Verwaltungsrecht

Keine Abänderung einer gerichtlichen Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes

Aktenzeichen  Au 1 S 17.50179

Datum:
10.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, S. 2
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2

 

Leitsatz

Auch eine sich nachträglich ergebende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung oder die Klärung einer umstrittenen Rechtsfrage rechtfertigt einen Antrag auf Abänderung nach § 80 Abs. 7 S. 2 VwGO, falls sich dies auf die Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsacheentscheidung auswirkt. Dies ist bei einer Vorlageentscheidung, die einen gänzlich anderen Sachverhalt und andere Rechtsvorschriften betrifft, jedoch nicht der Fall. (Rn. 15 und 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, eine eritreische Staatsangehörige, begehrt die Abänderung einer gerichtlichen Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Sie reiste im Februar 2017 in die Bundesrepublik ein und beantragte am 22. Februar 2017 die Anerkennung als Asylberechtigte. Bei ihrer ersten Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am selben Tag gab sie an, man habe ihr in Italien Fingerabdrücke abgenommen.
Nachdem für die Antragstellerin ein Eurodac-Treffer vorlag, stellte das Bundesamt am 6. März 2017 ein Übernahmegesuch an Italien, auf welches Italien nicht reagierte. Bei einer nochmaligen Anhörung 13. April 2017 gab die Antragstellerin an, sie habe Bauchbeschwerden, sei aber nicht in ärztlicher Behandlung. Sie sei einen Monat in Italien gewesen, dort aber nicht medizinisch behandelt worden. Ihr Mann lebe seit sieben Monaten in Deutschland.
Mit Bescheid vom 16. Juni 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Antragstellerin als unzulässig ab. Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen und ordnete die Abschiebung nach Italien an. In den Gründen ist ausgeführt, der Asylantrag sei unzulässig, da Italien für die Behandlung des Asylantrags der Antragstellerin zuständig sei. Abschiebungsverbote lägen nach den Erkenntnissen des Bundesamts nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Italien würden nicht zu der Annahme führen, dass bei einer Abschiebung der Antragstellerin eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Es drohe der Antragstellerin in Italien keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots führen würde. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben, seien nicht ersichtlich.
Am 21. Juni 2017 erhob die Antragstellerin hiergegen Klage (Au 1 K 17.50161), über welche noch nicht entschieden ist. Gleichzeitig begehrte sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (Au 1 S. 17.50162). Diesen Antrag wies das Gericht mit Beschluss vom 7. Juli 2017 ab.
Mit vorliegendem Antrag vom 28. Juli 2017 beantragt die Antragstellerin die Abänderung dieser Entscheidung. Ihr Bevollmächtigter trägt vor, das Bundesverwaltungsgericht habe mit Beschluss vom 27. Juni 2017 den Europäischen Gerichtshof zur Klärung näher bezeichneter Fragen angerufen. Insbesondere hätte er die Frage gestellt, ob ein Mitgliedsstaat (hier: Deutschland) unionsrechtlich gehindert sei, einen Antrag auf internationalen Schutz wegen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in einem anderen Mitgliedsstaat (hier: Italien) als unzulässig abzulehnen, wenn die Ausgestaltung des internationalen Schutzes, namentlich die Lebensbedingungen für anerkannte Flüchtlinge, in dem anderen Mitgliedsstaat, der dem Antragsteller bereits internationalen Schutz gewährt hat, den Anforderungen (…) nicht genügt.
Die Antragstellerin beantragt
die Abänderung der Entscheidung vom 7. Juli 2017 und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat am 4. August 2017 die Behördenakten (erneut) vorgelegt, sich darüber hinaus aber nicht zur Sache geäußert.
Ergänzend wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte.
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Gegenstand des Antrags ist die begehrte Abänderung der gerichtlichen Entscheidung vom 7. Juli 2017 im Verfahren Au 1 S. 17.50162 verbunden mit dem Begehren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage.
2. Der Antrag ist nicht begründet.
Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung (von Beschlüssen über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO) wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
Die Beteiligten haben gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO nur bei veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände Anspruch auf eine erneute Entscheidung des Gerichts. Aus den neu vorgetragenen Umständen muss sich zumindest die Möglichkeit einer Abänderung der früheren Eilentscheidung ergeben. Ein Anspruch ist insbesondere dann zu bejahen, wenn sich nach der gerichtlichen Entscheidung, d.h. dem Zeitpunkt des Erlasses des vorangegangenen Beschlusses, eine Veränderung der für die Entscheidung maßgeblichen Sach- und/oder Rechtslage ergeben hat. Hierunter fällt etwa eine Änderung der Rechtslage, insbesondere durch eine Gesetzesänderung. Umstände i.S.d. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO sind aber nicht nur bei einer Veränderung der Sach- oder Rechtslage im engeren Sinn gegeben, vielmehr rechtfertigt auch eine sich nachträglich ergebende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung oder die Klärung einer umstrittenen Rechtsfrage einen Antrag auf Abänderung, falls sich dies auf die Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsacheentscheidung auswirkt (Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 196 und 197).
Hiervon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Eine Änderung der hier relevanten Rechtslage oder der obergerichtlichen Rechtsprechung insoweit liegt nicht vor.
Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Europäischen Gerichtshof mit seiner Vorlage vom 27. Juni 2017 (1 C 26.16 – juris) die Frage gestellt, ob ein Mitgliedsstaat gehindert ist, einen Antrag auf internationalen Schutz wegen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in einem anderen Mitgliedsstaat (hier: Italien) als unzulässig abzulehnen, wenn die Ausgestaltung des internationalen Schutzes, namentlich die Lebensbedingungen für anerkannte Flüchtlinge, in dem anderen Mitgliedsstaat, der dem Antragsteller bereits internationalen Schutz gewährt hat (hier: Italien), den Anforderungen der Art. 20 ff. RL 2011/95/EU nicht genügt. Eine solche Entscheidung erfolgt, wie auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Pressemitteilung vom 27. Juni 2017 ausführt, nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Nach dieser mit Wirkung vom 6. Juni 2016 geschaffenen Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer EU-Mitgliedsstaat dem Ausländer bereits internationalen Schutz gewährt hat.
Der Schutzanspruch der Antragstellerin vorliegend wurde jedoch nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt. Ihr wurde in Italien auch kein internationaler Schutz i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt. Vielmehr erfolgte die Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge auf der Grundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, da Italien gemäß der Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags der Antragstellerin zuständig ist. Auch der Beschluss des Gerichts vom 7. Juli 2017 stellt zentral auf diese Vorschrift ab. Die vom Bundesverwaltungsgericht gestellten Vorlagefragen betreffen damit einen gänzlich anderen Sachverhalt und andere Rechtsvorschriften. Es ist auch nicht erkennbar, dass über die konkrete Vorlagefrage hinaus ein allgemeiner Grundsatz aufgestellt werden sollte. Eine generelle Geltung für alle „nicht anerkannten Asylbewerber“ lässt sich der Vorlageentscheidung nicht entnehmen. Dies gilt umso mehr, als die beiden Konstellationen auch nicht identisch sind. Einerseits geht es um die Situation von Asylbewerbern, die in Italien ihren Antrag prüfen lassen müssen (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), andererseits um Personen, denen in Italien bereits Schutz gewährt wurde und die aus diesem Grund dorthin zurückkehren sollen (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Auch die tatsächliche Situation dieser beiden Personengruppen bei einem Aufenthalt in Italien kann sich – ohne dass dies vorliegend abschließend geprüft werden müsste – erheblich unterscheiden. Aus diesem Grund wird in der Vorlageentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auch ganz ausdrücklich auf die „Lebensbedingungen für anerkannte Flüchtlinge in dem anderen Mitgliedsstaat“ abgestellt.
Sonstige Gesichtspunkte, die die Annahme veränderter Umstände i.S.v. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO rechtfertigen könnten, wurden von der Antragstellerin nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.
3. Angesichts dieser Sach- und Rechtslage sieht das Gericht auch keine Veranlassung, den Beschluss vom 7. Juli 2017 von Amts wegen gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO abzuändern.
4. Die Kostenentscheidung für das gerichtliche Verfahren folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterlegener Teil hat die Antragstellerin die Verfahrenskosten zu tragen.
5. Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.

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