun Monate zurückliegt oder das Asylverfahren bereits nach dieser Vorschrift wiederaufgenommen worden war, vgl. § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG. Dies bedeutet, dass ein Antragsteller bei einer Verweisung auf einen Wiederaufnahmeantrag im Falle einer erneuten Einstellung des Verfahrens nach § 33 Abs. 1 oder 3 AsylG die Wiederaufnahme nicht mehr beanspruchen könnte (vgl. VG Halle vom 3.6.2016 Az. 4 B 195/16 HAL). Selbst im Falle einer rechtswidrigen Einstellung durch das Bundesamt würde er die Möglichkeit einer Wiederaufnahme ohne weitere Voraussetzungen verlieren. Das Rechtschutzinteresse kann dem Antragsteller daher nicht abgesprochen werden.
2. Der Antrag ist auch begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG.
Ernstliche Zweifel bestehen bereits deshalb, weil der Antragsteller nicht gemäß § 33 Abs. 4 AsylG auf die Rechtsfolgen eines Nichtbetreibens des Verfahrens schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hingewiesen wurde. Ein Asylantrag gilt als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Asylverfahren nicht betreibt, § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Es wird u. a. vermutet, dass der Ausländer das Asylverfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist, vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 AsylG. Im Falle der Antragsrücknahme stellt das Bundesamt in seiner Entscheidung fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist und ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt, § 32 Satz 1 AsylG. In den Fällen des § 33 ist nach Aktenlage zu entscheiden, § 32 Satz 2 AsylG.
Die gesetzliche Fiktion einer Antragsrücknahme ist eine scharfe Sanktion für den unterstellten Wegfall des Bescheidungs- bzw. Rechtsschutzinteresses des Asylantragstellers. Da das Nichtbetreiben des Verfahrens für den Asylbewerber gravierende Folgen auslöst, muss die Belehrung unzweifelhaft deutlich machen, was vom Asylbewerber verlangt wird und welche Folgen eine Nichtbefolgung der Aufforderung auslöst (vgl. VG München vom 2.3.2016 Az. M 12 K 16.30136). Vorliegend lässt sich dem Asylakt nicht entnehmen, dass der Antragsteller auf die oben dargestellten Rechtsfolgen hingewiesen wurde. In der Ladung zur mündlichen Anhörung vom 22. April 2016 wurde er nur darauf hingewiesen, dass es für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben könne (Entscheidung ohne persönliche Anhörung), wenn er zu diesem Termin nicht erscheine, ohne vorher rechtzeitig seine Hinderungsgründe schriftlich dem Bundesamt mitgeteilt zu haben. Bei einer solchen Belehrung musste der Antragsteller allenfalls mit einer – inhaltlichen – Entscheidung nach Aktenlage, nicht jedoch mit einer Einstellung wegen Nichtbetreibens rechnen.
In der Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten ist auf der dritten Seite der Hinweis enthalten (Seite 17 des Behördenakts), dass der Asylantrag als zurückgenommen gelten kann. Dieser Hinweis bezieht sich aber nur auf den Fall der Unterlassung der Mitteilung eines Wohnungswechsels, nicht auf den Fall, dass ein Antragsteller der Ladung zur Anhörung nicht nachgekommen ist.
Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, dass die Antragsgegnerin das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes verneint. Dies erscheint deshalb als bedenklich, weil das Bundesamt nach seiner gegenwärtigen Praxis syrischen Flüchtlingen in der Regel zumindest den subsidiären Schutzstatus zuerkennt. Das Gericht geht in seiner Rechtsprechung sogar davon aus, dass diese in der Regel einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft haben. Im Übrigen stimmen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bescheids und die Rechtsbehelfsbelehrung („Abschiebungsanordnung“) nicht überein.
Die Antragsgegnerin hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylVfG.
Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.