Aktenzeichen M 3 K 16.4298
Leitsatz
Als Tatsachenänderungen anzusehen sind auch Erkenntnisfortschritte, durch die Annahmen, auf denen der in Frage stehende Verwaltungsakt beruht, als nicht mehr zielführend anzuerkennen sind. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg. Bezüglich ihres Hauptantrags ist sie zulässig, jedoch unbegründet. Hinsichtlich des Hilfsantrags ist die Klage bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
Ziel beider Anträge ist es, die Berechtigung des Klägers zur Abhaltung von Lehrveranstaltungen im Masterstudiengang Public Health an der Beklagten zu erhalten, von der er mit Bescheid der Beklagten vom 10. November 2005 für die Zeit seiner Tätigkeit bei … … entbunden wurde. Mit dem Hauptantrag begehrt der Kläger das Wiederaufgreifen des Verfahrens über seine Lehrberechtigung im Masterstudiengang Public Health unter Aufhebung des Bescheids vom 4. August 2016, mit dem der Wiederaufgreifensantrag des Klägers vom 7. April 2016 abgelehnt wurde. Mit dem Hilfsantrag wird unmittelbar die Aufhebung des Bescheids vom 10. November 2005 beantragt, verbunden mit der Verpflichtung der Beklagten, über die Lehrberechtigung des Klägers im Studiengang Public Health unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Der Hauptantrag ist zulässig. Die Zulässigkeit des Klageverfahrens auf Wiederaufgreifens eines Verfahrens wird durch ein rechtskräftiges Urteil zuungunsten des Betroffenen nicht ausgeschlossen (vgl. Kopp/Schenke, 12. Auflage, § 51, Rn. 15). Beim Wiederaufgreifen geht es gerade um die etwaige Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts, sodass ein Rechtsschutzbedürfnis für den Hauptantrag besteht.
Der Hauptantrag ist unbegründet, da der Ablehnungsbescheid des Wiederaufgreifensantrags der Beklagten vom 4. August 2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt; der Kläger hat keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens über seine Lehrberechtigung im Masterstudiengang Public Health (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß Art. 51 BayVwVfG besteht im Falle des Klägers nicht, da sich die dem Bescheid vom 10. November 2005 zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nicht nachträglich zugunsten des Klägers geändert hat.
Gemäß Art. 51 Abs. 1 BayVwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn
1.sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat,
2.neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden,
3.Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.
Einen Wiederaufgreifensantrag hat der Kläger mit seinem Schreiben vom 7. April 2016 bei der Beklagten gestellt. Dieser Antrag bezieht sich auf die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Bescheids im Sinne des Art. 51 Abs. 1 BayVwVfG, nämlich den Bescheid der Beklagten vom 10. November 2005. Dessen Bestandskraft wurde mit dem durch den unanfechtbaren Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Oktober 2016 (a.a.O.) rechtskräftig gewordenen Urteil des VG München vom 2. Februar 2016 (a.a.O) festgestellt.
Strittig dagegen sind die Zulässigkeitkeitsfragen des Art. 51 Abs. 2 und 3 BayVwVfG. Hiernach ist ein Wiederaufgreifensantrag zum einen nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen, Art. 51 Abs. 2 BayVwVfG. Zum anderen muss der Antrag binnen drei Monaten nach Kenntniserlangung des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt werden (Art. 51 Abs. 3 BayVwVfG). Ob der Kläger allein aufgrund der von ihm vorgetragenen Unkenntnis über die Bestandskraft des Bescheids vom 10. November 2016 ohne grobes Verschulden außerstande gewesen war, seine Argumente früher vorzutragen, die sich auf Umstände beziehen, die bereits vor seinem Wiederaufgreifensantrag vom 4. April 2016 hätten vorgetragen werden können, und lediglich aufgrund der vorgehenden, gleichartig gelagerten Verfahren aus dem Jahr 2013 (M 3 K 12.5227) und dem Jahr 2015 (M 3 K 15.1263) kein Anlass für ein Wiederaufgreifensverfahren bestand, kann letztlich dahinstehen, da jedenfalls keine Wiederaufnahmegründe im Sinne des Art. 51 Abs. 1 BayVwVfG vorliegen.
Keiner der in Art. 51 Abs. 1 BayVwVfG genannten Wiederaufgreifensgründe kommt vorliegend in Betracht. Die vom Kläger vorgetragene nachträgliche Änderung der dem Bescheid vom 10. November 2005 zugrunde liegenden Sach- oder Rechtslage im Sinne des Art. 51 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG zu seinen Gunsten besteht nicht. Eine Änderung des maßgeblichen, materiellen Rechts (Rechtslage) nach Erlass des Bescheids vom 10. November 2005 ist nicht ersichtlich. Doch auch eine Änderung der Sachlage ist zu verneinen. Eine Änderung der Sachlage liegt vor, wenn sich die für die unanfechtbare Entscheidung maßgeblichen, das heißt die ihr zugrundeliegenden Tatsachen ändern. Als Tatsachenänderungen anzusehen sind auch Erkenntnisfortschritte, durch die Annahmen, auf denen der in Frage stehende Verwaltungsakt beruht, z.B. die Erkenntnis, dass ein ursprünglich als geeignet angesehener Verwaltungsakt nicht zielführend ist (Kopp/Schenke, a.a.O. § 51, Rn. 29). Das Gericht erkennt die von der Beklagten dem Bescheid vom 10. November 2005 zugrundeliegenden Annahmen jedoch nach wie vor als zielführend an.
Der vom Kläger vorgetragene Hauptgrund einer Wiederaufnahme des Verfahrens, wonach ihm seit dem Erlass des Bescheids vom 10. November 2005 keine Versuche einer unsachgemäßen Verknüpfung seiner beruflichen Tätigkeit bei … mit seiner Stellung als Hochschullehrer nachzuweisen seien, stellt keinen Wiederaufnahmegrund dar.
Gegenstand des im Bescheid vom 10. November 2005 umgesetzten Beschlusses der Prüfungskommission vom 7. November 2005 war die Unvereinbarkeit der Tätigkeit des Klägers beim Tabakhersteller … mit einer Tätigkeit im Studiengang Public Health und die hieraus für die Beklagte resultierenden negativen Auswirkungen. Diese Entscheidung der Beklagten war nicht – jedenfalls ausschließlich – darauf gerichtet, Versuchen einer unsachgemäßen Verknüpfung der beruflichen Tätigkeit des Klägers bei … mit seiner Stellung als Hochschullehrer vorzubeugen. Die Tätigkeitsausübung an sich war Grund für die Entbindung der Lehraufgaben im Bereich Public Health. Der Gesichtspunkt, inwiefern aufgrund eines etwaigen bestehenden Kooperationsprojekts zwischen dem damaligen Institutsleiter der Beklagten Prof. … und der Tabakindustrie, eine unsachgemäße Verknüpfung bestand oder nicht, ist daher unerheblich.
Die Entbindung von der Lehrtätigkeit im Studiengang Public Health sollte damit, unabhängig, ob in der Folgezeit unsachgemäße Verknüpfungen auftraten oder nicht, fortbestehen, da schon ein Anschein einer Zusammenarbeit zweier unvereinbarer Interessenbereiche ausgeräumt werden sollte. Allein aufgrund des nicht zu überwindenden Konflikts zwischen den Interessen der Tabakindustrie und dem Bereich der öffentlichen Gesundheit (Public Health), sieht die Beklagte eine Verbindung beider Bereiche als ausgeschlossen. Daneben ist auch das Argument eines „Präventivbedürfnisses“ anzuerkennen. Der Vortrag der Beklagten, ihre Zusammenarbeit in Forschung und Lehre mit den Kooperationspartnern des Münchner Public HealthUmfelds sei gefährdet, wenn die Lehre von Public Health einem Mitarbeiter eines namhaften Zigarettenherstellers übertragen würde, woraus sich Nachteile für die Durchführbarkeit des Public HealthStudiengangs ergeben würden, ist für das Gericht ebenfalls glaubhaft und nachvollziehbar. Dementsprechend erstreckt sich die Entbindung des Klägers von Lehrtätigkeit auch allein auf die Lehrveranstaltungen im Bereich Public Health und dies auch nur solange der Kläger bei dem Tabakunternehmen tätig ist; die Lehrbefähigung des Klägers wird nicht in Frage gestellt und es bleibt ihm unbenommen im Studienprogramm MeCuM Lehrveranstaltungen abzuhalten. Der Schutzbereich, der durch Art. 5 Abs. 3 GG garantierten Wissenschaftsfreiheit wird somit nicht berührt.
Aufgrund der nach wie vor bestehenden Tätigkeit des Klägers bei dem Tabakhersteller … …, sind die Gründe, die dem Bescheid vom 10. November 2005 zugrunde lagen, ununterbrochen gegeben. Im Übrigen bestätigt der Kläger das Fehlen einer Änderung der Sachlage mittelbar selbst, indem er vorträgt der Umstand der fehlenden Einflussnahme habe aus seiner Sicht bereits im Bescheidszeitpunkt vorgelegen. So wird von Klägerseite immer wieder, unter anderem in seinem Antrag nach Art. 51 BayVwVfG an die Beklagte vom 7. April 2016, betont, dass bereits der damalige Beschluss vom 10. November 2005 rechtswidrig gewesen sei, da die „Annahme eines unzulässigen Einflusses eine unwahre Tatsachenbehauptung“ gewesen sei. Der klägerische Vortrag, einen von der Beklagten angeführten, grundsätzlich bestehenden Wertungswiderspruch zwischen einer Tätigkeit in der Tabakindustrie und einer Lehrtätigkeit in einem die öffentliche Gesundheit betreffenden Studiengang in Abrede zu stellen, ist somit nicht neu. Er wurde bereits in den vorgehenden Verfahren behandelt, zuletzt wurde er vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 26. Oktober 2016 (a.a.O., juris, Rn. 8-11) gewürdigt, stellt somit keine Änderung dar und rechtfertigt nicht das Wiederaufgreifen eines Verfahrens.
Genauso wenig stellt der im Schriftsatz des Klägers vom 13. Januar 2017 mittelbar zum Ausdruck kommende Einwand, die Verknüpfung der Tabakindustrie mit unlauterer Einflussnahme auf Forschung sei nicht mehr zeitgemäß, keinen Wiederaufnahmegrund dar. Der Vortrag, … … International habe in den letzten Jahren über zwei Milliarden Dollar für Forschung ausgegeben und schließe selbst die Abschaffung der klassischen Zigarette für die Zukunft nicht aus, ändert nichts an dem der streitgegenständlichen Einschränkung der Lehrtätigkeit zugrundeliegenden, grundlegenden Interessenkonflikt zwischen dem Bereich Public Health einerseits und der Tabakindustrie andererseits.
Auch das klägerische Argument, dass der der Entscheidung im Jahre 2005 zugrundeliegende postgraduale, viersemestrige Studiengang „Öffentliche Gesundheit und Epidemiologie“ in dieser Bezeichnung nicht mehr existiert, sondern inzwischen unter anderem als Masterstudiengang mit dem Namen „Master of Public Health“ geführt wird, der nunmehr lediglich einen Bachelorabschluss voraussetzt und nicht wie bei dem vorgehenden Studiengang einen Magister-, Diplom- oder Staatsexamensabschluss, stellt keinen Wiederaufnahmegrund dar. Der aktuelle Studiengang hat sich aus dem früheren Studiengang entwickelt; geändert haben sich nur äußere Umstände der Organisation und die Bezeichnung des Studiengangs. Die im Raum stehende inhaltliche Frage der Vereinbarkeit der Lehre der öffentlichen Gesundheit mit einer beruflichen Tätigkeit für ein Tabakunternehmen besteht unverändert fort (dazu BayVGH, B.v. 26.10.2016, a.a.O., Rn. 10).
Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 4. August 2016 ist somit nicht zu beanstanden. Eine Verpflichtung der Beklagten auf Wiederaufnahme des Verfahrens bestand nicht. Der Einwand, der Kläger habe einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nach Art. 51 Abs. 5 BayVwVfG i.V.m. Art. 48 Abs. 1 S. 1 BayVwVfG, ist unbehelflich, da vorliegend die Beklagte über den Wiederaufgreifensantrag zu entscheiden hatte und nicht über eine Rücknahme im Sinne des Art. 48 Abs. 1 S.1 BayVwVfG.
Die Klage ist im Hilfsantrag bereits mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (B.v. 26.10.2016 – 7 ZB 16.578 – juris) hat den Anspruch des Klägers auf Abhaltung der von ihm geplanten Wahlveranstaltung im Masterstudiengang Public Health aufgrund der entgegenstehenden Bestandskraft des Bescheids vom 10. November 2005 abgelehnt; das den Anspruch ebenfalls ablehnende Urteil des Verwaltungsgerichts vom 2. Februar 2016 (M 3 K 15.1263) wurde damit rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO). Der nun streitgegenständliche Hilfsantrag richtet sich sinngemäß auf den gleichen Streitgegenstand, nämlich die Verpflichtung der Beklagten, unter Aufhebung des Bescheids vom 10. November 2005, dem Kläger die Abhaltung von Veranstaltungen im Masterstudiengang Public Health zu ermöglichen. Das Interesse an einer abermaligen Entscheidung über den Bescheid vom 10. November 2005 ist damit entfallen, sodass diesbezüglich kein Rechtsschutzinteresse mehr besteht.
Abgesehen davon wäre die Klage im Hilfsantrag auch unbegründet. Dem Antrag, mit dem die Aufhebung des Bescheids vom 10. November 2005 und die erneute Entscheidung über die Lehrberechtigung des Klägers im Masterstudiengang Public Health beantragt wird, steht die Bestandskraft des Bescheids vom 10. November 2005 entgegen. Zur Vermeidung von Wiederholungen sei auf die Begründungen der rechtskräftigen Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 26.10.2016, a.a.O.) und des Verwaltungsgerichts (U.v. 2.2.2016, a.a.O.) verwiesen. Der Rückschluss des Klägers, man könne allein deshalb von der fehlenden Bestandskraft des Bescheids vom 10. November 2004 ausgehen, weil in einem vorgehenden Urteil des Verwaltungsgerichts Münchens (U.v. 10.12.2013 – M 3 K 12.5227), die Ablehnung der Lehrberechtigung mit formalen Mängeln begründet wurde und nicht mit der entgegenstehenden Bestandskraft des Bescheids, ist unzutreffend. Eine Klage kann aus verschiedensten Gründen abgelehnt werden, die nicht alle genannt werden müssen; an der Bestandskraft des Bescheids vom 10. November 2005 ändert dies nichts.
Aus den dargestellten Gründen war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.